Escaping Twin Flames

An True Crime Dokus mangelt es auf Netflix momentan eigentlich nicht, da werden wieder zuverlässig nahezu jede Woche neue Titel veröffentlicht. Diesen Monat gab es beispielsweise Der Fall Jens Söring – Tödliche Leidenschaft über den jungen deutschen Studenten, der wegen eines brutalen Doppelmords verurteilt wurde. Cyberbunker: Darknet in Deutschland erzählt die unglaubliche Geschichte von geheimen Servern, die in einem Bunker versteckt wurden und Schauplatz zahlreicher Verbrechen waren. In eine ganz andere Richtung geht nun Escaping Twin Flames. Zwar hat auch die dreiteilige Serie im weitesten Sinn mit dem Internet zu tun. Im Mittelpunkt steht jedoch vielmehr ein Kult namens Twin Flames Universe, der auf perfide Weise das Vertrauen der Menschen missbraucht.

Der Glaube an die Liebe

Dass das Themengebiet zwischen Kult, Sekte und Religion sehr ergiebig ist, hat der Streamingdienst zuvor schon mehrfach bewiesen. Ob es nun das spöttische How to Become a Cult Leader war oder das erschütternde Die dunkle Seite der Kirche La Luz del Mundo über systematischen Missbrauch, sie alle zeigen, wie Menschen einander hörig werden und sich alles Mögliche antun lassen, wenn es vermeintlich einem höheren Zweck dient. Bei Escaping Twin Flames ist das die Liebe. So versprechen Shaleia und Jeff Divine, dass es für jeden Menschen einen absoluten Seelenverwandten gibt. Wer diesen findet, der findet auch die ewige Liebe. Das hört sich eigentlich gar nicht so schlimm an. Was spricht schon dagegen, anderen bei ihrer Suche nach dem Glück zu helfen?

Das Ergebnis war aber nicht ganz so schön, wie es die beiden ständig vorgesäuselt haben. Zumindest die Menschen, die selbst den zweien auf den Leim gegangen sind und hier von ihren Erfahrungen berichten, haben nicht viel Nettes über die selbsternannten Liebeshelfer zu sagen. Stattdessen gibt es die typischen Tricks und Mechanismen, die man bei solchen Kulten findet. So versuchte man, die Einsamen noch einsamer zu machen und damit empfänglicher für Manipulationen und Versprechungen. Da dürfen schon mal Familien auseinanderbrechen. Sollen sie auch: Wem ein Umfeld mit Außenperspektiven fehlt, der geht schon mal leichter in einer solchen Blase verloren. Escaping Twin Flames hat da einige bittere Geschichten auf Lager.

Der Absturz aus dem Himmel

Wobei – wie so oft bei Kulten – nie ganz klar wird, ob die göttlichen Amors an die seltsamen bis befremdlichen Sachen glauben, die sie so von sich gegeben haben. Wenn Jeff beispielsweise irgendwann davon überzeugt ist, eigentlich Jesus zu sein, mag das Teil einer Masche sein. Oder eben Ausdruck einer tatsächlichen geistigen Störung. An der Stelle wird Escaping Twin Flames fast schon komisch und man fragt sich, wie jemand diesem Unsinn glauben konnte. Von den Stellen ganz zu schweigen, wo sich die Menschen von den zwei zu allem Möglichen überreden ließen. Aber das ist keine Seltenheit. Bei den obigen Sekten-Dokus durfte man als Außenstehender regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und die Welt nicht mehr verstehen.

Wobei das hier noch einmal etwas anders ist. Wo die meisten Sekten dafür sorgen, dass die Gläubigen wenig Kontakt mit der Außenwelt haben und sie an einen Ort sperren, da funktioniert das bei Internet-Gurus natürlich nicht. Andererseits ist Escaping Twin Flames auch ein Beispiel dafür, wie einfach man den Versprechungen anderer erliegen kann. Das ist hier tragisch, da auf diese Weise die zutiefst menschliche Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit ausgenutzt wird. Leute, die einen Platz für sich suchen, an den sie gehören, werden gebogen und gebrochen. Anstatt den Platz im amourösen Himmel zu bekommen, der ihnen in Aussicht gestellt wurde, kann es zu einem bösen Absturz kommen – zumindest bei denen, deren Geist nicht völlig vergiftet wurde.