Wasp Network Netflix
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Kritik

Wasp Network Netflix
„Wasp Network“ // Deutschland-Start: 19. Juni 2020 (Netflix)

Als der kubanische Pilot René González (Edgar Ramírez) in den frühen 90ern mit einem gestohlenen Flugzeug aus seiner Heimat fliegt, um in den USA ein neues Leben anzufangen, ist der Preis hoch. Denn er musste alles zurücklassen: seine Frau Olga (Penélope Cruz), die gemeinsame Tochter, alles, was ihm lieb und teuer war. Aber auch seine Angehörigen haben schwer unter der Situation zu leiden, werden sie doch als Familie eines Verräters geächtet. Dabei hat René in Wahrheit etwas ganz anderes vor: Zusammen mit Gerardo Hernández (Gael García Bernal), Juan Pablo Roque (Wagner Moura) und anderen Exil-Kubanern werden sie Teil eine Organisation, die ganz eigene Ziele verfolgt …

In den letzten Jahren schwankte Olivier Assayas immer zwischen seiner Liebe fürs Genrekino und der für das künstlerische Umfeld umher, drehte mit Personal Shopper einen übernatürlichen Thriller, nur um zuletzt mit Zwischen den Zeilen genüsslich den Literaturbetrieb auseinanderzunehmen. Doch gleich, welche Art Filme er auch drehte, im Mittelpunkt standen dabei immer die Figuren, welche in irgendwelche Schwierigkeiten gerieten, die mal tragischer, mal komischer, mal unheimlicher Natur sein konnten. Das gilt dann auch für den Thriller Wasp Network, den Netflix fürs eigene Sortiment eingekauft hat und der gleich in mehrfacher Hinsicht eine Rückkehr in die Vergangenheit darstellt. Nicht nur, dass sein Film eine rund 30 Jahre zurückliegende Geschichte erzählt, basierend auf einer tatsächlichen begebenheit. Assayas erinnert zudem fast zwangsläufig an sein eigenes vergangenes Werk.

Viele Figuren, viele Geschichten
Genauer ist es nahezu unmöglich, beim Anschauen des neuen Films nicht an Carlos – Der Schakal zu denken. Die Biografie eines venezolanischen Terroristen bedeutete für den Franzosen den internationalen Durchbruch, ebenso für Édgar Ramírez, der damals wie auch in Wasp Network die Hauptrolle spielt. Und natürlich geht es in beiden Filmen um heimliche Aktivitäten rund um Lateinamerika, um politische Anschläge, die viele Menschenleben kosteten. Ganz gleichsetzen kann man die beiden Werke jedoch nicht. Zum einen hat der neue Thriller, der auf einem Buch von Fernando Morais basiert, deutlich mehr Figuren, die alle Teil der Geschichte werden. Außerdem ist es dieses Mal um einiges schwieriger zu sagen, wer hier im Recht ist und wer nicht.

Assayas selbst trägt zu dieser Verwirrung bei, indem er das Publikum lange im Unklaren lässt, was genau eigentlich gespielt wird. Dass es in Wasp Network um mehr geht als einen Kubaner, der in den USA ein glückliches neues Leben beginnt, das verrät zwar schon der Titel. Doch der Filmemacher nähert sich dem Ganzen sehr gemächlich an, bleibt sich dabei treu, mehr über die Figuren erzählen zu wollen, als es andere in seiner Position vielleicht getan hätten. Tatsächlich bleibt abzuwarten, wie die Zuschauer und Zuschauerinnen von Netflix darauf reagieren werden, für viele dürfte es entschieden zu lange dauern, bis der als Politthriller verkaufte Film dieser Bezeichnung wirklich gerecht wird. Bis einem dämmert, worum das alles geht und wer da wie mit drin hängt.

Eine verwirrende Ambivalenz
Anders als etwa bei Das Letzte, was er wollte, einem weiteren verschlungenen Politthriller, der dieses Jahr von Netflix veröffentlicht wurde, sind diese Wirrungen aber kein reiner Selbstzweck. Vielmehr zeigt Assayas auf, dass es im wahren Leben oft komplizierter zugeht als in regulären Spionagegeschichten, in der eine Seite die gute ist und damit als Identifikationsfigur dient. Wasp Network verzichtet auf Urteile, zeigt die Figuren als Teil eines komplexen Geflechts, in der alle eigene Interessen und Geschichten haben. Motivationen, die nicht miteinander zu vereinbaren sind, vielleicht aber jede für sich zumindest nachvollziehbar. Während andere Filme einen mit dem Gefühl entlassen, dass alles gut ausgegangen ist, da bleiben hier viele Fragen offen.

Ganz ohne Risiko ist dieser Ansatz natürlich nicht. Dass Assayas damit ein ungeduldigeres Publikum verprellt, das dürfte ihm ziemlich egal sein. Auch dass er auf diese Weise nicht unbedingt die Massen erreicht, denen das zu viel Ambivalenz ist. Allerdings schleicht sich selbst mit viel Wohlwollen das Gefühl ein, dass ihm ein bisschen die Geschichte entglitten ist. Dass er zu viel Material hatte, das er irgendwie unterbringen wollte. Vielleicht wäre es besser gewesen, den Thriller, der bei den Filmfestspielen von Venedig 2019 im Wettbewerb lief, wie damals bei Carlos als Miniserie zu konzipieren, um einiges, was hier nur am Rande mal angesprochen wird, doch noch ganz auszuformulieren. Aber auch so ist Wasp Network sehenswert, inhaltlich sowie der tollen Bilder wegen, in einer Zeit der Schwarzweiß-Politik zudem trotz des historischen Settings sehr aktuell.

Credits

OT: „Wasp Network“
Land: Frankreich, Spanien, Brasilien, Belgien
Jahr: 2019
Regie: Olivier Assayas
Drehbuch: Olivier Assayas
Vorlage: Fernando Morais
Musik: Eduardo Cruz
Kamera: Yorick Le Saux, Denis Lenoir
Besetzung: Penélope Cruz, Édgar Ramírez, Gael García Bernal, Ana de Armas, Wagner Moura, Leonardo Sbaraglia

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
César 2021 Bestes adaptiertes Drehbuch Olivier Assayas Nominierung

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Olivier Assayas erzählt in „Wasp Network“ von einem Kubaner, der aus seiner Heimat flieht, um ein neues Leben anzufangen – oder doch nicht? Äußerst gemächlich legt der Filmemacher hier einen Politthriller an, der basierend auf einer historischen Begebenheit ein komplexes Geflecht entwirft, in dem vieles nicht so ist, wie es erscheint, und bei dem man nicht sagen kann, wer die Guten und wer die Bösen sind.
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von 10