Der Teufel wohnt nebenan The Devil Next Door Netflix
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Der Teufel wohnt nebenan

Der Teufel wohnt nebenan The Devil Next Door Netflix
„Der Teufel wohnt nebenan“ // Deutschland-Start: 4. November 2019 (Netflix)

Ein freundlicher älterer Mann, glücklich verheiratet, drei Kinder, ein fleißiger Arbeiter, jetzt im Ruhestand, vorbildlich integriert – so war John Demjanjuk, zumindest für sein Umfeld. Umso größer war der Schock, als der gebürtige Ukrainer, der nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA ausgewandert war, mit einem ungeheuerlichen Vorwurf konfrontiert wurde: Er soll in Wahrheit Ivan der Schreckliche sein, der als Wächter in einem Konzentrationslager für unzählige Morde und andere Verbrechen an der Menschlichkeit verantwortlich war. Die Beweislast ist nicht sehr groß, aber doch groß genug für die USA, ihm seine Staatsbürgerschaft abzuerkennen und ihn nach Israel auszuweisen, wo ihm der Prozess gemacht werden soll. Sollte er schuldig gesprochen werden, dann war ihm die Todesstrafe sicher.

Einige werden sich vielleicht noch an die Bilder Demjanjuks erinnern, die vor einigen Jahren durch die Medien gingen, von dem verstorbenen Greis, der früher ein Nazi-Massenmörder gewesen sein soll. Doch die eigentliche Geschichte beginnt viel früher. Die neue Netflix-Dokuserie Der Teufel wohnt nebenan zeichnet den Weg des gebürtigen Ukrainers nach, während ihm in Israel der Prozess gemacht wird. Mit solchen Crime-Dokus hat der Streamingdienst natürlich viel Erfahrung gesammelt, Evil Genius, I’m a Killer und zahlreiche andere Serien haben das nach Nervenkitzel lechzende Publikum bereits erfreut. Insofern ist es eigentlich nicht wirklich was Neues, wenn dieses offensichtlich lukrative Subgenre wieder Zuwachs erhält.

Ein Verbrechen wie keins
Und doch ist Der Teufel wohnt nebenan noch mal ein bisschen anders. Wenn Demjanjuk der Prozess gemacht wird, dann geht es gar nicht zwangsläufig darum, einen Verbrecher für seine Taten zu bestrafen. Vielmehr war die Verhandlung für die Überlebenden wie auch die Angehörigen der Opfer eine Chance, vielleicht die letzte große, sich den unvorstellbaren Abscheulichkeiten des Dritten Reiches zu stellen und das Vergessen zu verhindern. Dass es Demjanjuk war, spielte nicht die große Rolle. Es hätte auch ein beliebiger anderer Nazi-Mörder sein können, so viel wird hier schnell klar. Der Ukrainer war mehr Symbol als Mensch.

Aber war er deswegen auch schuldig? Daran säen nicht nur die Verteidiger und Angehörigen Zweifel, die von Anfang an von einem Schauprozess sprechen. Der Fall war zudem voller Ungereimtheiten und Widersprüche. Die Regisseure Yossi Bloch und Daniel Sivan konzentrieren sich dann auch sehr auf die Frage, ob John nun Ivan der Schreckliche war oder nicht. Das alltägliche Leben des amerikanisch-ukrainischen Seniors wird kaum thematisiert. Vor allem hat es die Serie nach dem Prozess sehr eilig, alles zu einem Schluss zu bringen, was ein wenig bizarr ist, da im Anschluss noch sehr viel geschah. Es ist auch etwas unglücklich, da vieles auf dies Weise nicht vertieft werden kann.

Fragen, größer als die Zeit
Natürlich war die Geschichte des mutmaßlichen Mörders zu groß, um sie in fünf Episoden à 45 Minuten zu packen. Zumal es auch so genug Gesprächsbedarf im Anschluss gibt. Das betrifft die konkreten Fragen zum Ablauf des Falls und ob Demjanjuk zum Sündenbock gemacht werden sollte, zum Stellvertreter für die anderen entlaufenen Nazis, die nie ihre verdiente Strafe erhalten haben. Zu der Frage, wie sinnvoll es allgemein ist, Jahrzehnte nach der Tat noch jemanden dafür belangen zu wollen. Aber auch: Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, in einem solchen Fall für Gerechtigkeit zu sorgen?

Der Teufel wohnt nebenan lässt diese und viele kleinere Fragen anklingen, ohne dafür aber eine Antwort zu geben oder überhaupt zu suchen. Das liegt auch daran, dass es hier niemanden gibt, der wirklich durch den Schlamassel führen würde. Am stärksten vertreten sind noch die beiden Anwälte von Demjanjuk, was der Doku von Anfang an eine bestimmte Neigung verleiht. Aus der Ferne, ohne eigene emotionale Vorgeschichte, sind Zweifel geradezu vorprogrammiert, zumal die Serie jede Wendung im Verlauf auch dermaßen zelebriert, dass man selbst nicht mehr weiß, worauf oder auf wen man sich verlassen soll. Eine stärkere Auseinandersetzung wäre schön gewesen, auch zwischen den Parteien. So aber bleibt man mit zahlreichen Interviews und Originalaufnahmen allein gelassen, die einen entsetzen und verwundern, vielleicht etwas fesseln, doch am Ende nicht wirklich schlauer machen.



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„Der Teufel wohnt nebenan“ nimmt uns mit zu einem Prozess, der herausfinden soll, ob ein älterer Ukrainer nicht in Wahrheit ein bestialischer Nazi-Massenmörder war. Der Fall bringt viele Wendungen mit sich, die einen schnell an allem zweifeln lassen, aber auch zahlreiche Fragen, für deren Beantwortung die Zeit fehlt.