Into the Night Netflix
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Into the Night – Staffel 1

Kritik

Into the Night Netflix
„Into the Night – Staffel 1“ // Deutschland-Start: 1. Mai 2020 (Netflix)

Die ersten Passagiere waren bereits im Flugzeug, die Crew führte letzte Checks durch, nichts deutete darauf hin, dass bei dem geplanten Flug von Brüssel nach Moskau etwas anders sein könnte als sonst. Doch dann wird die Maschine von Terenzio Matteo Gallo (Stefano Cassetti) in seine Gewalt gebracht. Bewaffnet mit einem Maschinengewehr zwingt er Mathieu Daniel Douek (Laurent Capelluto) und Sylvie Bridgette Dubois (Pauline Etienne) die Route zu ändern und in den Westen zu fliegen statt nach Osten. Ein bestimmtes Ziel hat er nicht. Vielmehr behauptet er, die Menschen an Bord retten zu wollen, denn sobald die Sonne aufgehe, würden alle sterben. Die Entführten erfüllen ihm den Wunsch, in der Ansicht, dass es sich um einen gefährlichen Irren handelt – bis sie feststellen, dass da wirklich etwas Eigenartiges vor sich geht …

Die Sonne, dein Feind
Dass die Welt vor einer einzigartigen Katastrophe steht, das haben sich schon viele ausgemalt. Die Welt der Bücher und Filme ist voller Beispiele, wie die Erde zugrunde geht, sei es durch einen plötzlichen Unfall, sei es durch menschengemachte Zerstörung. Tatsächlich wird schon seit einiger Zeit davor gewarnt, dass unser Planet aufgrund der Klimaerwärmung über kurz oder lang unbewohnbar wird. Aber es geht auch schneller, wie uns Into the Night vorführt, denn in der belgischen Netflix-Serie ändert die Sonne spontan ihr Verhalten, weshalb ein Leben in ihrem Einfluss tödlich ist – nicht als Langzeitfolge, sondern sofort. Wer hier während des Tages unterwegs ist, der stirbt.

Das Konzept hört sich erst einmal etwas irre an, soll von dem polnischen Science-Fiction-Roman The Old Axolotl von Jacek Dukaj inspiriert worden sein, auch wenn sich die Inhaltsangabe völlig anders liest. Natürlich wirft es auch einige Fragen auf. Warum soll die Sonne auf einmal so anders sein? Und warum bleiben die Leute dann nicht einfach tagsüber zu Hause, vorzugsweise in einem dunklen Keller? Antworten auf beide Fragen gibt es, man sollte aber keine hohen Ansprüche an sie stellen. Into the Night erzählt keine Geschichte, die in irgendeiner Form plausibel sein soll. Stattdessen steht die Spannung im Vordergrund, wenn der zufällig zusammengewürfelte Haufen an Bord vor der Gefahr flieht.

Non-Stop-Flucht durch das Nichts
Punktuell geht dieser Plan auch auf. Hat man das bizarre Szenario erst einmal akzeptiert, entsteht daraus zwangsläufig eine große Dringlichkeit. Zur Ruhe kommt in Into the Night praktisch niemand, vergleichbar zum damaligen Action-Hit Speed müssen die Leute an Bord kontinuierlich in Bewegung bleiben, immer auf der Flucht vor der Sonne, wenn sie irgendwie am Leben bleiben wollen. Allerdings bringt das zwangsläufig die Gefahr von Monotonie mit sich. Während ein Non-Stop-Bus unterwegs auf viele Hindernisse stößt, die den Fahrplan durcheinanderbringen, gibt es bei dem Flugzeug nur den Nachthimmel. Zwischendurch darf auch mal irgendwo gelandet werden, um neue Vorräte und Ausrüstung zu sammeln, danach geht es schon weiter.

