Top Boy Netflix
© Netflix

Top Boy – Staffel 1

Top Boy Netflix
„Top Boy – Staffel 1“ // Deutschland-Start: 13. September 2019 (Netflix)

Eigentlich hatte Dushane (Ashley Walters) in Jamaika ein ganz neues Leben beginnen wollen. Doch das ging gewaltig schief: Als ein kleiner Coup mit Blutvergießen endet, entschließt er sich, nach London zurückzukehren, wo er früher erfolgreicher Drogendealer war. Aber die Zeiten haben sich geändert, inzwischen hat Jamie (Michael Ward) hier das Sagen und beabsichtigt nicht, sein Territorium wieder anderen zu überlassen. Und auch bei Dushanes ehemaligen Kumpanen hat sich einiges getan. Sully (Kane Robinson) hockt im Knast, Dris (Shone Romulus) hat mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Doch das hält Dushane nicht auf, er geht beim Versuch, wieder Fuß zu fassen, auf volle Konfrontation …

Für die Taktik, immer wieder Filme aufzukaufen, die es ansonsten vielleicht ins Kino geschafft hätten, musste sich Netflix viel Kritik gefallen lassen. Ebenso dafür, dass Serien gerne mal vorzeitig abgesetzt werden, aus nicht immer ganz ersichtlichen Gründen. Etwas unter geht dabei, wie viele Serien der Streamingdienst entweder gerettet oder wiederbelebt hat, für die es sonst keinen Markt mehr gegeben hätte. Lucifer ist eines der bekanntesten Beispiele. Vor einigen Wochen spendierten sie Fans mit Stadtgeschichten eine völlig unerwartete, dafür aber willkommene Fortsetzung der alten Serie. Und auch bei Top Boy erhielt eine abgesetzte, renommierte Serie eine neue Chance.

Zurück zum Anfang?
Wobei Netflix damit gleichzeitig für etwas Verwirrung sorgte. Bei Top Boy handelte es sich um ein britische Produktion, die von 2011 bis 2013 in zwei Staffeln à 4 Folgen von einer Gegend in Ost-London handelte, in der Drogen und Gewalt an der Tagesordnung waren. Diese beiden Staffeln sind ebenfalls auf Netflix verfügbar, dort jedoch unter dem Titel Top Boy: Summerhouse. Die dritte Staffel läuft hingegen unter dem ursprünglichen Titel Top Boy und wird dort als erste Staffel verkauft, wohl auch um potenzielle Späteinsteiger nicht abzuschrecken. Das ist verständlich, zumal Vorkenntnisse zwar wünschenswert, aber nicht dringend notwendig sind – neben diversen bekannten Gesichtern gibt es viele neue Figuren. Etwas mehr Transparenz wäre trotzdem ganz nett gewesen, so wie immer bei Netflix.

Betrachtet man die Serie nur für sich genommen, lohnt sich der Einstieg aber so oder so. Noch immer erzählt Ronan Bennett, der Top Boy seinerzeit schuf und nach wie vor für einen Großteil der Drehbücher zuständig ist, von einer düsteren Parallelgesellschaft, in der höchstens zufällig mal jemand nicht kriminell ist. Das macht das mit den Identifikationsfiguren natürlich ein wenig schwierig. Zwar wird Dushane als solche etabliert, geht aber aufgrund seiner Drogengeschäfte und seiner Bereitschaft zur Gewalt nicht gerade als Held durch. Umgekehrt ist Jamie, der als Gegenspieler aufgebaut wird, nicht das personifizierte Böse. Denn auch er versucht nur irgendwie über die Runden zu kommen und für sein Umfeld zu sorgen.

Ambivalente Figuren in großen Schwierigkeiten
Top Boy wagt so einen Blick auf eine Welt, der gleichzeitig einfühlsam und ungeschönt ist. Man muss die Figuren, die hier durch die Gegend laufen und sich gegenseitig umbringen, sicherlich nicht bewundern oder mögen. Bennett verteufelt sie aber auch nicht, sondern versucht aufzuzeigen, wie Menschen überhaupt in eine solche Lage geraten können, ohne allzu viel dramatisieren und aufbauschen zu wollen. Ein bisschen Hochglanz ist jedoch schon vorhanden. Möglicherweise ist es der Einfluss von Netflix, dass die Serie schicker aussieht, als sie es früher getan hat, von der Anmutung her mehr Hollywood statt Dokumentation ist.

Der deutlichste Unterschied ist aber, dass die dritte Staffel, die offiziell keine ist, deutlich länger geworden ist. Statt vier Folgen gibt es nun gleich zehn, jeweils rund 50 bis 60 Minuten lang. Aus diesem Grund konnte dann auch das Tempo deutlich rausgenommen werden, man lässt sich dieses Mal viel Zeit, um die Figuren, ihr Umfeld und die Lebenssituationen zu erläutern. Das ist einerseits gut, da hierdurch doch wichtige Grundlagen gelegt werden, bevor es dann zunehmend eskaliert. Es braucht aber einiges an Geduld dafür. Wie bei so vielen Netflix-Serien hat man bei Top Boy das Gefühl, dass das doch auch in weniger Folgen hätte gehen müssen. Wer aber die nötige Zeit mitbringt und sich wieder in düsteren Gefilden herumtreiben möchte, ohne dabei das eigene Leben zu riskieren, der ist bei dem figurengetriebenen Krimidrama zweifelsfrei an einer guten Adresse.



(Anzeige)

Die Fortsetzung des renommierten Krimidramas „Top Boy“ ist sicherlich unerwartet, aber durchaus gelungen. Auch wenn die dritte Staffel um Drogengeschäfte im Osten von London ein gemächliches Tempo vorlegt, so ist der Einblick in eine kriminelle Parallelgesellschaft durchaus spannend – auch weil es hier weder rein gut noch rein böse gibt, sondern zahlreiche Grauschattierungen.
7
von 10