Criminal Frankreich France Netflix
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Criminal: Frankreich – Staffel 1

Criminal Frankreich France Netflix
„Criminal: Frankreich – Staffel 1“ // Deutschland-Start: 20. September 2019 (Netflix)

In den letzten Jahren war Netflix sichtlich darum bemüht, das eigene Angebot etwas abwechslungsreicher zu machen – auch durch internationale Produktionen. Die haben nicht nur den Vorteil, dass sie das lokale Publikum ansprechen. Sie sorgen auch dafür, dass zumindest in der Theorie ganz unterschiedliche Werke zur Verfügung stehen, wenn jedes Land seine eigenen Ideen und Besonderheiten mitbringt. Allein deshalb schon klang das Konzept hinter Criminal spannend: eine Krimiserie, die in vier Unterserien aufgeteilt wird, jede davon von einem anderen Team bzw. einer anderen Nationalität umgesetzt. Und so durften wir uns auf jeweils drei Folgen aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Spanien und Frankreich freuen.

Aber auch ein anderer Aspekt klang vielversprechend: Die komplette Serie sollte inmitten eines einzigen Raums stattfinden. Genauer spielt Criminal im Verhörzimmer der Polizei, die allein durch ein Gespräch mit Verdächtigen herausfinden will, was genau vorgefallen ist. Kammerspielartige Filme gibt es immer mal wieder, die an Theaterstücke erinnern, teilweise auch auf ihnen basieren. Im Krimibereich ist das jedoch eher selten der Fall, schließlich basieren solche Geschichten normalerweise auf dem Prinzip, dass die Polizei oder auch Detektive durch die Gegend fahren, nach Spuren und Zeugen suchen und so nach und nach der Wahrheit auf die Spur kommen. Das alles aufzugeben, um lediglich durch Dialoge zu ermitteln, das ist durchaus ambitioniert.

Täter oder Opfer?
Criminal: Frankreich weicht diese Idee aber auf, indem – wie auch bei den anderen Länderfassungen – der Krimiaspekt mit viel Drama kombiniert wird. Das kann die Menschen hinter der Glasscheibe betreffen, die oftmals Probleme mit der Position oder miteinander haben. Doch das wird hier wie auch bei den Kollegen immer nur halbherzig verfolgt. Man bekommt zwar ein paar Brocken vorgeworfen, ohne dass daraus aber das Gefühl einer Kontinuität entsteht. Oder tatsächliche Figuren. Es hat oft mehr von einem Lückenfüller, wenn sie das Gespräch irgendwie mal unterbrechen wollten und dafür eine Ausrede suchten. Das Thema Entwicklung gelingt den Franzosen daher ebenso wenig wie den anderen Landesvertreter*innen. Man konzentrierte sich stärker auf die Geschichten der Verdächtigen.

Die haben es dafür teilweise in sich. Noch stärker als die anderen Netflix-Nationen wird in Frankreich auf die Gesellschaft eingegangen. In der ersten Folge Émilie arbeitet man sich beispielsweise an der traumatischen Erinnerung an die Anschläge in Paris im November 2015 ab. Genauer wird der gleichnamigen jungen Frau, intensiv gespielt von Sara Giraudeau, vorgeworfen, dass sie entgegen ihrer Behauptungen gar nicht beim Konzert im Bataclan gewesen ist, eines der Anschlagsziele der Terroristen. Der Vorwurf: Sie wolle die Versicherung betrügen und mit der Tragödie nur Geld machen. Das ist als Kriminalfall sicher nicht der ganz große Höhepunkt, überzeugt aber durch viel Emotionalität. Criminal: Frankreich beginnt mit einer trotz kleinerer Längen packenden Folge über den Umgang mit Schmerz und erlittenen Traumata.

Große Ideen, Mängel bei der Umsetzung
In der zweiten Folge Caroline schlüpft Nathalie Baye (Alibi.com) in die Rolle einer Bauchefin, der vorgeworfen wird, ihren Vorarbeiter ermordet zu haben. Das geht schon stärker in die Krimirichtung, wird aber ebenfalls mit viel persönlichem Drama ergänzt. Und gesellschaftlichen Aspekten, wenn auch von den Arbeitsbedingungen auf dem Bau die Rede ist. Stärke gewinnt die Episode durch Baye, die zuerst die toughe Geschäftsfrau gibt, in deren Fassade aber immer mehr Risse entstehen. Wie so oft bei Criminal hapert es aber an den Details, einzelne Szenen sind nicht glaubwürdig, die Übergänge holprig, man versteift sich auch darauf, dass die Qualität der Geschichte mit einem Twist verbunden ist, anstatt auf den Rest mehr zu achten. Das ist immer noch sehenswert, aber doch schwächer als der Auftakt.

Der Tiefpunkt kommt leider zum Schluss. Leider, weil auch Jerome mehr sein will als einfache Krimikost. Dieses Mal wird einem von Jérémie Renier (Der andere Liebhaber) gespielten Verkaufsleiter vorgeworfen, einen Schwulen totgeprügelt zu haben. Homophobie lautet also das Thema, verbunden mit einer toxischen Männlichkeit, die in jeder Abweichung einen Angriff auf das eigene Selbstbild sieht. Das ist gut gemeint, hält sich aber zu sehr mit Klischees auf, wird im weiteren Verlauf auch ziemlich willkürlich. Die hohen Erwartungen, die man an die Serie hatte, werden also auch von Criminal: Frankreich nicht erfüllt, zumal es wie bei den Inhouse-Kollegen keine Querverbindungen gibt, was das Konzept etwas langweilig werden lässt. Aufgrund der gesellschaftlichen Aspekte ist das hier jedoch zumindest solide, selbst wenn Krimifans weniger gut bedient werden.



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Noch stärker als die anderen Länder-Ausgaben der Netflix-Produktion setzt „Criminal: Frankreich“ auf gesellschaftliche Aspekte. Das geht teilweise mit einer starken Emotionalität einher und ist dafür auch durchaus sehenswert, selbst wenn der Krimiteil weniger überzeugend ausfällt, es an der nötigen Detailarbeit und Konsequenz mangelt.
6
von 10