Take your Pills
© Netflix

Take Your Pills

„Take Your Pills“, USA, 2018
Regie: Alison Klayman

Take your Pills
„Take Your Pills“ ist seit 16. März 2018 auf Netflix erhältlich

Früher nahmen Studenten Pillen, um den Lernalltag hinter sich zu lassen. Heute nehmen sie sie, um überhaupt hineinzukommen. Es hört sich absurd an, was wir an der Stelle in Take Your Pills zu hören bekommen. Komisch sogar. Man möchte lachen, so wie man an vielen Stellen in der Dokumentation lachen möchte. Wenn es nur nicht so verdammt ernst wäre. Denn was diese über den Gebrauch von leistungssteigernden Mitteln in den USA sagt, über den Missbrauch im Alltag, das ist schon eine bittere Pille, die man als Zuschauer zu schlucken bekommt.

Ritalin ist eines dieser Mittel, die hier eingeworfen werden, als wären es kleine Naschereien für zwischendurch. Bekannt ist es in erster Linie als Medikament, das bei einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung eingesetzt wird – kurz ADHS. Also jener Erkrankung, an der sich die Geister scheiden, wie oft es sie denn nun wirklich gibt. Bedeutet die rasant steigende Zahl der Fälle, dass die Gesellschaft heute bewusster mit der Störung umgeht, während sie früher einfach ignoriert wurde? Oder handelt es sich vielmehr um ein Modelabel, in das die Kinder der Einfachheit halber eingekleidet werden, um Versagen an der Schule besser erklären zu können und Verantwortung abschieben zu können?

Die Pille als Schulmittel
Um Versagen an der Schule geht es in dem Netflix-Film dann auch sehr oft. Oder besser: um die Konkurrenzfähigkeit. Was ursprünglich als medikamentöse Unterstützung einer tatsächlichen Erkrankung gedacht war, mutierte so zu einer Allzweckwaffe, um sich im täglichen Wettstreit durchsetzen zu können. Wer regelmäßig ein Pillchen einnimmt, der ist motivierter, kann sich besser konzentrieren und schneidet dadurch insgesamt besser ab. Und das ist schließlich die Hauptsache.

Regisseurin Alison Klayman geht es in ihrer Dokumentation dann auch weniger darum, die Risiken und Nebenwirkungen eines solchen Medikaments näher zu beleuchten oder ob diese eine Daseinsberechtigung haben. Allgemein hält sie sich mit Kontexten und wissenschaftlichen Erklärungen zurück. Wichtiger war es ihr, eine Gesellschaft aufzuzeigen, die aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit reflexartig zu Medikamenten greift. Der jedes Mittel recht ist, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Lieber eine Pille zu viel nehmen als zu wenig, wer nicht vorne mitläuft, wird abgehängt. Dass diese medizinisch oft nicht notwendig wären, wird da schnell zur Nebensache. Ebenso dass Kinder hiermit ihre Gesundheit aufs Spiel setzen.

Sportlich in den Abgrund
Der zweite große Anwendungsbereich solcher stimulierenden Mittel ist der des Sports. Das ist der – zumindest aus europäischer Sicht – weniger verstörende Part. Dass viele Sportarten von Dopingprogrammen unterlaufen werden, ist kein Geheimnis, entsprechende Meldungen tauchen immer mal wieder auf. Aber auch hier findet Klayman das eine oder andere absurde Beispiel, wie sich Erwachsene solche Mittel ärztlich verschreiben lassen, um sich so den Dopingbestimmungen entziehen zu können. Oder wie die Ehefrau eines solchen Sportlers begeistert ist, wenn der Mann unter Drogeneinfluss jetzt doch mal den Abwasch macht!

Manchmal wirkt Take Your Pills dann auch etwas verharmlosend, umso mehr, da Klayman auf einen hohen Unterhaltungsfaktor Wert legt und eine Unzahl an Interviewpartnern aus den unterschiedlichsten Bereichen. Cartoons werden eingeblendet, im Sekundentakt wechseln Sprecher und Themen, so als ob der Dokumentarfilm selbst für Leute mit Konzentrationsschwäche gedacht wäre. Das ist hektisch, bunt, verwirrend, manchmal auch anstrengend oder gar unbefriedigend. Da wird gerade ein interessantes Thema angesprochen, vielleicht auch ein bewegendes Schicksal, und hopp geht es schon wieder weiter zum nächsten Einsatzort. Aber es bleibt auch so genug übrig, über das man nachdenken, sich wundern und aufregen kann. Uns wird hier eine Gesellschaft vor Augen geführt, die sich im Rausch selbst zugrunde richtet und dabei noch gut fühlt. Die bei ihrer Jagd nach Geld, Anerkennung und Erfolg nicht nur die anderen, sondern auch sich selbst vernachlässigt.



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Die anderen sind besser als du in der Schule? Kein Problem, da gibt es ein Medikament gegen! „Take Your Pills“ zeigt eine Gesellschaft, in der es völlig normal geworden ist, schon Kinder mit Pillen vollzustopfen, um deren Leistungsfähigkeit an der Schule zu steigern. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit den Arzneimitteln an sich gibt es in dem sehr hektischen Dokumentarfilm nicht, dafür aber eine Menge interessanter Themen und bewegende Schicksale.