Auf meiner Haut Netflix
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Auf meiner Haut

Auf meiner Haut
„Auf meiner Haut“ // Deutschland-Start: 12. September 2018 (Netflix)

Und schon wieder Drogen. Mehrere Male hat Stefano Cucchi (Alessandro Borghi) schon versucht, davon loszukommen, jedoch ohne großen Erfolg. Wirklich überrascht ist seine Familie daher nicht, als er mal wieder von der Polizei aufgegriffen wird, erwischt mit ziemlich viel von dem verbotenen Stoff. Doch die Anklage lautet nicht nur Besitz, er soll die Drogen zudem auch verkauft haben. So schlimm die Vorwürfe aber auch sind, es ist etwas anderes, das seine Familie bald beschäftigen wird: Stefanos Verletzungen. Er hat blaue Flecken im Gesicht, klagt über starke Rückenschmerzen, sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag, ohne dass jemand wüsste warum.

Während Netflix für seine Serien und auch Dokumentationen jede Menge Renommee genießt, sieht es bei der Filmsparte ganz anders aus. Vor allem zwei Kritikpunkte sind es, die sich der Streaminganbieter ständig anhören muss: Entweder kauft er bereits fertige hochkarätige Fremdproduktionen ein und klaut sie damit den Kinogängern – sie etwa Auslöschung oder Mudbound. Oder er produziert selbst und damit Schrott. So die Vorwürfe. Beidem will Netflix nun den Wind aus den Segeln nehmen, die Filmfestspiele von Venedig waren der Startschuss für eine neue Qualitätsoffensive. Gleich sechs Filme zeigten die Amerikaner bei dem traditionsreichen Filmfestival, das Schwarzweißdrama Roma gewann dort sogar den großen Preis.

Ein vielversprechender Geheimtipp
Weniger Beachtung fand hingegen Auf meiner Haut, der erste der sechs Titel, der nach Festivalende seinen Weg ins öffentliche Netflix-Sortiment fand. Und das ist schon etwas schade. Sicher, die ganz großen Namen fehlen bei der italienischen Produktion, zumindest für das internationale Publikum. Wenn das Drama um einen Drogenabhängigen, der selbst zum Opfer wird, jedoch ein Anzeichen für die künftige Richtung des Filmangebots darstellen sollte, dann dürfen sich die Abonnenten schon einmal freuen – selbst wenn der Inhalt nur wenig Anlass zur Freude ist.

Außerhalb Italiens ist der Fall Stefano Cucchi eher weniger bekannt. In Italien selbst machte er jedoch Schlagzeilen als ein Beispiel für ein sehr viel weiter verbreitetes Problem: die vielen Misshandlungen und Tode in italienischen Gefängnissen. Was genau bei Cucchi vorgefallen ist, das verrät auch Auf meiner Haut nicht. Vor allem die zunehmende Verschlechterung des Insassen bleibt hier ein Rätsel. Auch weil er es dazu macht: Immer wieder wird er gefragt, woher die Verletzungen stammen, wird von Richtern gefragt, von Wärtern, von medizinischem Personal. Doch jedes Mal weist er sie ab, verweigert eine Auskunft.

Ein schmerzhaft frustrierendes Rätsel
Das ist frustrierend. Frustrierend für die Beteiligten, die dem zugrundegerichteten Mann ja helfen wollen. Frustrierend aber auch für die Zuschauer, denen plausible Erklärungen vorenthalten werden. Zwar fordert Stefano beharrlich, mit seinem Anwalt zu sprechen, der ihm ebenso vorenthalten wird wie die notwendigen Medikamente für seine Epilepsie. Und zumindest an einer Stelle wird impliziert, dass Stefano seine Verletzungen als Druckmittel einzusetzen versucht, erst seine Rechte erfüllt werden sollen. Richtig nachvollziehbar ist das Verhalten dennoch nicht, umso mehr, da die Fragenden zu schnell mit dem Schultern zucken und sich wieder ihrer Arbeit zuwenden.

Aber es ist eben auch diese Hilflosigkeit als bloßer Beobachter, die dazu beiträgt, dass einen Auf meiner Haut so durch die Mangel nimmt. Das Gefühl, dass hier so sinnlos ein Leben weggeworfen wird. Der zweite Grund ist Alessandro Borghi. Der italienische Darsteller, kürzlich in Das Geheimnis von Neapel im Kino, zeigt hier erneut, dass er nicht auf sein gutes Aussehen reduziert werden mag. Wie der Beau hier zu einem zerbrechlichen, geschundenen Nichts von einem Mann reduziert wird, im Laufe des Films immer weiter zerfällt, das ist ein ebenso beeindruckender wie schockierender Anblick, der einen auch im Anschluss noch verfolgt.



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Ein Mann wird wegen Drogendelikten festgenommen und misshandelt. Klare Antworten zum Hergang verweigert das auf einer wahren Geschichte basierende „Auf meiner Haut“. Doch der Frust und die Rätselhaftigkeit tragen zusammen mit der intensiven Darstellung des Hauptdarstellers dazu bei, dass das italienische Drama eine so schockierende Wirkung hat.
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von 10