Wild Wild Country
© Netflix

Wild Wild Country

„Wild Wild Country“, USA, 2018
Regie: Chapman Way, Maclain Way

Wild Wild Country
„Wild Wild Country“ ist seit 16. März 2018 auf Netflix verfügbar

Das mit den neuen Nachbarn ist immer so eine Sache. Sie können unglaublich praktisch sein. Passen auf das Haus auf, wenn man weg ist. Nehmen Pakete an. Sind eine verlässliche Quelle, wenn mal der eigene Zucker ausgeht. Aber wehe, wenn man sich nicht versteht, dann kann das sehr schnell hässlich werden. Und das Verhältnis der Einwohner von Antelope, einer Kleinstadt in Oregon, mit den Neuankömmlingen war von Anfang angespannt und wurde schnell noch deutlich schlimmer. So schlimm, dass auch Tonnen von Zucker das Verhältnis nicht mehr hätten versüßen können.

Dabei hatte Bhagwan keine feindlichen Absichten, als er und seine Leute sich 1981 dort niederließen. Im Gegenteil, unter der Anleitung von seiner Sekretärin Ma Anand Sheela sollte dort ein Paradies auf Erden entstehen. Eine kleine Oase mitten im Nirgendwo, die sich selbst unterhält und allen Menschen die Möglichkeit gibt, Erlösung zu finden. Für die Bewohner von Antelope war das aber schon Provokation genug. Eine indische Sekte? Mitten in Gottes Land? Als die Bewegung auch noch begann, leerstehende Häuser der Kleinstadt aufzukaufen, die Gemeine sich immer weiter ausbreitete, die Menschen in der seltsamen rot-orangen Kleidung plötzlich überall herumliefen, da wurde eine Grenze überschritten. Aus Skepsis wurde Hass, auf beiden Seiten wurden bald die Messer gewetzt – mal geheim, dann wieder nicht.

Ein kleiner Streit, eine surreale Eskalation
Die Dokumentarserie Wild Wild Country, welche ihre Premiere auf dem Sundance Filmfestival 2018 feierte und nun auf Netflix verfügbar ist, zeichnet den Weg der Bewegung streng chronologisch nach – von den Anfängen in Indien über den eskalierenden Streit bis hin zu den Nachwehen. Es ist der Mittelteil, der die meisten interessieren dürfte. Der auch am spannendsten ist. Am besten ist es an dieser Stelle, so wenig wie möglich zu wissen. Dann nämlich entfaltet die Serie die größte Wirkung, wenn auf eine bizarre, geradezu surreale Weise der Streit immer heftiger wird, wirklich jede Möglichkeit genutzt wird, den Gegner auszuschalten. Wären da nicht die historischen Aufnahmen, man hielte das Ganze für einen Scherz oder einen Ausschnitt aus einer Agentenparodie.

Dabei ist Wild Wild Country eigentlich sehr ernst, spricht eine Reihe wichtiger Themen an. Vor allem die Frage, wie wir Menschen eines anderen kulturellen Umfeldes bei uns aufnehmen wollen, die ist mehr als drei Jahrzehnte später aktueller denn je. Gerade zu Beginn, wenn die Aggressionen rein von Antelope ausgehen, könnte man die Dokumentation auch als einen Kommentar auf das aktuelle Amerika sehen, in dem andersartige Menschen nicht gerade willkommen geheißen werden. Vor allem nicht, wenn sie auch noch eine andere Hautfarbe haben. Dabei spielen die Regiegeschwister Chapman und Maclain Way geschickt mit Erwartungen, lassen lange offen, was genau da eigentlich vorgeht. Sind die Einwohner des Ortes einfach nur typische Provinzrassisten? Oder geht da wirklich etwas Finsteres vor sich auf dem Gelände, das bald zahlreiche Gebäude enthält, Restaurants und einen eigenen Flughafen? Das eine Flotte von Rolls-Royce-Wagen unterhält?

Spannend bis zum Schluss
Der Spannungsfaktor bleibt nahezu die gesamte Laufzeit über hoch. Und das ist nicht einfach, schließlich wollen hier sechs etwa einstündige Folgen angeschaut werden. Die sind zudem noch vollgestopft mit Ereignissen, Menschen und besagten historischen Aufnahmen. Vieles stützt sich auf Interviews, die entweder in den 80ern fürs Fernsehen gedreht oder jetzt mit den noch überlebenden Antagonisten geführt wurden. Auf diese Weise ergibt sich ein vielschichtiges Bild, das auch gerade durch seine Widersprüchlichkeit eine Menge über die Beteiligten zu sagen hat. Das aber auch eine Menge zu menschlichem Verhalten im Allgemeinen zu sagen hat, weshalb es eigenartig ist, dass dieser Fall nicht stärker in der öffentlichen Erinnerung geblieben ist. Zum Glück ist er jetzt aber wie da, und das in einer so packenden Form, dass Wild Wild Country ein idealer Kandidat für Binge-Watching ist – und das muss man im Bereich Dokumentation ja erst einmal hinbekommen.



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Ein indischer Guru und seine Gefolgschaft lassen sich bei einer amerikanischen Kleinstadt nieder und breiten sich immer mehr aus. Die Art und Weise, wie die Alteingesessenen gegen die Neuankömmlinge kämpfen, ist bis heute ein aktuelles Thema. Dabei ist die Geschichte um einen surreal eskalierenden Nachbarschaftsstreit auch sehr unterhaltsam, „Wild Wild Country“ schafft es, allein durch Interviews und alte Aufnahmen sechs Stunden durchgängig zu fesseln.