Kodachrome
© Netflix

Kodachrome

„Kodachrome“, USA, 2017
Regie: Mark Raso; Drehbuch: Jonathan Tropper; Musik: Agatha Kaspar
Darsteller: Ed Harris, Jason Sudeikis, Elizabeth Olsen

Kodachrome
„Kodachrome“ ist seit 20. April 2018 auf Netflix verfügbar

Wie lange ist es her, dass sie sich nicht mehr gesehen haben? Zehn Jahre? Gesprochen haben sie seither nicht, Matt Ryder (Jason Sudeikis) hat auch überhaupt keine Lust dazu. Schließlich war sein Vater Ben (Ed Harris) immer mehr an seiner Arbeit als Fotograf interessiert als an ihm hat seine Frau wie Dreck behandelt und ist auch so ein ziemliches Arschloch. Als eines Tages dessen Krankenschwester/Assistentin Zoe Barnes (Elizabeth Olsen) auftaucht und Matt eröffnet, dass Ben nur noch wenige Monate zu leben hat, dann lässt ihn das deshalb erst einmal relativ kalt. Ebenso dessen Wunsch, quer durch die USA zu fahren, um seine letzten Kodachrome-Fotos entwickeln zu lassen. Andererseits: Matt steht kurz davor, seinen Job bei einer Plattenfirma zu verlieren. Und ausgerechnet Bens Manager könnte ihm helfen, doch noch einen Coup zu landen …

Das ewige Leid mit der Familie
Man muss seine Familie nicht zwangsweise lieben. Wir wünschen es uns natürlich, es ist auch der immer propagierte Idealfall. Dass das Leben aber nicht immer ideal verläuft, das wissen wir alle irgendwo. Oder die meisten zumindest. Von solch einem wenig idealen Leben erzählt Kodachrome, das letztes Jahr auf dem Toronto International Film Festival seine Premiere feierte und nun auf Netflix verfügbar ist. Genauer erzählt das Drama von zwei solchen Leben. Nicht nur dass bei Ben und Matt vieles im Argen liegt, woran Ben einen Löwenanteil der Verantwortung trägt. Auch bei Zoe hat irgendwie nichts so geklappt, wie sie es sich wünschte.

Das ist erst einmal sympathisch, es beruhigt schließlich zu sehen, wenn andere Leute genauso kaputt sind. Außerdem können wir uns dann in ihnen wiederfinden. Außer ihr Leben ist auf andere Weise ungewöhnlich. Wie hier. Ein weltberühmter Fotograf, der im Laden von wildfremden Leuten erkannt wird und in einer Villa lebt? Ein Mann von einem Plattenlabel, der mit einigen der größten Indie-Idole unserer Zeit zu tun hat? Nein, das mit dem Hineinversetzen in deren Lage ist da dann doch nicht ganz so leicht.

War früher alles besser?
Zumal Drehbuchautor Jonathan Tropper (Sieben verdammt lange Tage) gar nicht so wahnsinnig viel mit diesem speziellen Szenario anzufangen weiß. Matt darf in einer Szene mit Zoe über Musik anno 2000 fachsimpeln, ein paar größere Namen fallenlassen, was die Nostalgiker unter uns zwischen 30 und 40 freuen könnte. Zumindest die aus dem etwas alternativeren Genrelager. Außerdem wird ihm auf diese Weise der Roadtrip schmackhaft gemacht. Richtig verknüpft damit ist der Musikpart aber nicht.

Gleiches gilt für das Thema Fotografien. Inspiriert von einem Zeitungsartikel in der New York Times über das Ende der Kodachrome-Entwicklung ist das eigentlich eine Steilvorlage für eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bzw. Vergänglichkeit. Sind die Veränderungen Fortschritt? Oder bedeuten sie in erster Linie Verlust? Kodachrome kann sich an der Stelle nicht zu einer richtigen Antwort durchdringen. Während das Drama einerseits auf der persönlichen Ebene darauf verweist, mehrfach, die Vergangenheit ruhen zu lassen, schleicht sich an der Stelle eine unverhohlene Nostalgie ein. Das ist ein ebenso ironischer Widerspruch wie der, dass der Film ausgerechnet bei Netflix läuft – den viele als das Ende des klassischen Kinos sehen. Ein Widerspruch, den hier aber niemand bemerkt hat.

Der Weg ist lang und langweilig
Aber auch an anderen Stellen ist der Roadmovie inhaltlich nicht besonders befriedigend. Die Ausgangssituation – zwei entfremdete Menschen nähern sich auf einer Rundreise wieder an – ist nun wirklich nicht besonders originell. Die Vater-Sohn-Variante war zuletzt in Helle Nächte zu sehen, bei Leanders letzte Reise waren es ein Großvater und eine Enkelin, Wer ist Daddy? brachte zwei Brüder wieder zusammen. Ein solches Szenario kann ganz wundervoll sein, wenn man es à la Nebraska mit interessanten Situationen und spannenden Figuren füllt. Kodachrome hat jedoch keines davon. Keine überraschenden Ereignisse, die sich unterwegs zutragen, die einzelnen Zwischenstationen sind veralteter als jeder Kodachrome-Film. Regisseur Mark Raso (Copenhagen) gibt sich auch keine sonderliche Mühe dabei, die Annäherung in irgendeiner Form emotional nachvollziehbar zu gestalten. Es gibt gerade mal eine Szene, mit der die Aussöhnung gerechtfertigt werden soll – bei einer Laufzeit von 105 Minuten ist das schon recht dürftig.

Und doch, man muss sich zum Ende hin trotz der offensichtlichen Manipulationen und plumpen Taschenspielertricks ein wenig zusammenreißen, wenn es auf die emotionale Zielgerade geht. Denn was das Drehbuch an Leben vermissen lässt, das machen die Schauspieler zum Teil zumindest wieder wett. Ed Harris verkörpert das selbstbezogene, zugleich destruktive Arschloch so überzeugend, dass es doch Spaß macht ihm zuzusehen. Und auch die gemeinsamen Szenen von Sudeikis und Olsen bescheren uns den einen oder anderen rührenden Moment. In der Summe ist das zwar nicht besonders viel, Kodachrome ist ein Film, den es angesichts der großen Zahl ähnlicher Werke nicht wirklich braucht. Aber er erfüllt doch seinen Zweck und sei es nur um sich vergewissern zu lassen, dass auch bei kaputten Familien das letzte Woche noch nicht gesprochen sein muss.



(Anzeige)

„Kodachrome“ erzählt davon, wie ein entfremdetes Vater-Sohn-Gespann auf einem 2000 Meilen langen Trip wieder zueinanderfindet. Das ist nicht wirklich originell, gibt sich weder bei den Figuren und Erlebnissen viel Mühe, noch bei der Annäherung. Die diversen Schwächen des Drehbuchs werden aber zumindest teilweise durch die Schauspieler wieder ausgeglichen, dazu gibt es für Nostalgiker einige Häppchen.
5
von 10