Marriage Story Netflix
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Marriage Story

Marriage Story
„Marriage Story“ // Deutschland-Start: 21. November 2019 (Kino) // 6. Dezember 2019 (Netflix)

Sie passten perfekt zusammen, waren das Traumpaar der New Yorker Theaterszene. Doch schon seit Längerem läuft es nicht mehr gut zwischen dem Regisseur Charlie (Adam Driver) und Schauspielerin Nicole (Scarlett Johansson). Vor allem Nicole ist das alles leid, will lieber zurück nach Los Angeles, wo auch ihre Familie lebt und wo eine Karriere im Fernsehen auf sie wartet. Sie ist es dann auch, die letztendlich die Scheidung beschließt, weil sie keine Perspektive mehr sieht – zum Schock von Charlie. Schlimmer noch als das Ende der Ehe ist aber der Streit, wer sich um den gemeinsamen Sohn Henry (Azhy Robertson) kümmern darf. Der anfängliche Willen, möglichst friedlich die Trennung hinter sich zu bringen, macht bald einem erbitterten Streit Platz – besonders als die Anwälte ins Spiel kommen …

Mit dem Start der Festivalsaison haut Netflix immer die Titel heraus, bei denen der Streamingdienst Hoffnungen auf die einige Wochen später folgenden Filmpreise hegt. Bei den 2019er Titeln haben sich dabei inzwischen einige Favoriten herauskristallisiert. Während Die Geldwäscherei und The King trotz Staraufgebots keine Rolle spielen dürften, stehen die Chancen bei The Irishman und Die zwei Päpste schon besser. Ersterer dürfte vor allem als Film ein paar Nominierungen abräumen, bei Letzterem sind es die beiden grandiosen Schauspieler, die berücksichtigt werden könnten. Doch der wohl wichtigste Titel ist einer, der – im Gegensatz zu den vier obigen Kollegen – keine bekannte Vorlage hat, sondern sich einem ganz und gar alltäglichen Thema zuwendet.

Die hässlichen Folgen einer Trennung
Schön ist das Thema jedoch kaum. Auch wenn Marriage Story das aufgrund seines Titels erwarten lässt und mit einer Reihe wunderschöner Liebeserklärungen beginnt: Der Film handelt nicht von dem romantischen Höhepunkt einer Beziehung, sondern den Kämpfen danach. Wenn wir erfahren, weshalb Charlie und Nicole so große Gefühle füreinander haben, sind diese längst vorbei, der Versuch die Ehe noch zu kitten gescheitert. Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach (Mistress America) nutzt seinen neuen Film, um eigene Erfahrungen aus einem Scheidungsprozess zu verarbeiten, ergänzt um Erlebnisse seiner Eltern und seines sonstigen Umfelds. Das Ziel: aufzeigen, was es mit den Menschen macht, wenn sie sich trennen.

Dabei sind es zwei Punkte, welche Marriage Story so tragisch machen. Zum einen sind Charlie und Nicole anfangs fest entschlossen, die Trennung so einvernehmlich wie möglich zu machen. Warum sollten sie sich auch streiten? Dafür ist ihr Verhältnis zu gut. Doch ab dem Zeitpunkt, als Anwälte und gesetzliche Bestimmungen mitspielen, ist hierfür kein Platz mehr. Nicht das Wohl des sich trennenden Paares steht im Mittelpunkt der Diskussionen, auch nicht das des Sohnes, selbst wenn beide Seiten das für sich in Anspruch nehmen. Das System des Familienrechts teilt sich in Gewinner und Verlierer. Und um die festzustellen, wird mit harten Bandagen gekämpft. Die Anwälte stacheln dazu ohne große Scheu an. Erschreckender noch ist, wie sehr Charlie und Nicole sich davon anstecken lassen. Höhepunkt ist eine eskalierende Auseinandersetzung, die so schmerzhaft ist, dass man selbst als unbeteiligter Zuschauer im Anschluss viel Zeit braucht, um die Wunden zu versorgen.

Der Schmerz der Liebe
Der zweite tragische Punkt: Die beiden sind eigentlich keine Feinde, hassen nicht einander. In vielen Szenen wird deutlich, wie groß die Gefühle noch füreinander sind. Kleine Momente der Zärtlichkeit, die einen hoffen lassen, dass vielleicht doch wieder alles gut wird. Doch Marriage Story ist eben keine der üblichen Hollywood-Romanzen, wo am Ende alle in den Sternen tanzen. Stattdessen zieht einen der Film immer wieder in den Abgrund, lässt enttäuschte Hoffnungen und nie offen angesprochene Konflikte zu einer hässlichen Bestie heranwachsen, die keiner mehr einfangen kann. Dabei lässt einem Baumbach zwischendurch immer wieder etwas Raum zum Luftholen, baut überraschend heitere Momente ein. Die gehen meist aufs Konto der skurrileren Nebenfiguren. Aber auch Charlie wird ein einschneidendes Erlebnis haben, das für ein befreiendes Lachen gut ist.

Adam Driver (BlacKkKlansman) sind diverse Schauspiel-Nominierungen für diese und zahlreiche andere großartige Momente nicht mehr zu nehmen. Aber auch Scarlett Johansson, zuletzt eher wegen des Whitewashing-Vorwurfs zu Ghost in the Shell oder als Black Widow in den Schlagzeilen, darf hier zum ersten Mal seit gefühlten Ewigkeiten beweisen, dass sie tatsächlich eine talentierte Schauspielerin ist. Ein ebenso hervorragendes Ensemble, darunter Laura Dern als manipulative Promi-Anwältin, runden den Film ab, der nicht nur zum besten gehört, was Netflix bislang produziert hat. Das fantastische Scheidungsdrama ist völlig losgelöst von der Plattform eines der stärksten Werke, die 2019 gesehen hat. Es muss sich dabei nicht einmal vor dem naheliegenden Vergleich mit dem Klassiker Kramer gegen Kramer fürchten: Marriage Story ist wunderschön und tieftraurig, menschlich und absurd, findet in kleinen Details eine große Geschichte, die nahegeht und dabei einiges über Geschlechterrollen zu erzählen hat.



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Die Hoffnungen waren groß, das Ergebnis ist noch größer: „Marriage Story“ ist ein fantastisches Scheidungsdrama über ein Paar, dessen Trennung zunehmend eskaliert und hässliche Seiten offenbart. Die Geschichte ist dabei sehr persönlich, getragen von einem großartigen Ensemble, das aber so viel Universelles über Beziehungen und ein familienfeindliches Familienrecht zu erzählen hat, dass man sich ohne Probleme darin wiederfindet und im Anschluss viele eigene Wunden zu versorgen hat.
9
von 10