Alguien tiene que morir Jemand muss sterben Someone has to die Netflix
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Jemand muss sterben

Kritik

Alguien tiene que morir Jemand muss sterben Someone has to die Netflix
„Jemand muss sterben“ // Deutschland-Start: 16. Oktober 2020 (Netflix)

Die Hoffnungen sind groß bei Familie Falcón, als sie Sohn Gabino (Alejandro Speitzer) aus Mexiko zurück nach Spanien holt. Schließlich soll er Cayetana (Ester Expósito) heiraten, um so der Familie zu noch mehr Macht zu verhelfen. Doch das klappt nicht so recht, kommt er doch in Begleitung des Balletttänzers Lázaro (Isaac Hernández). Schon vorher gab Gabino Anlass zur Sorge, war er seinem Vater Gregorio (Ernesto Alterio) und dessen Mutter Amparo (Carmen Maura) immer zu verweichlicht. Jetzt, da ihnen endgültig bewusst wird, dass er schwul ist, muss alles dafür getan werden, dass niemand etwas davon erfährt, denn im Spanien der 1950er ist dies nach wie vor verpönt, steht sogar unter Strafe. Während die beiden ihre Macht ausüben und dabei auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, versucht Gabinos mexikanische Mutter Mina (Cecilia Suárez) ihrer freudlosen Ehe zu entkommen …

Ein bisschen irreführend ist der Titel der Netflix-Serie Jemand muss sterben ja schon. Eigentlich würde man da eine Geschichte erwarten, bei der wie in einem Horrorfilm aus einer Reihe von möglichen Kandidaten und Kandidatinnen ein Opfer ausgesucht wird. Eine Geschichte, die aus der Frage Spannung bezieht, wen es nun erwischen wird. Um Horror handelt es sich bei der mexikanisch-spanischen Coproduktion jedoch nicht. Und auch das Label Thriller, welches ihr gern angehängt wird, trifft es nicht so ganz. Es mangelt zwar nicht an Gewalt, sowohl physischer wie psychischer. Doch die ist eher eine Begleiterscheinung.

Kaputte Gesellschaft, kaputte Familie
Stattdessen ist Jemand muss sterben in doppelter Hinsicht ein Porträt. Das eine betrifft das Spanien der 1950er. Der Krieg ist seit einigen Jahren vorbei, die Diktatur Francos hat das Sagen. Die Politik des Landes hat auf die Geschichte zwar nur wenig Einfluss, eine despotische Stimmung herrscht aber auch so. Die Frauen werden unterdrückt, einige wenige Männer bestimmen, was richtig und was falsch ist. Homosexualität ist ohnehin verboten, wird offiziell geahndet, durch Umerziehungsmaßnahmen oder Gewalt. Es herrscht eine Atmosphäre der Angst, in der sich niemand wirklich nach außen öffnet. Es zählt der Schein, die Aufrechterhaltung des Systems. Was nicht ins Bild passt, wird zurechtgerückt oder im schlimmsten Fall gleich ganz zerstört.

Das andere Porträt ist das einer durch und durch dysfunktionalen Familie. Gefühle und Zuneigung sind dort kaum zu finden, man gleicht eher einer Interessengemeinschaft, die notfalls auch mal über Leichen gehen würde. Gerade Großmutter Amparo lässt keine Gelegenheit aus, ihre Schwiegertochter und ihren Enkelsohn zu verhöhnen, beide für ihre Schwäche zu verachten. Das ist beeindruckend gespielt: Carmen Maura (Leute kommen und gehen, Meine Familie und der Wolf) kostet ihre Rolle der intriganten Matriarchin aus, tritt mit einer derart lustvollen Widerwärtigkeit auf, dass man sich fragen muss, warum niemand sie bislang ermordet hat. Aber es ist nicht nur sie, die Wut auslöst. Jemand muss sterben ist so vollgestopft mit grauenvollen Menschen und erschreckenden Szenen, dass man die Welt innerlich schon aufgegeben hat, noch bevor der Abspann läuft.

Für Subtilität ist kein Platz
Natürlich ist das alles überzogen ohne Ende. Die von Manolo Caro (Blumige Aussichten) kreierte Serie scheut nicht davor zurück, sich im Seifenoper-Schlamm zu suhlen. Da gibt es kaum eine Szene, die nicht dramatisch aufgeladen ist, begleitet von einer ebenso wenig zurückhaltenden Musik, die keinen Raum für Subtilität lässt. Die Optik ist dabei nicht weniger opulent: Jemand muss sterben lässt sich bei der Ausstattung nicht lumpen und präsentiert sich als Edeltrash, der eine doch recht stilisierte Variante der Vergangenheit aufzeigt. Schließlich bleiben nur drei Folgen Zeit, die müssen dann auch bis zum Bersten genutzt werden. Niemand soll einem vorwerfen, man hätte nicht alles gegeben, um das Publikum zu beschäftigen.

Wie viel Spaß man an Jemand muss sterben hat, hängt dann auch maßgeblich davon ab, wie sehr man solche überdrehten Dramen mag, die keinen Platz lassen für Normalität. Oder tatsächliche Figuren. Praktisch alle Charaktere sind sehr plakativ ausgearbeitet, ohne jegliche Nuance und Entwicklung. Interessante Aspekte wie die Rolle der Frau in einer von Männern dominierten Gesellschaft oder der Umgang mit Minderheiten werden da nicht wirklich vertieft. Doch selbst wer sich zu dieser Zielgruppe zählt und sich deshalb nicht an dem nur grob gehauenen Inhalt stört, sollte sich auf ein Ende gefasst machen, das vielen nicht gefallen wird. Das Gefühl, man hätte für die Geschichte mehr Zeit und Episoden gebraucht, wird bei dem abrupten und hektischen Finale noch einmal auf die Spitze getrieben und dürfte so manche verwirrt vor den Fernsehern zurücklassen.

Credits

OT: „Alguien tiene que morir“
IT: „Someone Has to Die“
Land: Spanien, Mexiko
Jahr: 2020
Regie: Manolo Caro
Drehbuch: Fernando Pérez, Monika Revilla
Idee: Manolo Caro
Musik: Lucas Vidal
Kamera: Ángel Amorós
Besetzung: Carmen Maura, Cecilia Suárez, Ester Expósito, Ernesto Alterio, Alejandro Speitzer, Isaac Hernández, Carlos Cuevas, Mariola Fuentes

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Ein junger Mann kehrt aus Mexiko zu seiner Familie in Spanien zurück, wo er verheiratet werden soll – obwohl er schwul ist. „Jemand muss sterben“ ist dabei Porträt einer homophoben Gesellschaft wie auch einer dysfunktionalen Familie, bei der echte Gefühle Mangelware sind. Die Seifenoper ist opulent ausgestattet und mit viel Lust an der Übertreibung gespielt, lässt aber keinen Platz für Entwicklung oder Nuancen und wird mit dem abrupten Ende einige vor den Kopf stoßen.
5
von 10