Spuk in Bly Manor Hautnting Netflix
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Spuk in Bly Manor

Kritik

Spuk in Bly Manor Hautnting Netflix
„Spuk in Bly Manor“ // Deutschland-Start: 9. Oktober 2020 (Netflix)

Erfahrung als Au-Pair-Mädchen hat Danielle Clayton (Victoria Pedretti) nicht gerade. Dennoch lässt sich die aus den USA stammende frühere Lehrerin die Chance nicht entgehen, im Auftrag von Henry Wingrave (Henry Thomas) für Miles (Benjamin Evan Ainsworth) und Flora (Amelie Bea Smith) zu sorgen, die verwaisten Kinder seines Bruders. Das Anwesen ist wundervoll, auch der Umgang mit dem Koch Owen (Rahul Kohli), der Gärtnerin Jamie (Amelia Eve) und der Haushälterin Mrs. Grose (T’Nia Miller) könnte besser nicht sein. Doch immer wieder kommt es zu eigenartigen Vorkommnissen, die mit Henrys verschwundenen Assistenten Peter Quint (Oliver Jackson-Cohen) und Danielles verunglückter Vorgängerin Rebecca Jessel (Tahirah Sharif) im Zusammenhang zu stehen scheinen. Denn in dem alten Familiengemäuer warten zahlreiche Geheimnisse …

Als Netflix 2018 Spuk in Hill House veröffentlichte, begeisterte die recht freie Serienadaption von Shirley Jacksons Horror-Klassiker das Publikum und Kritiker gleichermaßen. So sehr, dass die Frage kurze Zeit später im Raum stand: Gibt es Nachschlag? Anstatt eine tatsächliche Fortsetzung dazu zu drehen, entschied sich Serienschöpfer Mike Flanagan (Oculus, Doctor Sleeps Erwachen) jedoch, rückwirkend aus dem Hit den Auftakt einer ganzen Anthologie zu machen. Und so nahm sich der inzwischen stark gefragte Genreexperte im Anschluss einfach einen zweiten Klassiker, holte Teile des Ensembles zurück und erzählt in Spuk in Bly Manor die nächste Schauergeschichte in einem alten, unheimlichen Familienanwesen, weit abgelegen und voller Geheimnisse.

Nur nicht hetzen
Genauer stand diesmal die 1898 erschienene Novelle Die Drehung der Schraube von Henry James Pate. Auch die dürfte vielen vertraut sein, sei es in der geschriebenen Fassung oder durch die zahlreichen Adaptionen, die im Laufe der letzten Jahrzehnte angefertigt wurden. Die wohl berühmteste ist dabei Schloss des Schreckens aus dem Jahr 1961, die berüchtigtste jedoch Die Besessenen, die Anfang 2020 mit einem sehr eigenwilligen, abrupten Ende schockierte. Abrupt ist in Spuk in Bly Manor hingegen gar nichts. Vielmehr dürfte ein beträchtlicher Teil des Publikums durch das sehr gemächliche Erzähltempo auf eine größere Geduldprobe gestellt werden. Zwar gibt es in der Serie von Anfang an eine dichte Atmosphäre und die Ahnung finsterer Ereignisse. Bis tatsächlich etwas geschieht, dauert es jedoch. Schon Spuk in Hill House hatte es nicht unbedingt eilig, hier wird dem Ganzen noch eins drauf gesetzt.

Auch in einer anderen Hinsicht könnten die beiden 2020er Interpretationen der Novelle unterschiedlicher nicht sein. Krankte Die Besessenen noch daran, dass die Figuren kaum ausgearbeitet wurden, sie keine wirklichen Hintergrundgeschichten hatten und sich keine echten Beziehungen einstellten, ging man hier zum anderen Extrem über. Spuk in Bly Manor ist so sehr damit beschäftigt, die Charaktere von allen Seiten zu beleuchten, dass die eigentliche Hauptgeschichte oft in Vergessenheit gerät. Das wird nicht allen gefallen, zumal das große Kreativteam – Flanagan kümmerte sich dieses Mal nur um die erste der neun Folgen – sich schon sehr auf die Flashbacks verlässt. Da wird so oft der Blick auf vergangene Szenen gerichtet, dass man sich fragt, wofür es die Gegenwart überhaupt noch braucht.

