Anatomie eines Skandals Anatomy of a Scandal Netflix
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Anatomie eines Skandals

Anatomie eines Skandals Anatomy of a Scandal Netflix
„Anatomie eines Skandals“ // Deutschland-Start: 15. April 2022 (Netflix)

Inhalt / Kritik

Eigentlich war James Whitehouse (Rupert Friend) gerade auf der Überholspur, dem Westminster-Abgeordneten schienen alle Türen offenzustehen. Doch dann wird er von seiner Vergangenheit eingeholt. Dass die Affäre des Politikers bekannt mit seiner Angestellten wird, ist zwar unglücklich, ließe sich aber verschmerzen. Sehr viel schwerwiegender ist der Vorwurf, er habe sie auch noch vergewaltigt. Während die Kronanwältin Kate Woodcroft (Michelle Dockery) alles dransetzt, um den aus privilegierten Verhältnissen stammenden Überflieger zu überführen, befindet sich James’ Ehefrau Sophie (Sienna Miller) in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite verletzt sie der Betrug schwer und stürzt die Ehe in eine Krise. Gleichzeitig fühlt sie sich zu Loyalität verpflichtet, zumal sie von seiner Unschuld überzeugt ist. Doch was, wenn an der Geschichte mehr dran ist?

Die Frage nach der Gerechtigkeit

Offensichtlich hat David E. Kelley Gefallen an dem Motiv einflussreicher weißer Männer gefunden, die irgendwelcher Straftaten beschuldigt werden und damit ihre Frauen in die Bredouille bringen. Erst erzählte der für TV-Produktionen wie Chicago Hope und Ally McBeal bekannt gewordene Serienschöpfer in The Undoing, wie ein Arzt seine Geliebte ermordet haben soll. Nun folgen wir in dem von ihm und Melissa James Gibson erdachten Netflix-Serie Anatomie eines Skandals einem Politiker, der zwar niemanden getötet hat, dafür aber seine Geliebte vergewaltigt haben soll. Erneut handelt es sich dabei um eine Romanadaption, dieses Mal stand ein Buch von Sarah Vaughan Pate. Erneut geht es um die Ehefrau, die in dieser Situation gefangen ist und sich fragen muss, ob sie den Mann, mit dem sie seit vielen Jahren verheiratet ist, tatsächlich kennt.

Die Verschiebung des mutmaßlichen Verbrechens weg von einem Mord hin zu einer Vergewaltigung macht die Geschichte zwangsläufig alltäglicher. Tatsächlich greift Anatomie eines Skandals ein Thema auf, das seit der #MeToo-Bewegung immer wieder diskutiert wird: Gewalt gegenüber Frauen. Ein Thema, das von dem immer gleichen Problem der schwierigen Beweisführung geprägt ist. Wo keine wirklichen Beweise vorliegen, sondern bloße Indizien, läuft es fast immer auf eine He-Said-She-Said-Situation hinaus. Und das bedeutet immer ein Dilemma für diejenigen, die über den Sachverhalt zu urteilen haben. Während die eine Seite nicht ohne Grund darauf hinweist, dass niemand nur aufgrund einer Anschuldigung verurteilt werden sollte, betont die andere, dass Opfer auf diese Weise niemals Gerechtigkeit erfahren werden. Sie haben schlicht keine Chance, dass die Verbrechen ihnen gegenüber offiziell werden und entsprechend bestraft werden.

Zu viel und zu wenig

Daraus hätte man grundsätzlich eine spannende Geschichte machen können, sei es als grundsätzliche Überlegung zum Thema Gerechtigkeit oder auch zum Komplex der individuellen Wahrnehmung. So ist nicht auszuschließend, dass die vergewaltigende Seite – also meistens der Mann – gar nicht wirklich realisiert, was sie da tut. Das wiederum lässt Rückschlüsse auf die Gesellschaft und Geschlechterrollen zu. Anatomie eines Skandals macht daraus aber nichts. Die Frage der Wahrnehmung wird nur mal kurz angeschnitten. Die Grundsatzdiskussion findet nicht statt. Besonders bizarr ist in dem Zusammenhang, dass das mutmaßliche Opfer, eine Angestellte des Protagonisten, in der Geschichte kaum vorkommt. Es wird fast ausschließlich aus der dritten Person über sie gesprochen, was bei dem Thema sicher nicht die glücklichste Entscheidung ist.

Stattdessen wird die Geschichte anderweitig aufgebauscht. Dies betrifft einerseits den Inhalt, wenn es irgendwann auf einmal um ganz andere Dinge geht, welche James betreffen. Das mag zur Charakterisierung des Protagonisten beitragen und wie dieser funktioniert. Es führt aber auch dazu, dass nie ganz klar wird, was Anatomie eines Skandals denn eigentlich aussagen will. So wichtig die diversen Themen sind, die hier eingebaut werden, so wenig hat die Serie substanziell zu den Debatten beizutragen. Dafür gibt es ein paar inszenatorische Spielereien, die zwar schon nett sind, gleichzeitig aber recht selbstverliebt. Und auch sie tragen dazu bei, dass die wesentlichen Punkte kaum zur Geltung kommen. Zusammen mit den durch die Bank weg unsympathischen, teils willkürlich handelnden Figuren überwiegt bald die Irritation – und der Frust darüber, was aus dem Stoff gemacht wurde.

Credits

OT: „Anatomy of a Scandal“
Land: UK
Jahr: 2022
Regie: S. J. Clarkson
Drehbuch: Melissa James Gibson, David E. Kelley
Idee: Melissa James Gibson, David E. Kelley
Vorlage: Sarah Vaughan
Musik: Johan Söderqvist
Kamera: Balazs Bolygo
Besetzung: Sienna Miller, Michelle Dockery, Rupert Friend, Naomi Scott, Josette Simon

Bilder

Trailer

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Anatomie eines Skandals
Fazit
Wenn in „Anatomie eines Skandals“ ein Politiker eine Angestellte vergewaltigt haben soll, dann spricht das eine Reihe wichtiger Themen an. Anstatt sich aber wirklich dieser Auseinandersetzung zu widmen, gibt es irritierende inszenatorische Spielereien und eine Geschichte, die unbedingt größer sein will und dabei das Wesentliche aus den Augen verliert.
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