Horse Girl Netflix

Horse Girl

Kritik

Horse Girl Netflix
„Horse Girl“ // Deutschland-Start: 7. Februar 2020 (Netflix)

So richtig da war Sarah (Alison Brie) eigentlich nie. Zumindest nicht bei den Menschen. Tiere sind ihr lieber, Willow zum Beispiel, ihr heißgeliebtes Pferd. Wobei, sie mag auch Purgatory. Das ist aber kein Pferd, sondern eine Sendung. Ihre Lieblingssendung. Die erzählen immer so tolle Geschichten, ganz unglaubliche Geschichten. Wobei sie auch ihr eigenes Leben nicht mehr so wirklich glauben kann. Sofern es ihr eigenes Leben ist. Oder ist sie doch jemand anderes? Und was passiert eigentlich mit der Zeit, die immer weg zu sein scheint, wenn sie nicht aufpasst? Ganz klar, da muss mehr dahinterstecken. Und Sarah hat schon eine Ahnung, was bzw. wer das sein könnte …

Ein Film über eine junge Frau und ihr Pferd. Wie nett! Davon hat es hierzulande in den letzten Jahren jede Menge gegeben, allen voran natürlich die Ostwind-Reihe, die mit Aris Ankunft ein neues Kapitel aufgeschlagen hat. Und natürlich hat Netflix selbst seine Pferdchen im Stall, in Form der Jugendserie Zoe und Raven, die es bereits auf drei Staffeln mitbringt, diverse Specials nicht mitgezählt. Da lag die Vermutung natürlich nahe, dass Horse Girl in eine ganz ähnliche Richtung gehen würde, jugendliche Selbstentdeckung und viel Tierliebe bieten wird.

Die Suche und der Verlust
Tierliebe findet tatsächlich statt, wobei Sarah dieser nicht so wirklich nachgehen darf. Und auch hinter das mit der Selbstentdeckung darf man ein Fragezeichen setzen. Nicht, dass es der jungen Protagonistin an dem Willen fehlen würde, sich selbst so richtig auf den Grund zu gehen. Doch je mehr sie sucht, je mehr sie wissen will, umso weniger scheint dabei rauszukommen. Die Selbstsuche wird eher zu einem Selbstverlust, wenn sie zunehmend kruden Theorien nachgeht, auf einmal in allem und jedem einen eine ganz große Verschwörung wittert. Schließlich hat sie Purgatory gesehen, weiß also genau, dass da was vorgehen muss.

Anfangs ist das noch skurril, durchaus putzig. Horse Girl scheint, wenn schon keine Pferderomanze, so doch wenigstens eine dieser eigenwilligen Indie-Komödien zu sein, wie man sie beim Sundance Film Festival andauernd findet. Dass der Film ausgerechnet dort Premiere hatte im Januar 2020, das verwundert nicht, weckt zudem gewisse Erwartungen. Aber auch diese Erwartungen werden nicht erfüllt, wenn aus der harmlosen Spinnerei nach und nach mehr wird. Wenn die vermeintliche Komödie zu einem Drama wird, anders, düster und auf seine Weise herzerweichend.

Das will ich nicht hören!
Regisseur Jeff Baena, sonst bekannt für Genre-Komödien wie Life after Beth und The Little Hours, hat die Geschichte zusammen mit Hauptdarstellerin Alison Brie geschrieben. Eine ungewöhnliche Geschichte, mit einigen Überraschungen. Und einige mutige: Die beiden nehmen sich das immer noch irgendwie unangenehme Thema der psychischen Krankheit vor – auf der weiblichen Seite in Sarahs Familie weiter verbreitet –, präsentieren es aber nicht von außen, wie man es normalerweise kennt. In Horse Life gibt es wenig außen, die wohlmeinenden und warnenden Stimmen werden schnell abgewürgt. Im Zweifel sind sie Teil der Verschwörung.

Horse Girl dürfte damit viele im Netflix-Publikum verwirren, einige wohl sogar wirklich ärgern. Aber der Film hat seine Qualitäten, ohne jede Frage, wenn man sich auf das einlassen kann, was Baena und Brie da tun. Sie versuchen, den zunehmenden Kontrollverlust zu verbildlichen, durch die Augen eben der Person zu zeigen, welche davon betroffen ist. Anders als etwa Hirngespinster, das ebenfalls von einer paranoiden Schizophrenie erzählte, sind wir in der Wahrnehmung von Sarah gefangen, wissen selbst irgendwann nicht mehr, was real, was eingebildet ist. Diese verschwimmenden Grenzen sind im Genre-Umfeld nicht selten, ob Horror oder Psychothriller, Beispiele gibt es genug. Hier führen die eigenartigen, teils sehr surrealen Szenen jedoch zu keinem bestimmten Ziel, dienen nicht dem Aufbau von Spannung. Sie sind ihr eigener Zweck, faszinierend in ihrer Fremdartigkeit, in einer Welt treibend, die nicht unsere ist, die sich nicht darum kümmert, ob da draußen noch jemand ist. Das ist fesselnd und irgendwie schön, gleichzeitig aber auch etwas unheimlich – und eben wahnsinnig traurig.

Credits

OT: „Horse Girl“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Jeff Baena
Drehbuch: Jeff Baena, Alison Brie
Musik: Josiah Steinbrick, Jeremy Zuckerman
Kamera: Sean McElwee
Besetzung: Alison Brie, Debby Ryan, John Reynolds, Molly Shannon, John Ortiz

Bilder

Trailer



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„Horse Girl“ ist weder die Tier-Teenie-Romanze, die der Titel erwarten lässt, noch die skurrile Komödie, die man anfangs vermutet. Stattdessen zeigt der Film aus der Innenperspektive, wie eine junge Frau zunehmend den Bezug zur Realität verliert. Das ist wahnsinnig traurig, aber auch faszinierend, auch wegen der diversen surrealen Szenen.
7
von 10