Ein fantastisches Ensemble in dramatischer Kulisse
Ab der Hälfte steigert sich Spuk in Bly Manor jedoch spürbar. So funktionieren die Verzahnungen besser, kleine Hinweise und Irritationen ergeben dann Sinn, man hat tatsächlich das Gefühl, dass hier viele Schicksale miteinander verknüpft sind. Hinzu kommt, dass das Ensemble fantastische Arbeit leistet, durch die Bank weg. Oliver Jackson-Cohen darf beispielsweise wie in Der Unsichtbare den übergriffigen Freund spielen, T’Nia Miller begeistert als tragische Haushälterin. Und auch die beiden Kinderdarsteller*innen überzeugen, halten dabei die Waage zwischen unschuldiger Begeisterung und undurchsichtiger Drohung. Dass die Einzelschicksale manchmal ein bisschen zu sehr Richtung Seifenoper gehen, kann der Cast zwar nicht völlig verhindern. Die guten Szenen überwiegen jedoch in der Summe.

Allerdings muss man sich darauf einstellen, dass Spuk in Bly Manor im Hinblick auf Schreckmomente recht sparsam ist. Schon Spuk in Hill House schwankte zwischen Horror und Drama, wenn unheimliche Szenen mit emotionalen abwechselten und wir tief in die Mechanismen einer dysfunktionalen Familie blickten. Dieses Mal ist der Horror-Anteil geringer, er ist auch weniger subtil: Die Begegnungen mit einer übernatürlichen Welt glänzen nicht unbedingt durch Einfallsreichtum. Doch das ist eben die Folge eines veränderten Schwerpunkts. Der Haunted House Terror wich einer Gothic Tragödie. Wenn zum Ende der Serie gesagt wird, es handele sich um eine Liebesgeschichte, nicht um eine Geistergeschichte, dann ist das durchaus so gemeint. Wer sich zu Halloween mal wieder richtig erschrecken möchte, ist hier deshalb eher fehl am Platz. Aber es ist doch eine bewegende, sehr schön bebilderte Geschichte, die erzählt wird, von Liebe und Tod, von Schuld und Opfer, von Träumen eines besseren Lebens, die dazu verdammt sind, durch ein Labyrinth zu irren.

Credits

OT: „The Haunting of Bly Manor“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Mike Flanagan, Ciarán Foy, Liam Gavin, Yolanda Ramke, Ben Howling, Axelle Carolyn, E. L. Katz
Drehbuch: Mike Flanagan, James Flanagan, Diane Ademu-John, Laurie Penny, Angela LaManna, Rebecca Leigh Klingel, The Clarkson Twins, Leah Fong, Julia Bicknell
Idee: Mike Flanagan
Vorlage: Henry James
Musik: The Newton Brothers
Kamera: James Kniest, Maxime Alexandre
Besetzung: Victoria Pedretti, Oliver Jackson-Cohen, Amelia Eve, T’Nia Miller, Rahul Kohli, Tahirah Sharif, Amelie Bea Smith, Benjamin Evan Ainsworth, Henry Thomas, Carla Gugino

Bilder

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„Spuk in Bly Manor“ schließt zwar in vielfacher Hinsicht an die gefeierte Serie „Spuk in Hill House“ an, verstärkt manche Tendenzen davon aber noch weiter. So ist das Erzähltempo noch niedriger, die Balance zwischen Horror und Drama eindeutig zu Letzterem verschoben. Die unheimliche Atmosphäre und ein sehr gutes Ensemble tragen aber dazu bei, dass die miteinander verknüpften Schicksale eines verfluchten Hauses zu Herzen gehen.
7
von 10