Calibre
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Calibre – Weidmannsunheil

„Calibre – Weidmannsunheil“, UK, 2018
Regie: Matt Palmer; Drehbuch: Matt Palmer; Musik: Anne Nikitin
Darsteller: Jack Lowden, Martin McCann

Calibre
„Calibre – Weidmannsunheil“ ist seit 29. Juni 2018 auf Netflix verfügbar

Seit vielen Jahren schon sind Vaughn (Jack Lowden) und Marcus (Martin McCann) miteinander befreundet. Und so zögert Vaughn auch nicht, als ihn sein alter Kumpel zu einem kleinen Wochenendtrip überredet. Ziel der Reise sind die schottischen Highlands, in deren Wildnis die beiden auf die Jagd gehen wollen, ein bisschen den Alltag vergessen. Die ersten Begegnungen mit den Einheimischen sind etwas zwiespältig, enden dann aber doch in einer feuchtfröhlichen Nacht. Schon am nächsten Tag ist jegliche Urlaubsstimmung jedoch dahin, als es während der Jagd zu einem Unglück kommt, der das Leben der beiden für immer verändern wird.

In den ersten Minuten von Calibre – Weidmannsunheil ahnt man noch, worauf das Ganze hinausläuft. Meint es zu ahnen. Zwei Freunde, die es in die Wildnis verschlägt, in ein Dorf, in dem Fremde ungern gesehen werden und die Zeit still zu stehen scheint, das verspricht nichts Gutes. Ein Dorf, in der schon ein harmloser Blick Anlass für gewaltsame Auseinandersetzungen sein kann, wie wir in einer der ersten Szenen erfahren. Viele Horrorfilme und Thriller greifen auf dieses Szenario zurück, um anschließend eine blutig-perfide Jagd auf die Neuankömmlinge zu veranstalten – gesehen zuletzt beispielsweise in Killing Ground oder 31 – A Rob Zombie Film.

Spannung zwischen zwei Freunden
Doch Regisseur und Drehbuchautor Matt Palmer, der hier nach diversen Kurzfilmen sein Langfilmdebüt abliefert, hatte etwas anderes vor. Die ersten offensichtlichen Gefahrenzonen können seine zwei Protagonisten noch durchqueren, Calibre ist nicht der erwartete Backwood-Slasher. Allgemein hat es der Thriller nicht so wahnsinnig mit Action, trotz der auf Bildern prominent in Szene gesetzten Gewehre. Spannend ist der Film, der auf dem Edinburgh International Film Festival 2018 Premiere feierte und nun auf Netflix erhältlich ist, aber auch so.

Es ist vor allem eine psychische Spannung, verursacht durch die beiden Figuren. Sie mögen schon lange miteinander befreundet sein, so richtig ähnlich sind sie sich aber nicht. Der Kontrast zwischen den zweien, wie sie auf ihre jeweilige Weise mit der Situation umgehen, trägt maßgeblich zu der steigenden Intensität dabei. Kein Schlamassel kann so groß sein, dass man es nicht noch irgendwie schlimmer machen könnte. Calibre lebt davon, wie ein unglücklicher Zufall eskaliert, einen Rattenschwanz von anderen Problemen nach sich zieht, man nur darauf wartet, wie weit sich der Film in die Abgründe wagt.

Gelungene Atmosphäre
Die relativ geradlinige Geschichte ist dabei jedoch weniger die Stärk von Calibre. Es ist die Umsetzung, mit der die britische Produktion beim Publikum punktet. Die finsteren Wälder und das immer latent bedrohliche Dorf geben die unheimliche Stimmung vor, die von einer bedrohlich brummenden Musik noch weiter unterstützt wird. Und natürlich von den beiden Hauptdarstellern. Martin McCann ist so manchem durch seine intensive Darstellung in dem Endzeitthriller The Survivalist noch in guter Erinnerung geblieben. Ein Eindruck, der sich hier dann bestätigt. Jack Lowden, der hauptsächlich durch Bühnenauftritte bekannt ist, aber auch in Dunkirk eine größere Rolle hatte, steht dem nicht nach. Er mimt den zugänglicheren der beiden Freunde. Ein schüchterner, netter Kerl, der mit der Situation heillos überfordert ist.

Dass Netflix offensichtlich keine großen Erwartungen in den Film hatte, ihn ohne große Ankündigung und ohne Synchronisation abgeladen hat, ist schade und wird ihm auch nicht gerecht. Anders als so manch großer Inhouse-Kollege überzeugt Calibre aus eigener Kraft, muss keine großen Namen vor sich hertragen. Größere Ambitionen pflegt Palmer dabei nicht. Es ist noch nicht einmal so, dass sein Debüt übermäßig einfallsreich wäre. Aber die beklemmende, sich kontinuierlich verstärkende Atmosphäre ist Grund genug für Genrefans, diese Low-Budget-Produktion einmal in Augenschein zu nehmen und sich eine Weile in den Wäldern zu verlaufen, die hier niemandem Glück bringen.



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„Calibre – Weidmannsunheil“ weckt zunächst Erinnerungen an Backwood-Slasher, bevor sich die Geschichte in eine andere Richtung weiterentwickelt. Sie bleibt dabei trotzdem relativ gradlinig, ist aber sehr atmosphärisch umgesetzt, erzeugt viel Spannung und profitiert von zwei überzeugenden Hauptdarstellern in gegensätzlichen Rollen.
7
von 10