Seitenwechsel Passing Netflix

Seitenwechsel

Inhalt / Kritik

Seitenwechsel Passing Netflix
„Seitenwechsel“ // Deutschland-Start: 10. November 2021 (Netflix)

Als Kinder waren Irene Redfield (Tessa Thompson) und Clare Kendry (Ruth Negga) noch Freundinnen, später trennten sich die Wege der beiden jedoch. Umso größer ist die Überraschung, als sie sich wieder begegnen, nun als erwachsene Frauen. Und auch die Irritation. Beide haben afroamerikanische Wurzeln, sind jedoch von einer helleren Haut als ihre Vorfahren. Während Irene sich jedoch als schwarze Frau versteht und den dunkelhäutigen Doktor Brian Redfield (André Holland) geheiratet hat, gibt sich Clare als weiße Frau aus. Mehr noch, sie ist mit dem Weißen John Bellew (Alexander Skarsgård) verheiratet, der zu Irenes Entsetzen bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine Abscheu vor Schwarzen demonstriert und sie damit in eine Identitätskrise stürzt …

Ein unerwartetes Debüt

Wann immer Schauspieler und Schauspielerinnen die Seiten wechseln und sich im Regiefach versuchen, darf man neugierig sein: Wie wird ihr Debüt wohl ausfallen? Welches Genre wird es sein? Werden sie sich selbst irgendwelche Traumrollen geben? So auch bei Rebecca Hall, die zuletzt mit so unterschiedlichen Werken wie dem Monsterspektakel Godzilla vs. Kong oder dem Horrorrätsel The House at Night von sich reden machte. Anstatt sich an ihren größeren kommerziellen Erfolgen zu orientieren, nahm sie sich bei ihrem Netflix-Drama Seitenwechsel jedoch ausgerechnet ein Buch der Autorin Nella Larsen zur Vorlage. Diese hatte Ende der 1920er zwei Romane geschrieben, dazu ein paar Kurzgeschichten, und setzte sich darin mit Fragen der ethnischen Identität auseinander – im Speziellen als Nachfahrin hell- wie dunkelhäutiger Menschen.

Dass mit Rebecca Hall eine weiße Frau diese Geschichte nun in Filmform erzählt, klang erst mindestens schwierig. Als wäre das sogenannte Whitewashing, wenn Weiße in Filmen die Rollen von People of Color übernehmen, nicht schon fragwürdig genug. Kann es da gut gehen, wenn eine Nicht-Betroffene sich eines derart sensiblen Themas annimmt? Kann eine Britin etwas darüber sagen, was es heißt, in einem rassistischen Amerika der 1920er zwischen zwei Hautfarben zu stehen? Und das auch noch mit einem Debütfilm? Doch das Ergebnis gibt der Nachwuchsfilmemacherin recht. Seitenwechsel ist ein ebenso spannendes wie kunstvoll umgesetztes Drama, das einige interessante Themen anspricht, die auch Jahrzehnte nach Larsens Vorlage relevant sind.

Farbenblind

Die Geschichte klingt dabei natürlich zunächst einmal absurd, zumindest für ein hiesiges Publikum: Eine Schwarze, die sich als Weiße ausgibt, das kann eigentlich nicht gehen. Als wir dann auch noch ihren rassistischen Mann kennenlernen, der über Schwarze herzieht, mit großer Leidenschaft, dann ist endgültig das Ende der Glaubwürdigkeit erreicht. Dabei ist die Situation oft nicht so eindeutig. Seitenwechsel führt gleich in mehrfacher Hinsicht vor Augen, dass es eben doch nicht nur Schwarz und Weiß gibt. Der Film greift einerseits die Problematik auf, die gerade in den USA Menschen gemischter Herkunft haben können – sie sind zu dunkel, um weiß zu sein, aber zu hell, um schwarz zu sein. Andererseits geht es aber gerade auch um Identität als Konstruktion.

Gerade bei Clare, zum Teil aber auch bei Irene hat man das Gefühl, dass sie lediglich Rollen spielen. Das mag aus Selbstschutz geschehen, um sich in einer feindlichen Gesellschaft durchzuschlagen. Oder auch aus der Sehnsucht heraus, einen Platz für sich in dieser Welt zu finden. Da wird gesucht und sich gesehnt, versteckt und geneidet. Denn als wäre es nicht schon kompliziert genug, bei dieser Gratwanderung den nächsten Schritt gehen zu können, wird durch das Spiegelbild der jeweils anderen alles wieder in Frage gestellt. Seitenwechsel zeigt auf, wie beide durch ihre Entscheidungen etwas gewonnen haben – aber auch verloren. Denn eine Entscheidung für heißt auch Entscheidung gegen.

Es war einmal …

Später verliert Hall diesen Aspekt etwas mehr aus den Augen, wenn die universellen Fragen dem persönlichen Verhältnis der beiden Frauen weichen, welches mindestens ebenso komplex ist wie die Frage nach Identität. Sehenswert sind aber auch diese Passagen, gerade auch wegen der starken Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen. Abgerundet wird das Drama, welches auf dem Sundance Film Festival 2021 Premiere feierte, durch die sehr schönen Bilder. Seitenwechsel verwendet das alte 4:3 Format und eine reine Schwarzweiß-Optik mit vielen Grauschattierungen. Das gibt dem Film etwas aus der Zeit Gefallenes, einerseits klassisch und doch irgendwie märchenhaft. Nur dass hier eben nicht von Prinzessinnen und Fabelwesen die Rede ist, sondern von Menschen, die sich selbst zu Geschichten gemacht haben.

Credits

OT: „Passing“
Land: USA
Jahr: 2021
Regie: Rebecca Hall
Drehbuch: Rebecca Hall
Vorlage: Nella Larsen
Musik: Devonte Hynes
Kamera: Eduard Grau
Besetzung: Tessa Thompson, Ruth Negga, André Holland, Alexander Skarsgård

Bilder

Trailer

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„Seitenwechsel“ stellt zwei Frauen gegenüber, die beide von gemischter Ethnizität sind, sich aber für gegenseitige Wege entschieden haben. Der stark gespielte Film stellt dabei spannende Fragen zum Thema Identität, erzählt von der Sehnsucht, einen Platz in der Welt zu haben, kombiniert dabei bittere Momenten mit kunstvollen Schwarzweiß-Bildern.
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