Apple Cider Vinegar

Der Schock ist groß bei Milla Blake (Alycia Debnam-Carey), als sie erfährt, dass sie Krebs in ihrem Arm hat. Umso mehr, da die Behandlung vorsehen würde, den kompletten Arm zu amputieren. Davon will die junge Frau aber nichts wissen. Stattdessen sucht sie nach alternativen Heilmethoden und wird dadurch zu einem Star im Internet, dem zahlreiche andere Menschen folgen. Zu diesen gehört auch Belle Gibson (Kaitlyn Dever), die ebenfalls ihren Krebs mit anderen Mitteln besiegen will. Damit wird sie selbst zu einer Berühmtheit, eine App wird zum Verkaufsschlager, ein Kochbuch soll folgen. Die Sache hat aber einen Haken: Belle hat überhaupt keinen Krebs. Doch die Lüge hat sich längst verselbständigt und wird mit jedem Auftritt größer …

Die wahre Geschichte einer Betrügerin

Diese Woche war Netflix sehr großzügig, was die Veröffentlichung neuer Serien angeht. Da ist der mexikanische Thriller Zelle 211 über einen Menschenrechteanwalt, der in einen Gefängnisaufstand hineingezogen wird. Der deutsche Retro-Science-Fiction-Beitrag Cassandra nimmt das beliebte Motiv einer verrückt spielenden Technik, veranschaulicht durch einen 70er-Jahre-Roboter. Und dann ist da noch die klassische Krimiserie Die Åre Morde, die in einer ländlichen Gegend spielt. Mit Apple Cider Vinegar nimmt uns der Streamingdienst mit nach Australien und stellt uns zwei junge Frauen vor, die mit ihren alternativen Heilmethoden schwere Krankheiten besiegen wollen und dadurch zu einer Internetsensation werden.

Das könnte manchen bekannt vorkommen. Zwar handelt es sich bei der Serie um eine fiktionalisierte Fassung. Der Kern ist jedoch wahr: Belle Gibson gab es wirklich. Die junge Australierin war an einer sehr populären App beteiligt und arbeitete auch anderweitig daran, durch die Medien an Bekanntheit zu gewinnen. Apple Cider Vinegar stellt die inzwischen überführte Betrügerin in den Mittelpunkt, kontrastiert sie aber mit einer anderen jungen Frau, die ebenfalls eine konventionelle Medizin ablehnt und andere Wege sucht. Interessant ist aber, dass die eine tatsächlich krank ist und an die Alternative glaubt, während Belle primär andere Interessen verfolgt. Wobei Serienschöpferin Samantha Strauss es ein wenig offenlässt, ob die eigentliche Motivation Geld oder Ruhm ist. An manchen Stellen ist nicht einmal sicher, ob die Protagonistin nicht vielleicht selbst an ihre Lügen glaubt.

An der Oberfläche

Das ist prinzipiell eine spannende Frage. Während aber Milla auf ihrem medizinischen Irrweg eine gewisse Nachdenklichkeit mitbringt und somit zu einer differenzierteren Figurenzeichnung beiträgt, gibt es bei Belle keinerlei Entwicklung. Ihre Lügen werden immer größer und abenteuerlicher, zeitweise ist das so absurd, dass man sich fragt, ob Apple Cider Vinegar nicht vielleicht eine Satire sein soll. Als Mensch tut sich da aber nur wenig. Auch sonst ist die sechsteilige Serie nicht wirklich tiefgründig. So wird beispielsweise nie ergründet, warum es so viele Leute gibt, die ihren Unsinn bereitwillig glauben wollten. Ebenso wenig wird die Verantwortung von Medien hinterfragt, die selbst von dem Hype profitierten. Das bleibt zu schematisch.

Insgesamt ist die Serie dabei durchaus sehenswert. Man braucht zwar ein wenig Geduld, da die einzelnen Folgen jeweils eine Stunde lang sind, was es so nicht gebraucht hätte. Aber es sind doch genügend Szenen dabei, die Eindruck hinterlassen, entweder weil sie wütend machen oder tragisch sind. Gerade die Geschichten rund um Milla dürfen zu Herzen gehen. Mit ihrer selbstgerechten Art ist sie zwar ebenso wenig eine Sympathieträgerin. Und doch kann man Mitleid mit dieser jungen Frau entwickeln, der so übel mitgespielt wurde und die letztendlich selbst ein Opfer ist. Das funktioniert auch wegen der guten Besetzung: Kaitlyn Dever (No One Will Save You) und Alycia Debnam-Carey (Zeig mir, wer du bist) füllen die Rückschau mit Leben und machen Apple Cider Vinegar zu einem soliden Beitrag über den (fast) alltäglichen Wahnsinn.