Conor McGregor Forever Netflix
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Conor McGregor Forever Netflix
„McGregor Forever“ // Deutschland-Start: 17. Mai 2023 (Netflix)

Inhalt/Kritik

Lange Zeit waren Hater von Conor McGregor mit das Schlimmste, was so im Fahrwasser der UFC mitschwomm. Seit einer Weile haben ihnen die Hater des aktuellen Mittelgewichts-Champions Israel Adesanya, über den bald die Dokumentation Stylebender erscheint, allerdings den Rang abgelaufen. Vorerst beschäftigen wir uns jedoch mit McGregor Forever, der neuen Dokuserie auf Netflix. Viele scheinen von ihr als der zweiten Dokumentation über den irischen MMA-Kämpfer zu sprechen, vergessen dabei aber wohl, dass es noch vor Conor McGregor: Notorious (2017) die Dokuserie The Notorious (2015) gab. Regie führte diesmal Gotham Chopra, der Sportdokufans vielleicht bereits von Man in the Arena, Tom vs. Time oder Kobe Bryant’s Muse bekannt ist.

Von McGregor kann jeder halten was er will. Unbestreitbarer Fakt ist jedoch, dass er für die UFC das war, was Ronda Rousey (The Expendables 3) für das Frauen-MMA war, wofür vor allem seine Saison 2014-2015 verantwortlich ist. In vier Kämpfen seit 2018 hat er eine Bilanz von einem Sieg und drei Niederlagen, und trotzdem ist er immer noch der größte Name in diesem Mikrokosmos. Er ist nicht nur Teil des größten Pay-per-view-Events der Promotion (also jenes mit den meisten Verkaufszahlen), sondern viermal in den Top 5, und dann noch einmal auf Platz 6 vertreten, sowie der einzige, der namentlich mindestens dreimal in der Liste der Top 10 der größten PPV-Events auftaucht.

Viel Archivarbeit

Da McGregor einer der Ausführenden Produzenten von McGregor Forever ist, kann bei dem ein oder anderen zunächst die Befürchtung der Beschönigung im Raum stehen. Ähnliches sahen wir immerhin in The Ronda Rousey Story: Through my Father’s Eyes, die zwar keine Lügen beinhaltete, aber die ein oder andere ungeliebte Tatsache unter den Tisch fallen ließ. In der Hinsicht kann der geneigte Leser jedoch direkt beschwichtigt werden. Hier gibt es keine Taschenspielertricks mit Standbildern oder bloßen Überschriften. Alle drei Niederlagen werden ausführlich gezeigt, mit großzügig bemessenen Filmausschnitten, teilweise sogar aus bisher unveröffentlichten Kameraperspektiven (oder zumindest mit solchen, die der Rezensent noch nie zu Gesicht bekommen hat, obwohl er firm in dem Sujet ist). Davor und danach werden der Aufbau beziehungsweise die Nachwirkungen des jeweiligen Kampfes gezeigt. Alleine dass sich hier niemand zu schade ist, schlimme oder peinliche Momente aus dem Archiv zu holen, verdient bereits ein Lob.

Archiv ist dann aber auch das Stichwort. Der curse of knowledge erschwert es dem Rezensenten, die Eignung von McGregor Forever für Unbedarfte einzuschätzen. Wer McGregor seit spätestens 2018 verfolgt hat, der wird hier inhaltlich relativ wenig Neues über diese Zeit lernen (mit einer Ausnahme, auf die wir noch zu sprechen kommen). Wer so gar nichts weiß, von MMA vielleicht sogar noch nie gehört hat, bekommt zwar einen kurzen Abriss über seine Anfänge, aber wie bereits erwähnt kann an dieser Stelle nicht abschließend beurteilt werden, ob das alles für einen kompletten Neuling ausreicht. Tendenziell vermutlich ja, aber die Dokumentation ist wenn schon nicht gezielt nur auf McGregor-Fans, dann doch schon auf ein Publikum mit Kenntnissen des Sports zugeschnitten.

Vier Episoden, vier Kämpfe

Jede der Episoden ist um einen der vier Kämpfe herum konstruiert, im Großen und Ganzen betrachtet zumindest. Ein bisschen fließend sind die Grenzen schon. Formal sind sie mehr oder weniger gleich aufgebaut. Familienszenen werden mit Szenen aus der Vorbereitung auf den jeweiligen Fight verflochten, während es einen Countdown gibt, der uns mitteilt, wie viele Tage es noch bis zu dem Event sind. Der Kampf wird dann wie erwähnt recht ausführlich gezeigt – zumindest so ausführlich, wie es möglich ist. Der in der vierten Runde beendete Kampf gegen den damaligen Champion im Leichtgewicht Khabib Nurmagomedov im Oktober 2018 wird natürlich aus Zeit- und eventuell auch aus rechtlichen Gründen nicht in seiner Gänze gezeigt. Aber die Szenen sind fair ausgewählt, um einen authentischen Eindruck zu bekommen, der keine Seite besser oder schlechter dastehen lässt, als es tatsächlich der Fall war.

