Cam Netflix
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Cam

Cam Netflix
„Cam“ // Deutschland-Start: 16. November 2018 (Netflix)

Tagsüber ist Alice (Madeline Brewer) ein nettes, nicht allzu auffälliges Mädchen. Doch nachts verwandelt sie sich in Lola, die anderen ihre dunkelsten Träume erfüllt – vor der Kamera. Dabei hat sie selbst einen Traum: Sie will es unbedingt unter die ersten 50 der Webcam Girls schaffen, die durch schlüpfrige Posen und die eine oder andere gewagte Aktion die Männer da draußen erfreuen. Wenig erfreut ist sie jedoch, als sie eines Tages aufwacht und feststellen muss, dass ihr Account ganz offensichtlich gehackt wurde. Schlimmer noch, das Mädchen, das da unter ihrem Namen auftritt, sieht genauso aus wie sie. Aber wie kann das sein? Und was kann sie gegen die Nachahmerin ausrichten?

Sieben Doppelgänger soll jeder Mensch statistisch haben, sagt man. Denen begegnet man im Alltag natürlich eher selten, es sei denn, man nutzt Dienste wie spezielle Internetseiten, die einem dabei helfen, das Alter Ego aufzuspüren. Doch das tun die wenigsten, aus gutem Grund. Die Vorstellung, dass da draußen jemand ist, der genauso aussieht wie ich, die mag faszinierend sein. Ist oft aber vor allem erschreckend, da sie an unserem Glauben an unsere Einzigartigkeit kratzt. Das zeigt sich auch an den Filmen, die dieses Motiv aufgreifen. Von den gelegentlichen Beispielen einmal abgesehen, in denen Doppelgänger zu komischen Zwecken eingesetzt werden (Fühlen Sie sich manchmal ausgebrannt und leer?), dienen sie in erster Linie der Erzeugung von Spannung. Schließlich ist das eine echte Bedrohung, wenn jemand einfach so dein Leben übernehmen könnte.

Eine Doppelgängerin, die es nicht gibt
Wie unangenehm bis gefährlich das sein kann, das zeigte der deutsche Beitrag Freddy/Eddy vor einigen Monaten in den Kinos. Nun gibt es etwas Nachschub für die Mattscheibe, wenn nach diversen Festivalauftritten der US-Kollege Cam ins heimische Netflix-Portfolio aufgenommen wird. Der Clou hierbei ist, dass es sich bei dem Doppelgänger nicht um einen aus Fleisch und Blut handelt, dem die Protagonistin über den Weg laufen kann. Die doppelte Lola ist ein reines Online-Produkt, das von Alice zunächst auch nur für eine alte Aufnahme von sich hält. Für einen Computerfehler.

Das Thema ist überaus spannend, da auf diese Weise aktuelle gesellschaftliche Phänomene mit einem klassischen Thriller kombiniert werden. Die Gefahren, die das Internet für das Individuum so mit sich bringt, die wurden in Filmen schon mehrfach aufgezeigt – meistens in Form wohlmeinender Dramen. Cam tut das eher beiläufig, versteckt hinter einem großen Rätsel, was hier eigentlich vor sich geht. Vergleichsweise offensichtlich wird hier noch das Risiko eines Identitätendiebstahls angesprochen. Im realen Leben beschränkt sich das meist auf den finanziellen Bereich, etwa wenn Kreditkartennummern gestohlen werden oder man anderweitig Opfer eines Betrugs wird. Hier ist es die Online-Persönlichkeit, die Alice genommen wird.

Wenn sich niemand mehr selbst gehört
Das ist auch das interessantere, verstecktere Risiko: Wie viel von dem, das wir im Internet sind, gehört noch uns? Wie viel davon sind wir? Die Anonymität des Internets lässt uns Teile einer Persönlichkeit ausleben, die wir sonst unterdrücken, lässt uns jemand werden, der wir gerne wären. Wir können uns auf Dating-Plattformen größer machen, schlanker, jünger. Soziale Netzwerke geben uns die Möglichkeit, unser Leben aufregender und schöner wirken zu lassen, als es in Wahrheit ist. Gleichzeitig haben wir aber keine Kontrolle mehr darüber, was mit uns im Netz passiert. Wer sich der Weltöffentlichkeit darbietet, der kann missbraucht werden, umgedeutet, verändert, zu jeder Zeit, ohne etwas dagegen tun zu können. Eben weil dort nichts fest ist. Der Mensch als Produkt, das jedem gehört.

Leider gelingt es Cam jedoch nicht, aus diesen spannenden Ansätzen wirklich mehr zu machen. Ist erst einmal die neue Situation etabliert, dass Alice ihre Lola verloren hat, kommt der Film nicht mehr wirklich voran. Alice läuft umher, starrt auf Bildschirme. Viel mehr kann sie in ihrer Lage ja auch nicht tun. Zwar werden im Anschluss noch weitere Themen aufgeworfen, zum Beispiel, welche Auswirkungen eine Online-Persönlichkeit auf die Realität hat. Doch diese Punkte werden nur halbherzig verfolgt, gerade die Familie von Alice wird schnell vergessen. Zudem ist der Thriller nur bedingt spannend. Die Neugierde, wer oder was hinter der neuen Lola steckt, die ist da, natürlich. Sie wird nur nicht wirklich belohnt. Anders als in den Doppelgängerfilmen, die im Offline-Modus spielen, entsteht hier auch nie das Gefühl einer tatsächlichen Bedrohung. Alice verliert eine Einnahmequelle und käufliche Selbstbestätigung, hat darüber hinaus aber nichts zu befürchten. Und das ist auf Dauer dann doch zu wenig, als Kurzfilm oder Serienepisode hätte es die Geschichte auch getan.



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Ein Cam Girl muss eines Tages feststellen, dass jemand ihren Online-Platz eingenommen hat, der genauso aussieht wie sie. Das ist eine interessante Abwandlung des Doppelgängerprinzips, verknüpft klassischen Thriller mit Überlegungen zu Identitäten im Internet. „Cam“ macht letztendlich aber zu wenig daraus, schneidet Themen nur an und ist auch nie bedrohlich genug, um wirklich spannend zu sein.
6
von 10