Dass dieses Konzept, so ungewöhnlich es auch ist, letztendlich eine starke Einschränkung darstellt, dessen war sich Serienschöpfer und Drehbuchautor Jason George offensichtlich bewusst. Er zog nur die falschen Schlüsse daraus. Um trotz allem eine Form von Entwicklung in die Geschichte zu bringen, hätten grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung gestanden: 1. Man befasst sich mit dem Phänomen an sich. 2. Man stellt sich der Ausnahmesituation, welche unmenschliche Entscheidungen erfordert. Den ersten Weg ignoriert Into the Night völlig. Aber auch der zweite wird nur halbherzig verfolgt. Ein paar Beispiele für moralisch interessante Fragen gibt es zwar schon – dürfen potenziell gefährliche Mörder aus dem Flugzeug geworfen werden, in dem Wissen, dass sie deswegen unweigerlich sterben? Doch die treten in den Hintergrund, stattdessen wird anders und unnötig für Drama gesorgt.

Das große Drama auf engem Raum
Das hat zum einen die Form von Flashbacks, welche nach und nach die Hintergründe der Figuren darlegen. Und von denen ist einer übertriebener als der andere: In Into the Night gibt es praktisch niemanden, der ein normales Leben führt, der Zufall – oder eben George – hat nur Figuren zusammengeführt, bei denen vorher schon alles kaputt war. Verbrecher, Todkranke, Ehebrecher, Selbstmörder – die Serie ist eine Ansammlung von Ausnahmesituationen. Anstatt den Figuren auf eine natürliche Weise Tiefgang zu verleihen, werden auf denkbar billige Weise Seifenoper-Schicksale kreiert. Der Reiz eines Katastrophenfilms ist eigentlich immer der, dass ganz gewöhnliche Menschen auf einmal in einer Extremsituation ums Überleben kämpfen und man sich durch sie in die Situation versetzt fühlt. Hier funktioniert das praktisch gar nicht: Die Flashbacks machen nicht nur das Tempo kaputt, weshalb sich die Geschichte nicht weiterbewegt. Sie schaden auch den Figuren.

Und als wäre das nicht schon ärgerlich genug, wird auch in der Gegenwart unentwegt Drama hineingebracht, an Stellen, an denen es das gar nicht gebraucht hätte. Jede Begegnung wird hier zu einem Konflikt hochstilisiert, die Leute prügeln unentwegt aufeinander ein, gleichgültig ob das nun gerade angebracht oder wenigstens nachvollziehbar ist. Dass in einer Katastrophe die Nerven schon mal blank liegen, das ist klar. Into the Night fehlt aber auch hier das Gespür für das Menschliche, die willkürlichen Streitigkeiten sind zu offensichtlich reiner Selbstzweck, als dass sie sich aus dem Geschehen ergeben würden. Das ist durchaus schade, da die belgische Serie ein durchaus kompetentes Ensemble vereint. Sympathisch ist zudem, wie oft die Sprache gewechselt wird, passend zu der multinationalen Gruppe, die sich in dem Flugzeug zusammenfindet. Aber das reicht nicht aus: Die Serie und die vielen furchtbaren Figuren beanspruchen die Nerven nicht durch Spannung, sondern aufgrund eines hanebüchenen Skripts.

Credits

OT: „Into the Night“
Land: Belgien
Jahr: 2020
Regie: Inti Calfat, Dirk Verheye
Drehbuch: Jason George
Idee: Jason George
Vorlage: Jacek Dukaj
Musik: Photek
Kamera: Thomas Hardmeier
Besetzung: Pauline Etienne, Laurent Capelluto, Stefano Cassetti, Mehmet Kurtulus, Babetida Sadjo, Jan Bijvoet, Ksawery Szlenkier, Vincent Londez, Regina Bikkinina, Alba Gaïa Bellugi, Nabil Mallat

Trailer

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Stell dir vor, die Sonne ist tödlich und du kannst ihr nur entkommen, indem du mit einem Flugzeug unentwegt nach Westen fliegst. Das Szenario von „Into the Night“ ist bizarr, macht anfangs neugierig durch die hektische Spannung, stößt aber schnell an seine Grenzen. Schlimmer sind aber die Figuren: Anstatt durch eine tatsächliche Entwicklung für Tiefgang zu sorgen, werden hier billige Seifenoper-Schicksale und konstruiertes Drama verbraten.
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von 10