Wir sind die Welle Netflix
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Wir sind die Welle – Staffel 1

Wir sind die Welle Netflix
„Wir sind die Welle – Staffel 1“ // Deutschland-Start: 1. November 2019 (Netflix)

Auch wenn Tristan (Ludwig Simon) noch ganz neu an der Schule ist, er weiß, wie er sich schnell einen Namen macht. So legt er sich schon am ersten Tag mit ein paar Rowdys an, schart aber auch einen Haufen der unterschiedlichsten Leute um sich. Da ist die verwöhnte Lea (Luise Befort), Außenseiter wie Zazie (Michelle Barthel) und Hagen (Daniel Friedl) oder auch Rahim (Mohamed Issa), der aufgrund seiner Herkunft wenig Anschluss hat. So verschieden die Jugendlichen auch sein mögen, so eint sie doch der Frust über gesellschaftliche Missstände. Also beschließen sie, gemeinsam eine Gruppe zu gründen, die nicht länger tatenlos zusehen will, sondern mit Aktionen einen Wandel herbeiführen will. Der Zulauf ist groß, doch das Risiko ist es auch: Während sich immer mehr Mitschüler diesem Kampf anschließen, gerät die Situation zunehmend außer Kontrolle …

Netflix wagt den Großangriff auf deutsche Fernseher und produziert massenhaft heimische Serien! Als das bekannt wurde, war die Freude groß: Befreit von den üblichen Förderungs- und TV-Konsortien-Fesseln durften hiesige Geschichtenerzähler endlich das machen, wofür es vorher kein Geld gab. So richtig erfolgreich war diese Initiative bislang aber nicht. Während Dark tatsächlich auch im Ausland von sich reden machte und How to Sell Drugs Online (Fast) dank des ungewöhnlichen Szenarios und des Titels Aufmerksamkeit erhielt, sind die anderen Serien recht schnell wieder im Streaming-Loch verschwunden. Über Produktionen wie Skylines wurde fast gar nicht mehr gesprochen.

Man ist nie zu jung für ein bisschen Faschismus
Nun startet der nächste Anlauf, ein größeres Publikum für sich zu gewinnen. Die Chance, dass Wir sind die Welle das gelingt, sind sogar gar nicht mal so gering. Zum einen basiert die Serie auf dem Buch Die Welle von Morton Rhue, das Anfang der 80er zeigte, wie schnell faschistoide Gedanken auch in der heutigen Welt noch Fuß fassen können. Außerdem handelt die neue Netflix-Serie von jugendlichen Aktivisten, die für das Klima und allgemein eine bessere Welt kämpfen. Der Zeitpunkt ist ideal, heute fühlt man sich ja wieder politisch und als Teil einer internationalen Protestbewegung. Wir sind Greta!

Der eine oder andere dürfte an dieser Stelle bereits stutzig werden. Ein Buch über die Verführungen rechten Gedankenguts und eine Serie über linke Guerilla-Aktivisten, wie passt das denn zusammen? Antwort: gar nicht. Mit der Vorlage hat das hier praktisch gar nichts mehr zu tun, außer dass es in beiden junge Protagonisten und Protagonistinnen gibt und es zu einer Gruppendynamik kommt. Dabei wäre eine tatsächliche Gleichsetzung einer faschistoiden Vereinigung und eines gut gemeinten Kampfes gegen das Establishment durchaus etwas, über das es sich lohnen würde nachzudenken. Wenn beispielsweise jeden Freitag Schüler auf die Straße gehen, um gegen den Klimawandel zu protestieren, wie viel ist davon einer eigenen Überzeugung geschuldet, wie viel einer Art Gruppenzwang?

Zu wenig und zu viel
Leider hat Wir sind die Welle an dieser Stelle nicht den notwendigen Mut, um die Spur zu verfolgen. Das einzige, was man sich hier traut zu fragen: Heiligt der Zweck alle Mittel? Auch das ist eine im Prinzip lohnenswerte Frage, würde sie konsequent verfolgt. Leider scheitert die deutsche Produktion aber auch an dieser Thematik. Ein Grund ist, dass man sich nicht so ganz entscheiden konnte, ob man nun von der Gruppe und ihren Aktionen sprechen wollte, oder doch nur eine Teenieserie drehen wollte, was mit den üblichen Konflikten einhergeht. Das heißt: ganz viel Drama. Würde sich diese tatsächlich an den Widersprüchen entzünden, ob ein Kampf fürs Gute falsch sein kann, wäre das legitim gewesen. So aber heißt es immer wieder warten, bis die Geschichte mal weitergeht und die Leute fertig sind, schmollend in der Ecke zu stehen und sich gegenseitig anzugiften. Und das kann dauern, da sich vieles doch im Kreis dreht.

Sind dann endlich auch mal Aktionen angesagt, macht Wir sind die Welle tatsächlich Spaß. Ob nun umweltverschmutzende Unternehmen zur Zielscheibe werden oder rechte Hetzer, man dachte sich an diesen Stellen schon einiges aus. Das ist dann oft heillos übertrieben und wie andere Szenen auch so fernab jeglichen Gedankens an Realität oder Wahrscheinlichkeit, dass man seinen Augen nicht zu trauen wagt. Aber eben auch unterhaltsam. Nur bleibt dadurch die Verwunderung bis zum Schluss, was genau die Serie eigentlich wollte. Sie warnt weder vor den Gefahren des Kollektivs, noch setzt sie sich mit den berechtigten Sorgen der Figuren auseinander. Für eine Darstellung der Situation heutiger Jugendlicher ist das viel zu over the top, teils mehr Karikatur als sonst was. Das kann reichen, gerade auch für ein junges Publikum, das selbst nicht weiß, was es mit dieser Welt anzufangen hat. Irgendwie ist dieser Seifenoper-Aktivismus aber eine Verschwendung interessanter und wichtiger Themen. Da waren Filme wie Night Moves oder The East vor einigen Jahren schon deutlich weiter und spannender.



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Eine Gruppe von Jugendlichen, geeint durch ähnliche Ideale, versucht sich an Aktionen gegen das Establishment, bis alles eskaliert. „Wir sind die Welle“ spricht dabei eine Reihe wichtiger Themen an, verpasst es aber, diese auf sinnvolle Weise auch zu verarbeiten. Stattdessen gibt es jede Menge Drama und völlig überzogene Szenen, die unterhaltsam sein mögen, aber kaum zum Nachdenken inspirieren.
5
von 10