Der gerade einmal vierzigsekündige Kampf gegen Donald „Cowboy“ Cerrone im Januar 2020 wird zwar ebenfalls nicht in seiner Gänze gezeigt, die Doku zeigt aber dennoch alles Wichtige davon. Auch Szenen der beiden Fights gegen Dustin Poirier im Januar beziehungsweise Juli 2021 (nachdem die beiden bereits im Jahre 2014 aufeinandertrafen, damals im Federgewicht) enthalten alle relevanten Highlights. Im Anschluss sehen wir Conor dann in der Kabine und begleiten ihn während der weiteren Nachwirkungen der Auseinandersetzung.

Altbekanntes plus neue  Einblicke ins Familienleben

Um das Stichwort Archiv noch einmal genauer zu erklären: Das meiste des Gezeigten besteht hier eben aus Archivmaterial. Als talking head im engeren Sinne tritt eigentlich niemand in Erscheinung, es werden hauptsächlich Audio-Mitschnitte über die Bilder gelegt, oder Tweets oder YouTube-Videos eingeblendet. Neue Interviews explizit für die Dokuserie scheint es nicht zu geben, was auf jeden Fall schade ist. Das geht Hand in Hand mit dem Kritikpunkt, dass McGregor Forever nicht sonderlich viel Neues zu präsentieren weiß. Dafür werden alte Interviewclips von Conor gezeigt, die oft nahezu perfekt platziert sind und zu den Ereignissen der gezeigten Gegenwart passen. Diese Clips sind allesamt altbekannt, aber gut und kreativ montiert.

Was genau an McGregor Forever neu ist, muss aber wohl noch etwas differenzierter dargestellt werden als es bisher der Fall war. Die eine große Neuerung heben wir uns noch ein wenig für später auf, aber den Kleinkram können wir jetzt schon abhandeln. Neben den (vermutlich) zuvor unveröffentlichten Kameraperspektiven sind es vor allem die Szenen mit seiner Frau Dee Devlin und seinen Kindern (deren Anzahl im Laufe der Episoden von eins auf drei anwächst), die generell ein Novum sein dürften. Auf Instagram ließ sich sicher etwas in dieser Richtung verfolgen, aber alles so gebündelt auf einem Fleck zu sehen, und dann wahrscheinlich doch auch ausführlicher als anderswo, vermittelt ein schon eher unbekanntes Bild des von manchen als Großmaul wahrgenommenen Iren. In Conor McGregor: Notorious etwa gab es trotz des ganzen Hintergrundmaterials nur sehr wenige Momente, in denen er menschlich wirkte. Hier tritt er hingegen als stolzer Familienvater in Erscheinung. Auch manche Szene aus den jeweiligen Kabinen dürfte bisher noch unveröffentlicht gewesen sein.

Der Kampf mit dem Bruch

Was in der Kritik bisher beinahe schon geheim gehalten wurde, damit fällt McGregor Forever quasi ins Haus: Die Serie startet mit einem krankenhausbettlägrigen Conor, dessen linker Unterschenkel eingegipst ist. Er wirkt desillusioniert, demotiviert. Spricht davon, dass es das war. Am Ende der ersten Runde des zweiten Poirier-Kampfes brach sich McGregor das linke Bein. Das ist ja überhaupt erst der Grund, wieso Fans so gespannt auf diese Dokuserie waren. Wann genau es war, lässt sich jetzt nicht mehr eindeutig festlegen, aber so irgendwann zwischen September und November 2021 kündigte Conor eine vierteilige Netflix-Dokuserie an, in der alle Fragen geklärt werden würden. Nachdem das Bein brach, kamen schnell Theorien auf, dass McGregor sich im Training Mikrofrakturen zugezogen haben musste. Aber wieso hat er den Kampf dann nicht abgesagt? Und wie hat er die obligatorische Untersuchung des UFC-Arztes überstanden, ohne dass dieser ihm die Zulassung verweigerte?

Die erste Frage wird bestenfalls implizit, die zweite leider überhaupt nicht beantwortet. Wer Conors Karriere verfolgt hat, der weiß, dass der Ire öfter mit Verletzungen ins Octagon stieg, am bekanntesten ist wohl sein kaputtes Knie bevor er gegen Max Holloway antrat. In Conor McGregor: Notorious erfuhren wir von seiner Knieverletzung vor seinem Kampf mit José Aldo. In McGregor Forever zeigt sich, dass das nach dem Nurmagomedov-Kampf zum Meme gewordene „my foot was a balloon“ nicht zwingend nur eine lahme Ausrede war, zumindest nicht der „my toes came out of the socket“-Teil. Gnadenlos hält die Kamera in der Fight-Vorbereitung auf Conors Fuß, während jemand seine Zehen wieder einrenkt.

