Der Millennium-Raub

Was wäre Netflix nur ohne die vielen wahren Verbrechen, die der Streamingdienst zu Filmen und Serien verarbeitet? Auch diesen Monat nahm er neue Titel ins Programm auf, die in diesem Segment angesiedelt sind. Gerade kam der Thriller iHostage heraus, der auf eine Geiselnahme in einem Apple-Store in Amsterdam Bezug nimmt, die mit 200 Millionen Euro in Kryptowährungen entlohnt werden sollte. Die Dokuserie Bad Influence: Die Schattenseite von Kidfluencing wiederum wirft einen Blick hinter die Kulissen erfolgreicher Kindervideos im Internet, der zunehmend verstörende Erkenntnisse mit sich bringt. Mit Der Millennium-Raub folgt jetzt eine weitere mehrteilige True-Crime-Doku, die sich mit unglaublichen Machenschaften befasst.

Ein unfassbarer Coup

Dieses Mal haben wir es wieder mit einem regulären Verbrechen zu tun, wie es der Titel bereits vorwegnimmt. Genauer reisen wir hier nach London ins Jahr 2000 und lernen mehr über den geplanten Diebstahl eines mächtigen Diamanten, der mehr als 350 Millionen Pfund wert sein soll. Das im Titel Der Millennium-Raub angesprochene „Millennium“ bezieht sich dabei nicht allein auf die Jahreszahl. Der besagte Diamant wurde zudem im sogenannten Millennium Dome aufbewahrt, wie der heute als The O₂ bekannte Komplex damals noch hieß. Dass ein derart wertvolles Stück entsprechend gesichert ist, ist klar. Da braucht es schon besondere Mittel, sowohl um in das Gebäude wie auch an den Edelstein zu kommen. Und eine gehörige Portion Dreistigkeit.

Wer die Details nicht kennt, sollte besser vorher nichts nachlesen. Ein Teil des Reizes besteht genau darin, dass die Geschichte so unglaublich ist. Es gehört schon richtig viel Kaltschnäuzigkeit dazu, es auf diese Weise versuchen zu wollen. Dass Guy Ritchie an diesem Vorfall Gefallen gefunden und deshalb als Produzent beteiligt war, verwundert nicht. Man hätte sich auch gut vorstellen können, dass er daraus einen seiner humorvollen Actionkrimis macht. Obwohl der Brite hier nicht Regie führte, das übernahm Jesse Vile (Der Yorkshire Ripper), arbeitet Der Millennium-Raub auch mit Komik und rasanten Schnitten. Da steht zuweilen der Unterhaltungsfaktor im Vordergrund, die reine Informationsvermittlung wird zur Nebensache.

Unterhaltsam bis anstrengend

Das heißt aber nicht, dass die drei Folgen nichts zu sagen hätten. Vile beschäftigt sich dabei nicht nur mit dem Raub an sich, sondern versucht auch, die Menschen dahinter vorzustellen. Beispielsweise erzählt Lee Wenham, einer der Räuber, von seiner kriminellen Vorgeschichte, die teils auch biografisch bedingt wurde. Parallel erinnert Der Millennium-Raub an die Bemühungen der Polizei, den geplanten Überfall zu verhindern. Schließlich war Wenham zu dem Zeitpunkt kein Unbekannter mehr, es gab auch erste Hinweise, worauf er und die anderen Männer es abgesehen haben könnten. Es kommt dadurch zu einer Art Katz-und-Maus-Spiel, bei dem zumindest theoretisch offen ist, wie es am Ende ausgeht. Praktisch ist der Ausgang natürlich klar, es wird auch nicht wirklich so getan, als würde das hier klappen können.

Spannend ist das dennoch, da man doch wissen möchte, wie absurd das alles wird und an welcher Stelle dieses Kartenhaus in sich zusammenkracht. Phasenweise ist die Serie auch unterhaltsam. Der Versuch, durch inszenatorische Spielereien und nachgestellte Szenen alles größer zu machen, wird jedoch mit der Zeit anstrengend. Da es zudem kaum Originalaufnahmen gibt, muss man sich schon fragen, ob es nicht doch besser gleich eine fiktionalisierte Version hätte werden sollen. Für sich genommen ist Der Millennium-Raub aber schon einen Blick wert. Hier wird zwar nicht gerätselt, es gibt auch keine schockierenden Momente. Staunen darf man dennoch, wie manche Leute so ticken und wie sie sich Coups ausdenken, die man in Hollywoodstreifen als völlig unglaubwürdig beschimpft hätte.