A Land Imagined
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„A Land Imagined“ // Deutschland-Start: 12. April 2019 (Netflix)

Wang Bi Cheng (Xiaoyi Liu) ist einer von vielen, die in Singapur an einem großen Landgewinnungsprojekt arbeiten. Er ist auch recht fleißig dabei, bis er sich eines Tages den Arm bricht und fortan nur noch als Fahrer arbeiten kann. Geplagt von Sorgen und Schlaflosigkeit macht er die Nacht zum Tag, verbringt viel Zeit in einem Internetcafé, wo er auf die resolute Mindy (Luna Kwok) trifft. Als Wang und sein Kollege Ajit (Ishtiaque Zico) später spurlos verschwinden, begibt sich Detective Lok (Peter Yu) auf die Suche und lernt dabei sein Land von einer ganz anderen Seite kennen.

Dass Gastarbeiter oft nur Menschen zweiter Klasse sind, das lässt sich in vielen Ländern beobachten. Am bekanntesten sind natürlich die Beispiele in Katar, wo moderne Sklaven unter widrigsten Bedingungen schöne neue Stadien für die Fußball WM errichten. Damit mögen sie vielleicht die Spitze des blutigen Eisberges darstellen, ein Exklusivrecht auf Misshandlungen hat das arabische Emirat aber sicher nicht. So steht auch Singapur immer mal wieder im Verdacht, mit seinen Gastarbeitern nicht gerade zimperlich umzugehen. Sicher auch aus Kostengründen: Wenn ein Staat mit einer Einwohnerzahl von 5,6 Millionen Menschen über eine Million fremder Arbeiter beschäftigt, dann kann das ganz schön ins Geld gehen.

Die Wahrheit hinter dem Lächeln
Zunächst sieht es so aus, als ob der singapurische Regisseur und Drehbuchautor Yeo Siew Hua genau dies in seinem zweiten Spielfilm kritisieren wollte. Zumindest der ermittelnde Polizist Lok darf, stellvertretend für das Publikum, mit erstauntem bis entsetztem Gesicht durch das Arbeiterlager laufen, wenn er die Bedingungen sieht. Und das sind nur die offiziellen Bedingungen. Wie viel da im Geheimen noch so passiert, das deutet der Netflix-Film A Land Imagined nur an, Hauptsache die Befragten lächeln, wenn sie von den Behörden gefragt werden. Danach darf wieder richtig weitergewerkelt werden.

Wobei man sich hier nie ganz sicher sein kann, was „richtig“ denn nun bedeutet. Was von dem real ist, was wir zu sehen bekommen. Sowohl Cheng wie auch Lok leiden an Schlaflosigkeit, streifen durch die Gegend, versuchen irgendwie die Nacht hinter sich zu bekommen. Immer mal wieder nimmt A Land Imagined dabei traumartige Qualitäten an, irgendwo zwischen Faszination und Schrecken. Die Parallelwelt, in die wir hier eintauchen, führt durch Abgründe, die aber nur selten fassbar werden, sich nicht einmal deutlich als Abgründe zu erkennen geben.

Die Frage nach dem was
Ohnehin wird hier nicht immer klar, was genau Hua eigentlich beabsichtigt hat. Da gibt es Nebenhandlungen, die plötzlich auftauchen und den Eindruck erwecken, furchtbar wichtig zu sein, nur um dann irgendwann abgewürgt zu werden. Die beiden parallelen Erzählungen – Chengs letzte Tage vor dem Verschwinden, Loks Ermittlungen – treffen sich nie auf eine relevante Weise oder finden ein gemeinsames Thema. Während Chengs Strang zumindest noch von einer Persönlichkeit begleitet wird, verliert sich der Polizist in diffusen Noir-Anleihen. Nur dass die hier eben auch mal etwas bunter sein dürfen.

Atmosphärisch ist das interessant, eine fiebrige Halluzination, die anzieht und dabei doch auch abschreckt. Dass A Land Imagined bei seiner Premiere in Locarno auch gleich den großen Preis abgeräumt hat, ist mit Sicherheit auch darauf zurückzuführen. Die Grenzüberschreitungen zwischen Realität und Traum führen zusammen mit der schwierigen Genrezuteilung – der Film ist mal Krimi, dann Thriller, zwischendurch Drama und Gesellschaftsporträt – dazu, dass zum Schluss sehr viel weniger übrigbleibt, als man sich erhoffen konnte. Die Summer weniger ist als die Teile: ein bisschen Kritik hier, dort Mystery und die Frage, wie viel von dem, was wir uns vorstellen, uns erträumen, am Ende noch da ist.



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Ein Bauarbeiter verschwindet, ein Polizist ermittelt – was anfangs wie ein Krimi wirkt, wandelt später zwischen verschiedenen Genres umher, lässt auch Grenzen zwischen Realität und Traum verschwinden. Das ist ein atmosphärischer Blick auf das Singapur von heute, dessen Aufschwung auf dem Rücken von Gastarbeitern ausgetragen wurde. Gleichzeitig bleibt von „A Land Imagined“ aber nicht wirklich viel zurück.
6
von 10