Deine letzte Stunde El desorden que dejas Netflix
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Deine letzte Stunde

Kritik

Deine letzte Stunde El desorden que dejas Netflix
„Deine letzte Stunde“ // Deutschland-Start: 11. Dezember 2020 (Netflix)

Eigentlich hatte sich Raquel (Inma Cuesta) auf die neue Aufgabe gefreut, in der High School der galizischen Kleinstadt, aus der auch ihr Ehemann Germán (Tamar Novas) stammt, Literatur zu unterrichten. Lange hält diese Freude aber nicht an, da die Schüler und Schülerinnen ihr nicht unbedingt einen warmen Empfang bereiten. Vor allem Iago (Arón Piper), Roi (Roque Ruíz) und Nerea (Isabel Garrido) haben es offensichtlich darauf abgesehen, ihr das Leben möglichst schwer zu machen. Hintergrund scheint ihre Vorgängerin Viruca (Bárbara Lennie) zu sein, die ein besonderes Verhältnis zu der Klasse und sich drei Wochen zuvor das Leben genommen hat. Sofern es denn überhaupt Selbstmord war, woran ihr Mann Mauro (Roberto Enríquez) noch immer Zweifel hat …

Geheimnisvolle Erfahrungen in der Provinz
Wenn es in Filmen oder Serien die Hauptfigur aus der Stadt irgendwohin aufs Land verschlägt, dann geschieht das meistens aus einem von zwei Gründen. 1. Die Figur soll durch Entschleunigung und echten Zusammenhalt wieder erkennen, worauf es im Leben ankommt, und zu sich selbst kommen. 2. Die Figur kommt irgendeinem großen Geheimnis auf die Spur, was meistens mit großer Gefahr einhergeht. Die spanische Netflix-Serie Deine letzte Stunde macht beides irgendwo ein wenig, wenn wir hier eine Frau kennenlernen, die nach dem Tod ihrer Mutter dringend wieder etwas Struktur braucht. Soweit kommt es aber nicht, als sie schon am ersten Tag mit einer Toten konfrontiert wird, über die keiner reden will, die aber alles noch bestimmt.

Da fragt sich natürlich nicht nur Raquel nach den Gründen, sondern das Publikum ebenfalls. Die junge Lehrerin dient anfangs vor allem als Identifikationsfigur, wenn sie sich an der Leute vor den Bildschirmen auf die Suche macht. Das klingt eigentlich nach einem klassischen Whodunnit, der mit einer Reihe verdächtiger Personen im Umfeld zum Rätseln und Spekulieren einlädt. Was anfangs aber noch recht klar erscheint, wird schnell deutlich verworrener. Nicht nur, dass die Serie in der Vergangenheit einige Geheimnisse versteckt hat, auch in der Gegenwart ist richtig viel Drama angesagt, wenn es in der Kleinstadt praktisch niemanden gibt, der sein Leben auch nur ansatzweise im Griff hat. Zusammenhalt gibt es hier höchstens, wenn der auf eine Zielperson ausgerichtet ist, der es zu schaden gilt.

Anstrengend und zäh
Das macht anfangs neugierig, wird jedoch schnell ziemlich anstrengend. Irgendwie hielt man es bei Deine letzte Stunde wohl für eine gute Idee, ausschließlich unangenehme bis grauenvolle Menschen an einem Ort zu versammeln. Die Folge: Es dauert nicht lange, bis einem sämtliche Figuren derart auf die Nerven gehen, dass einem die Lust abhandenkommt, wirklich Zeit mit ihnen zu verbringen – was sogar für Raquel gilt. Keine einseitig guten und netten Charaktere zu schaffen, das ist eine Sache, als Gegenstück zu den oft idealisierenden Provinzgeschichten vielleicht sogar nicht verkehrt. Allerdings kannte man dabei wie auch bei der Geschichte im allgemeinen kein Maß, weshalb die Serie bald hoffnungslos übertrieben ist, mehr Seifenoper als Mysterythriller.

Hinzu kommen zwei andere Faktoren, die den positiven Ersteindruck nach und nach trüben. Da wäre zum einen die umständliche Erzählstruktur. Carlos Montero, der hier seinen eigenen Roman als Serie adaptierte, springt unentwegt zwischen den Zeitebenen hin und her: Mal folgen wir Raquel, die an den Schülern verzweifelt und immer tiefer in den Abgrund ihrer Vorgängerin hineingezogen wird, mal ist es die Verstorbene selbst, deren letzten Wochen wir nachvollziehen dürfen. Zeitwechsel sind natürlich nicht prinzipiell verkehrt. Hier geschieht das aber so oft und ohne erkennbaren Grund, dass Deine letzte Stunde zu einer frustrierenden Erfahrung wird, da in beiden Zeitphasen dieselben Figuren auftreten – bis auf die zwei Frauen, die sich zudem noch ähnlich sehen.

Wenn es das Ziel war, durch diese schnellen Wechsel Spannung zu erzeugen, dann ist dieser Versuch missglückt. Deine letzte Stunde, und das ist der zweite negative Faktor, zieht sich viel zu sehr. Die Konflikte drehen sich immer wieder im Kreis, es werden dieselben Dialoge geführt, sodass man sich fühlt, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen. Immerhin: Durch die regelmäßigen Wendungen, die eingebaut werden, siegt am Ende doch die Neugierde. Außerdem ist das Setting der spanischen Produktion gut gewählt. Die dunklen Wälder, die heißen Quellen, die düsteren Gebäude – das macht schon einiges her. Wer also mal wieder in der Stimmung ist nach einem Thrillerdrama rund um menschliche Abgründe und dunkle Geheimnisse, der bekommt schon einiges geboten. Das erhoffte Highlight ist das hier aber nicht geworden.

Credits

OT: „El desorden que dejas“
IT: „The Mess You Left Behind“
Land: Spanien
Jahr: 2020
Regie: Carlos Montero, Silvia Quer, Roger Gual
Drehbuch: Carlos Montero, Javier Holgado Vicente, Andrés Seara
Vorlage: Carlos Montero
Musik: Lucio Godoy, Ricardo Curto
Kamera: Isaac Vila, David Valldepérez
Besetzung: Inma Cuesta, Bárbara Lennie, Tamar Novas, Arón Piper, Roberto Enríquez, Roque Ruíz, Isabel Garrido, Alfonso Agra

Bilder

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In „Deine letzte Stunde“ fängt eine Lehrerin in einer Provinzschule an und kämpft gegen die Schatten ihrer unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommenen Vorgängerin an. Das fängt vielversprechend an, man ist neugierig, auch das Setting ist gut gewählt. Allerdings leidet die spanische Serie unter den unerträglichen Figuren, einem zu geringen Tempo, schlecht gelösten Zeitsprüngen und dem Hang zu Übertreibungen.
5
von 10