Tuca and Bertie Netflix
© Netflix

Tuca & Bertie – Staffel 1

Tuca and Bertie Netflix
„Tuca & Bertie – Staffel 1“ // Deutschland-Start: 3. Mai 2019 (Netflix)

Seit vielen Jahren schon sind das Tukanweibchen Tuca und die Singdrossel Bertie dickste Freundinnen. Die beiden Vögel teilen sich sogar eine Wohnung, auch wenn das eher mit der Unfähigkeit von Tuca zusammenhängt, sich etwas Eigenes zu suchen. Allgemein könnten die beiden unterschiedlicher kaum sein. Während die verträumte Bertie eher ängstlich veranlagt ist und sich jede Menge gefallen lässt, ist Tuca so gar nicht auf den Schnabel gefallen. An Mut mangelt es ihr nicht, an Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein dafür schon mehr. Als Bertie beschließt, mit ihrem Freund Speckle zusammenzuziehen und Tuca daher die Wohnung verlassen muss, wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt.

Netflix und Animationssachen für Erwachsene, das ist ja immer so eine Sache. Gelungene Beispiele gibt es durchaus, etwa das stilistische Anime-Wunderland Devilman Crybaby oder die Anthologie Love, Death & Robots. Oft verwechseln die Macher jedoch erwachsene Inhalte mit krudem Humor, der nur möglichst oft von Körperflüssigkeiten oder Sex sprechen muss, um für sie als komisch durchzugehen. Siehe etwa Trailer Park Boys: The Animated Series oder Paradise PD, die eher was für pubertäre Jungs sind. Oder Männer, die nie über diesen Status hinausgekommen sind.

Es lebe der Wahnsinn
Ganz ohne kommt auch Tuca & Bertie nicht aus. Beispielsweise entblößt gerade Tuca immer wieder ihre Oberweite, auch wenn sie diese als Vogel eigentlich nicht haben sollte. Allerdings geschieht vieles in der Serie, was nicht so ganz mit der Flora und Fauna unserer realen Welt zu vereinbaren ist. Wenn Vögel Bäckereien eröffnen und laufende Pflanzen die Nachbarswohnung bevölkern, gehört das noch zu den harmloseren Einfällen. Das ist noch einigermaßen mit der Animationshistorie vermenschlichter Tiere zu vereinbaren. Andere Stellen sind da schon deutlich seltsamer.

Das macht mit den Reiz der Serie aus: Man weiß eigentlich nie so genau, was hier als nächstes geschieht. Wo andere „erwachsene“ Animationsserien sich immer nur im Kreis drehen und alte Witze wiederholen, da ist bei Tuca & Bertie das Unerwartete Programm. Das kann sich auf die Präsentation beziehen, wenn die Geschichten um die beiden Freundinnen zu knallbunten Trips werden, die dann und wann – ähnlich zu Die Abenteuer des Captain Underpants – auch mal die Animationstechnik wechseln. Oft ist es aber auch der Inhalt, der einen darüber nachgrübeln lässt, wie viel die diversen Drehbuchautoren beim Brainstormen eigentlich geraucht haben.

Wo bin ich hier?
Der Nachteil dieses Konzepts: Manchmal wirkt Tuca & Bertie schon sehr willkürlich, wenn kontinuierlich hin und her gesprungen wird. Denn eigentlich will die von Lisa Hanawalt ersinnte Serie durchaus etwas sagen. Es ist sogar ein wenig schockierend, wie oft dieser Trip in der Realität Halt macht, über Dinge spricht, die man in diesem Umfeld nicht erwarten sollte. Sexueller Missbrauch und Alkoholismus kommen zur Sprache, dysfunktionale Familien und die Unterdrückung von Frauen, das muss man sich erst einmal trauen.

Ob diese ständigen Wechsel von unbekümmerter Verrücktheit und hässlicher Wahrheit eine so gute Idee sind, darüber lässt sich streiten. Während Netflix-Animationskollege BoJack Horseman, das von Hanawalt produziert wurde, sich konsequenter mit dem Thema Depression auseinandersetzte, da ist das hier alles eher vogelwild. Die ganz großen Emotionen weckt Tuca & Bertie, trotz der emotionalen Themen, daher nicht. Aber es macht doch Spaß, meistens zumindest, den beiden Vögeln dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben auf die Reihe bekommen wollen. Eine unterhaltsame Liebeserklärung an Freundschaften, so tückisch und kaputt sie manchmal auch sein können.



(Anzeige)

Im einen Moment ein surrealer Trip, im nächsten ein erschreckend düsterer Halt in der Realität: „Tuca & Bertie“ vereint erwachsene Themen mit verrücktem Spaß, derben Humor mit Nachdenklichkeit. Das wird in der Mischung nie so wirkungsvoll, wie es vielleicht sein sollte, die Geschichte um zwei befreundete Vogeldamen ist aber so überraschend, dass man alleine schon aus Neugierde hier dran bleibt.
7
von 10