Die Wahrheit über Jussie Smollett?

An Verbrechen mangelt es weltweit bekanntlich nicht – und damit nicht an Geschichten, die Netflix ausschlachten kann. Schließlich sind True-Crime-Dokus ein fester Bestandteil im Sortiment des Streamingdiensts, die Menschen können nicht genug bekommen von den wahren Fällen. Stolen: Der große Diamantenraub in Antwerpen erzählte kürzlich von einem spektakulären Coup, der bis heute nicht ganz aufgeklärt wurde. Richtig furchteinflößend wurde es bei Son of Sam: Selbstporträt eines Serienmörders und Angi: (K)eine perfekte Mörderin, die von eiskalten Morden berichteten. Im Vergleich dazu ist Die Wahrheit über Jussie Smollett? ziemlich harmlos, wenn es „nur“ um einen Überfall geht.

Überfall oder Lüge?

Genauer gab der unter anderem aus der Serie Empire bekannte US-amerikanische Schauspieler Jussie Smollett 2019 an, von zwei weißen Männern attackiert worden zu sein – ein doppeltes Hassverbrechen, da er homosexuell und schwarz ist. Das klang durchaus plausibel, Minderheiten sind in den USA immer wieder Gewalt und Übergriffen ausgeliefert. Das Problem ist jedoch, dass die Polizei bald Zweifel an der Darstellung des mutmaßlichen Opfers hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt einen Überfall gegeben hat. Die Wahrheit über Jussie Smollett? geht maßgeblich darauf ein und stellt die beiden Möglichkeiten gegenüber. 1. Smollett wurde wirklich angegriffen, was aber vertuscht werden soll. 2. Er hat sich das alles ausgedacht, ähnlich zu dem hierzulande bekannten Fall von Gil Ofarim.

Juristisch ist der Fall klar, Smollett gab seinerzeit die Schuld zu. Nur behauptete er später, zu dem Geständnis gedrängt worden zu sein, es steht also mal wieder Aussage gegen Aussage. Und wo die Möglichkeit existiert, eine alternative Wahrheit zu haben, bietet sich das Potenzial für Spekulationen. In Die Wahrheit über Jussie Smollett? wird dieses auch ausgiebig genutzt. Da wird dann beispielsweise der Polizei vorgeworfen, Beweise manipuliert zu haben. Beweise für diese Anschuldigen bleibt der Dokumentarfilm aber schuldig, er erklärt auch nicht wirklich, warum sie unbedingt den Schauspieler ins Gefängnis bringen wollte. Und dann ist da ja noch die Sache mit den Aufnahmen einer Überwachungskamera, bei der ein Teil fehlen soll.

Gute Themen, wenig Substanz

Wer solche spekulativen Dokumentationen mag, wird hiermit daher bedient. Hier sollen die Zuschauer und Zuschauerinnen an allem zweifeln, indem ständig verschiedene Perspektiven nebeneinandergestellt und als gleichwertig präsentiert werden. Grundsätzlich ist es natürlich nicht verkehrt, wenn man nicht immer die eine Wahrheit postuliert, sondern auch andere Blickwinkel berücksichtigt. Schließlich ist die Welt nicht immer schwarz und weiß. Im Fall von Die Wahrheit über Jussie Smollett? ist es aber etwas ärgerlich, wie da versucht wird, um jeden Preis eine Ambivalenz aufzubauen. Informatives und Spekulatives liegt dabei nah beieinander, ohne immer sauber getrennt zu werden. Definitive Antworten bekommt man auf diese Weise natürlich nicht, selbst dann nicht, wenn diese vorliegen.

Das ist schade, weil der Fall durchaus eine Reihe spannender und relevanter Themen anspricht. Beispielsweise wird zwischendurch der Vorwurf laut, dass Smollett aufgrund seines Bekanntheitsstatus leichter davongekommen ist. Homophobie und Rassismus spielen eine Rolle. Aber auch die immer wieder schwierige Frage, ob man mutmaßlichen Opfern unbedingt glauben soll oder nicht – etwa bei Vergewaltigungen –, wird gestellt. Am Ende fehlt aber die notwendige Substanz, Die Wahrheit über Jussie Smollett? streift vieles einfach nur. Am Ende ist der Dokumentarfilm daher auch eher unbefriedigend, sowohl im Hinblick auf den konkreten Fall wie auch die übergeordneten gesellschaftlichen Themen. Man hat zwar einiges erfahren und ist doch nicht wirklich weitergekommen, weshalb man sich das Anschauen eher sparen kann.