Long Story Short – Staffel 1

Bei Familie Schwooper ist Chaos keine gelegentliche Begleiterscheinung. Vielmehr geht es bei ihnen ständig drunter und drüber. Dabei ist Naomi, die alles bestimmende Matriarchin, eigentlich darum bemüht, dass alles ganz gesittet zugeht, so wie sie sich das vorstellt – und auch, wie ihr jüdischer Glaube das vorgibt. Doch so sehr sie und ihr Mann Elliot sich auch bemühen, das klappt nicht immer so wie gewünscht. Ihre Kinder Avi, Shira und Yoshi haben ein Händchen dafür, sie auf die Palme zu bringen. Dabei verläuft auch deren Leben nicht nach Plan, regelmäßig haben sie mit beruflichen und privaten Rückschlägen zu kämpfen – etwa, wenn es um den eigenen Nachwuchs geht …

Animation für wirklich Erwachsene

Nicht einmal die optimistischsten Verantwortlichen bei Netflix hätten wohl mit dem gigantischen Erfolg von KPop Demon Hunters gerechnet, der Musik-Animationsfilm um eine Girl Group, die Dämonen jagt, ist inzwischen der meistgeschaute Film im Sortiment des Streamingdiensts. Das ist für die Beteiligten natürlich sehr schön. Gleichzeitig ist es etwas schade, wie viele andere sehr sehenswerte animierte Titel von Netflix in den letzten Monaten kaum Aufmerksamkeit erhielten. Da war die wundervolle Stop-Motion-Serie My Melody & Kuromi um einen Dessert-Wettstreit, der eine unerwartet fantastische Richtung einschlägt. Mononoke The Movie: Chapter II – The Ashes of Rage verknüpfte erneut eine knifflige Wahrheitssuche mit einer psychedelischen Optik, wurde aber nur von Fans wahrgenommen. Und auch bei Long Story Short wäre eine größere Resonanz des Publikums verdient gewesen.

Dabei handelt es sich um das neueste Werk von Raphael Bob-Waksberg, dessen Animationsserie BoJack Horseman nach einem holprigen Start hervorragend angenommen wurde und es auf sechs Staffeln brachte – trotz zahlreicher schwieriger Themen, die im Laufe der Jahre angesprochen wurden. Long Story Short geht zumindest in den zehn Folgen der ersten Staffel noch nicht ganz so tief in die Abgründe hinein. Über weite Strecken dominiert auch der Humor. An ernsten Themen mangelt es dennoch nicht, wenn es um familiäre Erwartungen, knallharten Kapitalismus oder auch den Umgang mit Verlust geht. Wo der kürzlich ebenfalls auf Netflix veröffentlichte Film Fixed Animation für Erwachsene mal wieder mit pubertären Gags gleichsetzte, da ist das hier eine tatsächlich erwachsene Angelegenheit.

Sprunghaft und lebensnah

Ungewöhnlich ist dabei die Erzählstruktur. Anstatt chronologisch aus dem Leben der Familie zu erzählen, springt die Serie mit jeder Folge in eine andere Phase, vor und zurück, beleuchtet ein anderes Familienmitglied. Während beispielsweise die erste Episode erzählt, wie Avi seine neue Freundin Jen mit zu ihrer Familie bringt, sind in der zweiten zehn Jahre vergangen. Das Paar hat eine Tochter bekommen, ist aber getrennt. Dafür versucht nun Avis lesbische Schwester Shira ein Kind zu kriegen. Long Story Short ist also schon sehr sprunghaft, gerade zu Beginn ist das gewöhnungsbedürftig, wenn wir Ergebnisse sehen und erst später erfahren, wie es dazu gekommen ist. Aber es funktioniert gut, wie nach und nach Puzzleteile zusammengesetzt werden und ein immer komplexeres Bild dieser Familie entsteht.

Die Optik ist dafür umso einfacher. Tatsächlich sieht die Serie eher nach Gekritzel aus als nach anspruchsvoller Unterhaltung. Es mangelt an Details, die Perspektiven sind alle schepp, auch bei der Animation zeigt man sich genügsam. Das schreckt auf den ersten Blick ab. Davon sollte man sich aber nicht abhalten lassen: Long Story Short ist inhaltlich einer der interessantesten Animationstitel des aktuellen Jahres. Dabei hält die Serie die Balance aus individuellen Eigenheiten und universellen Fragen. Gleiches gilt für den jüdischen Glauben der Familie, der oft mitspielt, ebenso oft aber eigentlich keine Rolle spielt. Das macht Spaß, kann aber auch zu Herzen gehen. Wenn in einer Folge die Kinder um ihre Mutter trauern, dann wird das hier auch ohne Kitsch und Voyeurismus so bewegend, wie es kaum ein Live-Action-Film hinbekommt. Insofern darf man gespannt sein, ob die bereits angekündigte zweite Staffel dieses hohe Niveau halten kann.