Haarsträubende Entscheidungen

Während einige brennende Fragen zum Beinbruch unbeantwortet bleiben, bekommen wir in der letzten Folge dennoch eine Menge Hintergrundinformationen dazu. Erst einmal bekommen wir überhaupt die Bestätigung, dass der untere Teil des Schienbeins im Training ernsten Schaden genommen hat. Da die Calfkicks des Gegners eine signifikante Rolle im zweiten Kampf der Poirier-Trilogie spielten, wollte Conor mehr an Legkicks arbeiten. In seiner unendlichen Weisheit hat er, auch um die volle Wirkung zu spüren, deshalb ohne Schienbeinschoner trainiert. Wir reden hier nicht davon, einfach nur ein bisschen auf einen Heavybag einzutreten. Wir reden von hartem Sparring. Wie das irgendjemand zulassen konnte, ist nicht nachzuvollziehen. Nachdem seine corner nach der ersten Runde im erwähnten Poirier-Kampf schon völlig versagt hat, ist es aber vielleicht doch nicht so ganz verwunderlich. Es kommt wie es kommen muss, der Knöchel schwillt an; ab zum Arzt, der Ruhe verordnet. Wenn unbedingt Training der Kicks, dann mit Schienbeinschonern. Hält McGregor sich dran? Wir wissen es nicht nur deshalb besser, weil wir mittlerweile das Ergebnis kennen und es tatsächlich besser wissen.

Leidenschaft besiegt Vernunft

Was McGregor nicht vorgeworfen kann, ist dass er sich vor einem Kampf drückt. Viele große Namen im Sport, Tony Ferguson, Cain Velasquez, Rafael dos Anjos oder José Aldo (die letzten beiden auch vor Kämpfen mit Conor), haben Fights verletzungsbedingt abgesagt. Trotzdem anzutreten ist für die UFC selbst sicher die bessere Entscheidung, aber der Mann muss lernen, seine Gesundheit an erste Stelle zu setzen. Andererseits teilt uns der Untertitel der Dokuserie, der auf ein Zitat eines von Conors Coaches zurückgeht, mit: Reasonable men never achieve anything. Wer sich 100% dem Fightgame verschrieben hat, weist schlicht eine ganz andere Mentalität auf als der Durchschnittsmensch. Kämpfen stand für Conor immer ganz oben. Der Mann hat so viel Geld, dass er nie wieder einen Finger krumm machen müsste und seine Familie trotzdem für die nächsten drei Generationen ausgesorgt hätte. Es gibt für ihn seit 2016, dem Moneyfight gegen Floyd Mayweather, absolut keinen Grund, wieder ins Octagon zu steigen – wenn da nicht die Liebe zum Kampf wäre.

Ungewisse Zukunft

Ein letzter Kritikpunkt sei noch erwähnt, bevor die Rezension länger wird als das Transkript der etwa dreieinhalbstündigen Dokuserie. McGregor Forever hätte fünf Folgen umfassen und später veröffentlicht werden sollen. Ende Mai wird die bereits abgedrehte 31. Staffel von The Ultimate Fighter ausgestrahlt, in welcher Conor und Michael Chandler als konkurrierende Coaches antreten, und deren Ende traditionellerweise ein Kampf zwischen den Kontrahenten folgt. McGregor Forever verspricht uns, den Weg zurück von Conor zu zeigen, aber wie viel besser wäre es gewesen, wenn sie mit dem Sieg über Chandler enden würde? Auch wenn weder Conor-Fans noch der Rezensent es wirklich hören wollen, muss leider gesagt werden, dass Chandler mit hoher Wahrscheinlichkeit als Sieger hervorgehen wird – falls der Fight überhaupt stattfinden sollte, was aktuell sehr ungewiss ist. Ein Prime-Conor hätte Chandler innerhalb von einer Runde abgefertigt, aber was wir in letzter Zeit von ihm zu sehen bekommen haben, stimmt nicht sonderlich zuversichtlich.

Credits

OT: „McGregor Forever“
Land: USA
Jahr: 2023
Regie: Gotham Chopra, Darragh McCarthy
Musik: Nathan Klein
Kamera: Lucas Gath, Darragh McCarthy
Mitwirkende: Conor McGregor, Dee Devlin

Bilder

Trailer

Weitere Netflix Titel

Ihr seid mit McGregor Forever schon durch und braucht Nachschub? Dann haben wir vielleicht etwas für euch. Unten findet ihr alle Netflix-Titel, die wir auf unserer Seite besprochen haben.

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McGregor Forever
Fazit
"McGregor Forever" ist Pflichtprogramm für Fans des großmäuligen Iren. Obwohl sie diesen nicht viel Neues zu bieten hat, gibt sie doch einen sehr guten Abriss über die letzten fünf Jahre seiner Laufbahn. Es werden zwar nicht alle Fragen zum Beinbruch beantwortet, aber immerhin lernen wir endlich, wie genau es dazu kommen konnte. UFC-Fans können ebenfalls besten Gewissens einschalten, komplette Neulinge dürfen gerne einmal neugierig in die erste Folge schnuppern und ausgehend davon über das weitere Vorgehen entscheiden.
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