Boi Netflix
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Boi

Boi Netflix
„Boi“ // Deutschland-Start: 26. Juli 2019 (Netflix)

Privat läuft es bei Boi (Bernat Quintana) gerade nicht so toll, beruflich sieht es auch nicht wirklich besser aus. Denn eigentlich wäre er ja ganz gerne Autor geworden. Der Erfolg lässt jedoch zu wünschen übrig, er findet einfach keinen Verleger für sein Buch. Und so verdient der Endzwanziger sein Geld erst einmal als Chauffeur. Aber auch da läuft das alles nicht so wie gedacht. Denn als er den beiden asiatischen Geschäftsmännern Michael (Andrew Lua) und Gordon (Adrian Pang) begegnet, ist das der Auftakt einer sonderbaren Fahrt, die das eine oder andere Opfer kosten wird.

Mit spanischen Thrillern ist Netflix zuletzt ja ganz gut gefahren. Sowohl das wendungsreiche Zeitreiseabenteuer Parallelwelten wie auch wie Vater-Sohn-Geschichte Tu hijo – Sohn der Vergeltung haben ihre Fans gefunden. Da liegt der Verdachte nahe, dass mit Boi eben diese Zielgruppe bei Laune gehalten werden soll, wenn ein Chauffeur immer tiefer in eine finstere Geschichte hineingezogen wird. Denn dass da irgendwas mit den beiden Gästen nicht stimmt, die er durch Barcelona kutschieren soll, das wird relativ schnell eindeutig.

Eine Nacht voller Rätsel
Wobei Eindeutigkeit sicherlich nicht das hervorstechendste Merkmal des spanischen Films ist. Im Gegenteil: Boi ist ein äußerst seltsamer Thriller, der sich sehr bewusst im Vagen aufhält. Wer genau die zwei Männer sind, die mit westlichen Namen unterwegs sind, und was sie in der Stadt zu suchen haben, das verrät Regisseur und Drehbuchautor Jorge M. Fontana nicht. Er wird es auch später nicht wirklich verraten, wenn die Geschichte eskaliert, das Risiko immer größer wird und auch andere Figuren ins Blickfeld geraten, denen wir besser nicht begegnen wollten.

Atmosphärisch ist das Fontana ausgesprochen gut geglückt. Boi hat deutliche Neo-Noir-Anleihen, wenn wir durch das nächtliche Barcelona fahren. Und selbst tagsüber hat die spanische Metropole immer etwas Finsteres, Bedrohliches an sich. Und etwas Unwirkliches: Der Film spielt immer wieder mit Elementen des Magischen Realismus, hat eine etwas traumartige Note, die zuweilen offen lässt: Geschieht das hier wirklich? Träumt Boi vielleicht? Oder sind wir in seinem Roman gelandet, der sich gerade selbst schreibt und auf der Suche nach einem Ausgang ist?

Verloren im eigenen Leben
Ein wenig ist Boi dann auch ein Drama bzw. das Porträt eines Mannes am Scheideweg. Verfolgt er weiter seinen Traum oder gibt er sich der Realität geschlagen? Wie soll er mit seiner gescheiterten Beziehung umgehen? Wer will er überhaupt sein? Ganz greifbar wird die Titelfigur dabei nicht, er ist mehr Getriebener als wirklicher Akteur. Und damit alles andere als ein Held. Eher steht er in der Tradition anderer Protagonisten, die stellvertretend für das Publikum in Situationen geraten, die größer sind als sie und an denen sie sich beweisen müssen. Nur dass Boi das eben nicht tut, von allem zwar mitgenommen wird, ohne daraus je seine Stärke zu beziehen.

Ob die Zuschauer und Zuschauerinnen da mitziehen werden, bleibt abzuwarten. Die Verwirrung des Protagonisten, was das eigentlich alles soll, werden sie aber mit Sicherheit mittragen. Denn so ganz befriedigend ist Boi dann doch nicht. Immer wieder werden zwar interessante Themen angeschnitten, auch gesellschaftlicher Natur. Aber diese kurzen Einblicke enden ebenso nebulös wie die Thrillermomente. Es ist noch nicht einmal so, dass diese surrealen Anleihen konsequent verfolgt würden. Ähnlich etwa zu Das Komplott – Verrat auf höchster Ebene baut Fontana Momente ein, die einen an allem zweifeln lassen, bleibt dabei aber so zurückhaltend, dass man das Mysteriöse nur erahnen kann. Im Vergleich zu dem zuletzt katastrophalen Output von Netflix ist das hier zwar deutlich interessanter, der große Geheimtipp springt aber nicht heraus, dafür finden die Bestandteile zu wenig zusammen.



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In „Boi“ versucht sich ein gescheiterter Autor als Chauffeur und wird dabei in eine finstere Geschichte hineingezogen. Der spanische Thriller gefällt durch seine Neo-Noir-Atmosphäre und die leicht surrealen Anleihen, spricht zudem auch interessante Themen an. Leider verfolgt der Film aber keine dieser Spuren konsequent genug, weshalb ein zwar irgendwie reizvolles, letztendlich aber unbefriedigendes Werk dabei herausspringt.
6
von 10