Tour de France: Im Hauptfeld – Staffel 1

Wenn die deutsche Abteilung der Streamingplattform Netflix ihrem Katalog ein fiktionales Werk aus einem verglichen mit den regulären Bezugsquellen abgelegeneren Ort der Welt hinzufügt (zuletzt etwa Perfil falso aus Kolumbien), dann scheint aus Prinzip auf die Investition in eine deutsche Synchronisation verzichtet zu werden. Bei Dokus sieht das oft anders aus, Der Fotograf und der Postbote: Der Mord an José Luis Cabezas aus Argentinien etwa weist durchaus eine deutsche Tonspur auf. Nun sind Frankreich und Großbritannien für den Streamingdienst natürlich keine Unbekannten, so war es eigentlich gar keine Frage, dass Tour de France: Im Hauptfeld extra für ein hiesiges Publikum neu vertont werden würde. Wenn sich das kalifornische Medienunternehmen zu diesem Schritt entscheidet, dann wird die deutsche Tonspur oft lieblos über das Original gelegt, was den Hörgenuss des Zuschauers trübt. Die französischen Produktionen nehmen hinsichtlich der Synchronisation allerdings eine Sonderstellung auf Netflix ein. Das Prinzip der Überlappung wird zwar beibehalten, aber deutlich professioneller umgesetzt. Wie in Der Mörder meiner Tochter sind die Tonspuren in der neuen Radsportdokuserie angenehm abgemischt.

Sportdoku für Einsteiger und Fortgeschrittene

Beim Einstieg versucht Tour de France: Im Hauptfeld auch Leuten den Zugang zu ermöglichen, die vom Radsport keine Ahnung haben. Selbst diese aber dürften schon von der Tour de France gehört haben und wissen, dass es sich um das größte und härteste Straßenradrennen der Welt handelt – und eben auch um das bekannteste. Sie ist zwar kein ganz so großes Sportereignis wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-Weltmeisterschaften, findet im Gegensatz zu diesen jedoch jährlich statt. 22 Teams mit jeweils acht Fahrern quälen sich über 21 Tage durch ebenso viele Etappen. Auch die Bedeutung des gelben Trikots wird erklärt, aber wer den Sport verfolgt, wird hier schon deutlich mehr mitnehmen können. In der ersten Episode etwa stürzt ein Fahrer auf der nassen Straße beim Einzelzeitfahren. Das Fahrrad scheint durch den Unfall unbrauchbar geworden zu sein, doch sogleich eilt jemand mit einem anderen herbei, auf welches der Fahrer sich setzt. Dann schiebt ihn der Helfer an. Diese ganze Sequenz muss auf einen Zuschauer, der mit den Gepflogenheiten und Regularien nicht vertraut ist, ziemlich befremdlich wirken. Erklärt wird dabei nichts.

Vorliebe für Unfälle

In Break Point wurden Tennisspieler während der Saison 2022 begleitet. Tour de France: Im Hauptfeld liegt ein ähnliches Prinzip zugrunde. In jeder Episode wird sich hier auf ein Team fokussiert, das beim Radrennen 2022 antritt. Der Veröffentlichungszeitpunkt der Dokuserie wirkt jedoch etwas verfrüht gewählt, schließlich beginnt die nächste Tour de France erst am 1. Juli. Zu Beginn wird aber nicht nur ein grober Überblick gegeben, es entsteht vor allem der Eindruck, Tour de France: Im Hauptfeld wäre sensationslüstern. Eine kleine Kompilation mit Massenkarambolagen der Fahrer zeigt zwar die Gefahren des Wettbewerbs auf, aber die Dokuserie scheint sich schon ein bisschen zu sehr daran zu weiden. Auch in den folgenden sieben Episoden gibt es immer wieder Unfälle, die zusätzlich mit dramatischer Musik unterlegt sind. Solche Stürze sind nicht zu unterschätzen: Einer der Fahrer verunfallte 2020 so schlimm, dass er zehn Zähne verlor und mit 130 Stichen genäht werden musste. Die Karriere schien vorbei zu sein, doch 2022 trat er wieder an, wovon wir in der ersten Folge Zeuge werden.

Tour de France: Im Hauptfeld weist ein zügiges Pacing auf. Das wird dadurch erreicht, dass die Rennen strikt verkürzt dargestellt werden. Der Fokus auf dramatische oder spannende Momente erzeugt die Illusion eines einzigen Spektakels. Jeder, der die Tour de France einmal live verfolgt hat, wird aber wohl einräumen müssen, dass die einzelnen Rennen über weite Strecken nicht sonderlich ereignisreich sind. Dieser filmische Kniff ist aber natürlich nötig, niemand will eine langweilige Serie sehen.