Lost Girls Netflix
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Lost Girls

Kritik

Lost Girls Netflix
„Lost Girls“ // Deutschland-Start: 13. März 2020 (Netflix)

Richtig gut ist das Verhältnis zwischen Mari Gilbert (Amy Ryan) und ihrer Tochter Shannan ja nicht, die sie als Kind zu Pflegeeltern gegeben hat. Doch als diese spurlos verschwindet und sie zudem in der Nacht zuvor einen Notruf an die Polizei geschickt haben soll, gerät Mari in Panik. Die wird auch nicht geringer, als sie feststellen muss, dass sich kaum jemand für das Schicksal der Prostituierten interessiert, die Ermittlungen kaum vorankommen. Und so setzt sie Himmel und Hölle in Bewegung, um der Sache auf den Grund zu gehen, was zu einer schrecklichen Erkenntnis führt: Ein Serienmörder scheint sein Unwesen zu treiben und hat es gezielt auf Prostituierte abgesehen …

Mit True Crime Dokus hat Netflix beste Erfahrungen gemacht, die diversen Filme und Serien, welche vergangene reale Verbrechen beleuchten, erfreuen sich großer Beliebtheit. Kein Wunder also, dass praktisch jeden Monat neue Titel ins Programm aufgenommen werden, zuletzt beispielsweise Wer hat Malcolm X umgebracht? oder Der Apotheker. Dann und wann versucht sich der Streamingdienst aber auch an einer fiktionalisierten Form, engagiert echte Schauspieler und Schauspielerinnen, um mit deren Hilfe die Geschichte zu neuem Leben zu erwecken, vielleicht auch noch ein bisschen mehr Drama zu erzeugen.

Ein Rätsel ohne Antwort
Neuestes Beispiel hierfür ist der Spielfilm Lost Girls. Grundlage der Geschichte ist der sogenannte Long Island Killer, der ab 1996 ein rundes Dutzend Menschen umgebracht haben soll, hauptsächlich Frauen aus dem Bereich der Prostitution. Der Fall ist durchaus berühmt, auch dank des Sachbuch-Bestsellers von Robert Kolker. Bis heute ist der Mörder jedoch nicht gefasst, obwohl es eine Reihe Verdächtiger und diverse Theorien gab. Das wirft natürlich immer die Frage auf: Braucht es dann auch einen Film? Muss der nicht zwangsläufig unbefriedigend sein, wenn das Publikum nicht mitansehen darf, wie für Gerechtigkeit gesorgt wird?

Ja und nein. Klar, wer sich von einem solchen Film verspricht, selbst ein bisschen rumrätseln zu können und über den Täter zu spekulieren, vielleicht auch auf ein überraschendes Ende hofft, wird bei Lost Girls kaum glücklich werden. Denn das hat kein wirkliches Ende. Natürlich hat es aber durchaus Beispiele für solche unaufgelösten Thriller und Krimis immer mal wieder gegeben. Der diesjährige Oscar-Gewinner Bong Joon Ho beispielsweise nutzte in seinem frühen Kultfilm Memories of Murder einen unaufgeklärten Serienmord, um viel über die südkoreanische Gesellschaft zu sagen während des Übergangs von einer Militärregierung hin zu einer Demokratie. Und über eine unfähige Polizei.

Die Polizei, dein Feind und Nicht-Helfer
Eine solche gibt es auch in Lost Girls: Wie in vielen anderen Genre-Beiträgen auch darf man sich hier immer wieder an den Kopf fassen, geradezu schockiert sein angesichts der Verhältnisse. Mehr noch als die Auseinandersetzung mit der Polizei ist der Film jedoch das Porträt einer Gesellschaft, die sich Prostituierter bedient, mit ihnen aber nichts zu tun haben will. Regisseurin Liz Garbus, sonst im Dokumentarfilmbereich zu Hause, nutzt die Gelegenheit, um über die Morde hinaus einiges zu erzählen. Wenn beispielsweise Shannan und die anderen in den Nachrichten auf ihre Sexarbeit reduziert werden, nie mehr sein dürfen als das, dann ist das nicht nur für deren Angehörigen ein harter Schlag. Garbus führt uns ein Amerika vor Augen, weit entfernt vom amerikanischen Traum, geprägt von Heuchelei und Sorgen, von einer bitteren Perspektivlosigkeit.

Hauptdarstellerin Amy Ryan (Late Night – Die Show ihres Lebens) gelingt es sehr einnehmend, eben diese alltäglichen Nöte und die Widersprüchlichkeit zu verkörpern, wenn sie – getrieben auch von Schuldgefühlen – um ihr verlorenes Mädchen kämpft. So lange sich Lost Girls darum kümmert, also die komplizierte Familiengeschichte und den Streit um Würde, ist der Film durchaus stark, ein sehenswertes Drama. Leider wollte er aber eben auch ein klassischer Kriminalfall sein, mit Verdächtigen und Spuren. Das bedeutet gerade gegen Ende hin, sich um ein Thema zu kümmern, was nicht wirklich sehr viel hergibt. Es bedeutet auch, dass viel auf der Stelle getreten wird, um die Geschichte irgendwie zu strecken, und gerade dann an Spannung verliert, wenn diese erzeugt werden soll. Das ist dann insgesamt noch solide, mehr aber leider nicht.

Credits

OT: „Lost Girls“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Liz Garbus
Drehbuch: Michael Werwie
Vorlage: Robert Kolker
Musik: Anne Nikitin
Kamera: Igor Martinovic
Besetzung: Amy Ryan, Thomasin McKenzie, Gabriel Byrne, Oona Laurence, Lola Kirke

Bilder

Trailer

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In „Lost Girls“ kämpft eine Mutter darum, dass die Polizei die Suche nach ihrer verschwundenen Tochter ernst nimmt. Das ist als Drama um eine komplizierte Familie und den Umgang mit Prostitution sehenswert, als reiner Thriller jedoch weniger spannend – zumal der wahre Kriminalfall nie eine Auflösung fand.
6
von 10