Wo die Erde bebt Earthquake Bird Netflix
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Wo die Erde bebt

Wo die Erde bebt Earthquake Bird Netflix
„Wo die Erde bebt“ // Deutschland-Start: 15. November 2019 (Netflix)

Seit einigen Jahren schon lebt Lucy Fly (Alicia Vikander) nun in Tokio, hat sich gut eingelebt, beherrscht die Sprache fließend genug, um als Übersetzerin zu arbeiten. Und doch steckt sie gerade in ziemlichen Schwierigkeiten: Die Leiche einer jungen Frau wurde gefunden, von der vermutet wird, dass es sich um Lily Bridges (Riley Keough) handelt. Und ausgerechnet Lucy soll die letzte gewesen sein, die die junge Auswanderin lebend gesehen hat. Während sie nun der Polizei Rede und Antwort steht, lässt sie die vorangegangenen Wochen Revue passieren. Und damit auch die stürmische Beziehung, die sie mit dem örtlichen Fotografen Teiji (Naoki Kobayashi) hatte …

Man könnte es als komisch empfinden – wäre es nicht so frustrierend. Mal um Mal sucht Netflix profilierte Filmemacher, gerade auch aus dem Genre-Umfeld, um auf diese Weise das Portfolio aufzuwerten. Aber irgendwie scheint da ein kleiner Flucht darauf zu liegen, dass die Zusammenarbeit mit dem Streamingdienst trotz der großen Freiheiten oft so enttäuschend ausfällt. Ob nun Babak Anvari (Wounds), Brad Anderson (Fractured), Vincenzo Natali (Im hohen Gras) oder Jim Mickle (In the Shadow of the Moon), sie alle blieben unter ihren Möglichkeiten, die sie in ihren jeweiligen vorangegangenen Werken gezeigt haben. Und das, obwohl die Besetzung oft namhaft war und die Geschichten interessant begangen.

Auf zu schlechteren Ufern!
Diese Woche kommt mit Wo die Erde bebt ein weiteres Beispiel hinzu, wie anfängliche Neugierde schnell einer Desillusionierung Platz machen. Hier hat es nun Wash Westmoreland erwischt, der sich nach gefeierten Dramen wie Still Alice und Colette an einem ganz anderen Genre versucht und dabei leider ziemlich verhebt. Wobei es nicht ganz klar ist, wie viel von diesem Versagen auf ihn als Regisseur und Drehbuchautor zurückzuführen ist, wie viel auf Susanna Jones. Die Britin lebte einst selbst mehrere Jahre in Japan und verarbeitete diese Erfahrung in dem 2001 erschienenen Roman The Earthquake Bird, welcher dem Film zugrundeliegt.

Als Begegnung zweier Kulturen funktioniert Wo die Erde bebt dann auch tatsächlich ungewöhnlich gut. Anders als so manch anderer Film, der Fernost lediglich als Hintergrunddeko für die Geschichte benutzt, wurde hier wirklich Wert auf Detailarbeit gelegt. Ein Punkt, der sofort auffällt: Alicia Vikander, die für ihre Rolle seitenweise Japanischdialoge auswendig lernen musste und tatsächlich überzeugend rüberbringt. Schön sind aber auch die folkloristischen Elemente, die sich immer mal wieder finden lassen und sich nicht allein auf die Klischees beschränken, die in Japan-Filmen gerne unterkommen. Vor allem fasziniert der Film als Porträt einer Frau, die unbedingt mit dem Hintergrund verschmelzen möchte und dabei alles Innere tief in sich begräbt. Das Motto, nur nicht aufzufallen, das lässt sich wunderbar in einer Geschichte verwenden, die im Land der aufgehen Sonne spielt – wo das Kollektiv immer noch über dem Individuum steht.

Kunstvoll verpacktes Nichts
Da trifft es sich gut, dass die audiovisuelle Umsetzung ebenfalls sehr gelungen ist: Die wunderbaren Bilder von Chung-hoon Chung (Es, Die Taschendiebin) zeigen Tokio von einer finster funkelnden Seite, irgendwo zwischen Alltag und Traum. Untermalt wird das von einem passenden Score, der ebenfalls viel zur Stimmung beiträgt. Doch so gut die Atmosphäre auch ist, es entsteht hieraus so gar keine Spannung. Die Flashbacks, welche nach und nach enthüllen, was geschehen ist, bringen nur wenig Interessantes ans Tageslicht. Das allmählich entstehende Liebesdreieck folgt den üblichen Pfaden, es gibt keine überraschenden Wendungen, selbst die dramatisch angedachte Vorgeschichte entlockt nur ein Schulterzucken: Wo die Erde bebt ist Mystery ohne Rätsel, eine Suche ohne Ziel.

Doch auch bei der Figurenkonstellation enttäuscht der Film: Zwischen Lucy und Teiji entsteht keine nennenswerte Chemie. Wenn die Einwanderin zu dem großgewachsenen Japaner sagt, sie fühle sich zu ihm hingezogen, dann klingt das wie ein auswendig gelernter Satz aus dem Übungsbuch, ohne dass dabei etwas zu spüren wäre. Das passt einerseits natürlich schon zu zwei Menschen, die aus verschiedensten Gründen ihr Inneres vor der Welt verbergen. Es ist nur irgendwie unbefriedigend, ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich gegenüberstehen und auf unterkühlt-rationale Weise über Gefühle sprechen, die für sie selbst Fremdkörper bleiben. Wem Atmosphäre allein reicht, der kann es hiermit versuchen, inhaltlich hat der Netflix-Film jedoch einfach zu wenig zu bieten, sowohl auf der persönlichen wie auch der kriminologischen Ebene.



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Eine Fremde aus dem Westen verliebt sich in Tokio in einen rätselhaften Fotografen und wird verdächtigt, etwas mit dem Mord einer Freundin zu tun zu haben: Der Mystery-Thriller „Wo die Erde bebt“ gefällt durch seine gelungene Atmosphäre und das Porträt einer Frau, die verschwinden will, ist inhaltlich aber zu dünn und enttäuscht auch bei der zwischenmenschlichen Komponente.
5
von 10