Unorthodox Netflix
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Unorthodox

Kritik

Unorthodox Netflix
„Unorthodox“ // Deutschland-Start: 26. März 2020 (Netflix)

Lange hat sie sich darauf vorbereitet, ganz im Geheimen, doch jetzt ist Esty Shapiro (Shira Haas) fest entschlossen: Sie will weg, weg von New York, weg von ihrer streng jüdischen Gemeinde in Williamsburg, weg von den vielen Leuten dort, die unentwegt über ihr Leben bestimmten. Also macht sie sich auf nach Berlin, wo auch ihre entfremdete Mutter Leah Mandelbaum (Alex Reid) wohnt, die damals selbst geflohen ist. Dort trifft sie den jungen Musiker (Aaron Altaras) und die anderen aus der Uni, die ihr helfen, ein neues Leben in der Fremde aufzubauen. Doch die Schatten ihrer Vergangenheit sind ihr dicht auf den Fersen: Ihr Ehemann Yanky (Amit Rahav) und dessen Cousin Moishe Lefkovitch (Jeff Wilbusch) sind ebenfalls die Reise nach Berlin angetreten, um die Frau wieder zurückzuholen …

Irgendwo anders noch einmal komplett neu anzufangen, sich etwas aufbauen, Freunde finden, das ist eigentlich nie wirklich einfach. Vor allem nicht, wenn man sich dabei noch in einem anderen Kulturkreis wiederfinden muss, der einem völlig fremd ist. Eine, die das geschafft hat, ist Deborah Feldman. Sie wuchs in einer streng gläubigen, in sich hermetisch abgeschlossenen jüdischen Gemeinde in New York auf, die so wenig von der Außenwelt wissen wollte, dass sogar der Gebrauch der englischen Sprache verpönt war. Irgendwann ließ sie jedoch all das hinter sich, auch die arrangierte Ehe, fing erst in den USA ein neues Leben an, wo sie ihren Bestseller Unorthodox: The Scandalous Rejection of My Hasidic Roots schrieb, bevor sie nach Berlin zog, wo sie heute lebt.

Von einem Extrem ins andere
Die Netflix-Miniserie Unorthodox übernimmt Teile dieser Biografie, schmückt aber den Teil in Berlin kräftig aus. Als Feldman dort ankam, hatte sie längst ihre Trennung hinter sich, war deutlich gefestigter und konnte sich deshalb besser darauf einlassen. Hier hingegen geht dies mit einem ziemlichen Kulturschock einher. Ausgerechnet ein Mädchen, das 19 Jahre lang in einem mentalen Gefängnis saß, geht in die deutsche Metropole, die sich wie kaum eine andere als Schmelztiegel der unterschiedlichsten Kulturen begreift. Das ist einerseits befreiend, andererseits erschreckend, so wie Esty allgemein im Laufe der vier Folgen oft hin und her gerissen ist zwischen dem, was sie kennt, was sie nicht kennt, was sie will, was sie nicht will.

Das lebt maßgeblich von Hauptdarstellerin Shira Haas, die mit einer Mischung aus Verletzlichkeit und Entschlossenheit zur Sache geht, sich Schritt für Schritt das Recht erkämpft, ein eigenständiger Mensch zu sein. Ebenfalls beeindruckend ist der Auftritt von Amit Rahav, der in der Serie ihren Ehemann spielt. Auch er ist geprägt von den alten Überzeugungen, vergiftet von dem Gedanken, dass Frauen nur Gebärmaschinen sind. Dabei sind es interessanterweise vor allem die anderen Frauen in seiner Gemeinde, die diese Ansicht vehement vertreten, weil sie es nicht anders kennen, nicht anders kennen wollen. So sehr Yanky Esty unterdrückt, er ist selbst Opfer einer Gemeinschaft, die ihm eine Rolle aufzwängt, in die er gar nicht hineinpasst.

Die Opfer der Umstände
Es ist natürlich einfach, diese Gemeinschaft nun zu verteufeln, die gleichermaßen kurios und verstörend ist, dazu sektenartige Eigenschaften pflegt. Nicht allein, dass die Ansichten in unseren Augen grotesk erscheinen und menschenverachtend, so gar nicht mehr mit unserem modernen Leben zu vergleichen. Den meisten Vertretern und Vertreterinnen innerhalb von Unorthodox werden selbst Charaktereigenschaften vorenthalten, dürfen gar nicht mehr als ein Klischee sein – allen voran der widerlich-heuchlerische Moishe. Und doch verurteilt die Serie diese Menschen nicht völlig, zeigt sie vielmehr als Überbleibsel des jüdischen Traumas, das durch den Holocaust angerichtet wurde. Wenn sie möglichst viele Kinder in die Welt setzen wollen, um die sechs Millionen Ermordeten zu ersetzen, dann gewinnen diese Überzeugungen, so fürchterlich sie teilweise auch sein mögen, eine tragische Note. Die Gemeinschaft sucht darin einen Halt, der ihnen brutal geraubt wurde und auch Jahrzehnte später noch fehlt.

Die eher zu Unterhaltungszwecken eingebauten Thrillerelemente, wenn die beiden Männer Esty verfolgen, hätte es hingegen nicht unbedingt gebraucht. Zumal nicht alles davon wirklich nachzuvollziehen ist, da wird dem Publikum selbst eine größere Gutgläubigkeit abverlangt. Schade ist auch, dass die Figuren auf der deutschen Seite reine Nebenprodukte bleiben, die zwar für Esty wichtig sind, ansonsten aber wenig zu tun bekommen. Doch trotz dieser kleineren Schwächen ist Unorthodox eine sehenswerte Serie über eine Selbstfindung, die schmerzhaft, aber doch auch schön ist, mit Hilfe zahlreicher Flashbacks einen Kontrast aufbaut, der sich zwar nie vollkommen auflösen lässt, aber mit einer versöhnlichen und aufmunternden Note endet.

Credits

OT: „Unorthodox“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Maria Schrader
Drehbuch: Anna Winger, Alexa Karolinski, Daniel Hendler, Eli Rosen, Deborah Feldman
Vorlage: Deborah Feldman
Musik: Antonio Gambale
Kamera: Wolfgang Thaler
Besetzung: Shira Haas, Amit Rahav, Jeff Wilbusch, Alex Reid, Ronit Asheri, Gera Sandler, Dina Doron, Aaron Altaras

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„Unorthodox“ erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in ihrer streng gläubigen, jüdischen Gemeinde unterdrückt wurde und nun in Berlin ein neues Leben sucht. Die Serie überzeugt dabei vor allem als beeindruckend gespielter Selbstfindungsprozess, selbst wenn einiges hier ziemlich vereinfacht wurde, auch die Thrillerelemente sind nicht ganz überzeugend.
7
von 10