365 dni Days Netflix
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Kritik

„365 Days“ // Deutschland-Start: 7. Juni 2020 (Netflix)

Massimo (Michele Morrone) ist es gewohnt, dass ihm alle hörig sind, sowohl beruflich wie auch privat. Widerspruch? Das lässt der sizilianische Mafiaboss nicht zu, das untergräbt nur seine Autorität. Deswegen akzeptiert er auch das Nein nicht, welches die erfolgreiche Geschäftsfrau Laura (Anna Maria Sieklucka) für ihn hat. Zumindest nicht sofort. Und so entführt er sie, als sie eigentlich gerade auf Sizilien ihre freie Zeit genießen wollte, will sie 365 Tage lang gefangen halten. 365 Tage, nach denen sie sich aus freien Stücken in ihn verliebt haben wird, davon ist er überzeugt …

Man wäre Netflix ja gerne dankbar dafür, dass die Verantwortlichen immer wieder Filme und Serien aus Ländern importieren, die aus eigener Kraft kein Publikum hierzulande finden. Den Leuten vor den Bildschirmen Werke mitbringen, die sie selbst nie hätten sehen können. Dass zuletzt auf diese Weise diverse polnische Titel ihren Weg zu uns gefunden haben, ist prinzipiell etwas Gutes, denn außerhalb spezieller Filmfeste ist unser direkter Nachbar selbst für ein offenes Publikum ein tendenziell unbekanntes cineastisches Land. Die konkrete Auswahl ist hingegen manchmal etwas fragwürdig. Während beispielsweise die Krimiserie Im Sumpf durchaus atmosphärisch war, entpuppte sich der Genrekollege Plagi Breslau – Die Seuchen Breslaus als bizarr bis unsinnig.

Dialoge, die richtig weh tun
Aber es geht noch schlimmer, sehr viel schlimmer. Ein wirklicher Genrebeitrag ist 365 Days dabei nicht, obwohl zwischendurch immer wieder Thrillerelemente eingebaut werden und es – dem Protagonisten sei Dank – oft um Verbrechen geht. Das eigentliche Verbrechen ist jedoch der Film selbst, der auf eine Weise grauenvoll ist, wie man es selbst von den oft geschmähten Netflix-Filmen nicht kennt. Schon in den ersten Minuten schwant einem Übles, wenn mühsam zusammengebaute Dialoge versuchen, Massimo als ein besonders hartes Alpha-Männchen zu etablieren und alle anderen um ihn herum in Ehrfurcht erstarren. Und das ist nur der Anfang einer fast zwei Stunden dauernden Tortur, welche die Ohren zusätzlich mit mieser, laut aufgedrehter Musik straft, die wohl eine Form von Härte suggerieren soll.

Das Vorbild für den Film ist dabei eindeutig, da versucht jemand im Fahrwasser von Fifty Shades of Grey Kasse zu machen. Und so gibt es eben auch hier einen jungen, erfolgreichen, gut gebauten Mann, der eine ebenfalls junge, attraktive Frau mit erotischen Spielchen gefügig machen soll. Wobei die Spielchen nicht unbedingt die größte Abwechslung mit sich bringen, von einer kleinen Fesselnummer abgesehen besteht Massimos Fantasierepertoire lediglich darin, Frauen zum Oralsex zwingen zu wollen und es ihnen mal so richtig zu besorgen. Die üblichen Männerträume eben, wie sie Pornos propagieren, alternativ alte, mächtige Männer aus Politik und Showgeschäft, die auf diese Weise ihren Selbstwert festlegen.

Ein überlanger Porno
Dass ein solcher Film in Zeiten von #MeToo noch erscheint, ist erstaunlich. Noch erstaunlicher ist, dass die Romanvorlage von einer Frau stammt, genauer von Blanka Lipinska, sich mit Barbara Bialowas eine weitere Frau dazu bereit erklärte, die Co-Regie zu übernehmen. Aber selbst wenn man sich nicht daran stört, wie Frauen zum Objekt gemacht werden, sich eine zunächst unabhängige Frau Hals über Kopf in einen Mann verliebt, der in ihr nur eine Beute sieht, gibt es nichts Positives, das man über 365 Days sagen kann. Sicher, Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin sind attraktiv, die Schauplätze der übliche Luxus-Porno, einschließlich Yacht und schickem Haus. Und einen Markt scheint es für derlei Werke auch zu geben.

Wenn jedoch die Attraktivität eines Paares die einzige nennenswerte Stärke ist, die Figuren selbst ohne jedes Charisma bleiben, keine Chemie zwischen ihnen entsteht, man die Sexszenen herbeisehnt, weil das meistens bedeutet, dass die Dialoge endlich aufhören, dann stellt sich schon die Frage: warum dann nicht gleich einen Porno schauen? Der hat wenigstens den Anstand, seine eigene Dummheit nicht verstecken und auf zwei Stunden ausbreiten zu wollen. Hier aber fühlt man sich an die diversen Erotikthriller der 90er erinnert, die nach Basis Instinct überall aufploppten. Die waren zwar auch nicht gut, oft eher das Gegenteil. Wenigstens hatten sie aber noch Geschichten, die sie irgendwie erzählen wollten, anstatt mithilfe eines Zufallsgenerators Szenen zu erzeugen, die völlig ohne Kontext oder Sinn sind, erschaffen von Menschen, die offensichtlich häufiger aus dem Haus gehen sollten. Das Ergebnis lässt sich allenfalls noch als selbstverliebter Trash ertragen, mit der entsprechenden ironischen Distanz. Aber selbst dann sollte es produktivere Wege geben, seine Zeit zu verschwenden.

Credits

OT: „365 dni“
Land: Polen
Jahr: 2019
Regie: Barbara Bialowas, Tomasz Mandes
Drehbuch: Tomasz Klimala
Vorlage: Blanka Lipinska
Musik: Mateusz Sarapata, Michal Sarapata
Kamera: Bartek Cierlica
Besetzung: Michele Morrone, Anna Maria Sieklucka

Trailer

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„365 Days“ erzählt von einem Mafiaboss, der eine Geschäftsfrau entführt, um sie emotional und sexuell gefügig zu machen. Das ist inhaltlich mindestens fragwürdig, vor allem aber grauenvoll umgesetzt. Die Dialoge sind von selbstverliebten Plattitüden bestimmt, vorgetragen mit vollem Ernst, obwohl sie für jeden eine Beleidigung sind, der hören kann. Anschauen kann man sich das Erotikdrama allenfalls für das gut gebaute Duo, das jedoch weniger Charisma hat als der schlechteste Porno und im Laufe von zwei Stunden zu einer einzigen Folter wird.
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von 10