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© Radio Bremen/Claudia Konerding

Tatort: Liebeswut

„Tatort: Liebeswut“ // Deutschland-Start: 29. Mai 2022 (Das Erste)

Inhalt / Kritik

Der Anblick, der sich den Bremer Kommissarinnen Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) und Linda Selb (Luise Wolfram) da bietet, ist bizarr: Eine Frau liegt erschossen da, gekleidet in ihr altes Hochzeitskleid, daneben eine kryptische Nachricht an der Wand, die vom Teufel spricht. Hat sich da jemand in seinem Wahn selbst erschossen oder hat jemand nachgeholfen? An dubiosen Gestalten in ihrem Leben mangelt es nicht. Ob nun der getrennt lebende Ehemann Thomas Kramer (Matthias Matschke), dessen Schwiegereltern Sybille (Ulrike Krumbiegel) und Burkhard Dobeleit (Thomas Schendel), der unheimliche Nachbar Gernot Schaballa (Aljoscha Stadelmann) oder auch Joachim Conradi (Dirk Martens), der seltsame Hausmeister der Schule, an der die beiden Töchter der Toten sind – sie alleine scheinen Geheimnisse zu haben. Das ist vor allem für Moormann ein Problem, die sich an ihre eigene Kindheit zurückerinnert fühlt …

Ein Krimi voller gestörter Menschen

So ganz schlau wird man aus dem Bremer Tatort Team bislang ja noch nicht. Der erste Film Neugeboren, bei dem es um einen Mord und eine Kindesentführung ging, war als Krimi nicht übermäßig interessant. Die starken, konfrontativen Figuren und das dramatische Element machten das aber wieder wett. Beim zweiten Auftritt in Und immer gewinnt die Nacht blieb eine soziale Komponente, während sich die Geschichte in unzähligen Strängen und Themen verhedderte. Im Vergleich dazu ist Liebeswut, der dritte Teil mit Moormann und Selb, vergleichsweise geradlinig und konzentriert. Zwar stellt sich schnell heraus, dass es sich um einen Selbstmord handelt, was die Suche nach einem Täter überflüssig macht. Dafür gibt es etwas anderes, das aufgeklärt werden muss, ohne dass dafür an drei Ecken neue Geschichten entstehen.

Wenn Tatort: Liebeswut dennoch ein recht verworrener Film ist, dann liegt das weniger an dem Fall an sich. Vielmehr fällt der 1202. Teil der ARD-Krimireihe dadurch auf, dass er sich völlig in die seelischen Abgründe stürzt. So sind hier praktisch alle auf die eine oder andere Weise gestört. Dabei spielt es keine Rolle, ob es nun die Guten oder die Bösen sind. Die Polizistinnen haben ebenso einen Knacks wie die einzelnen Familienmitglieder, der Nachbar oder der Hausmeister. Man verliert hier schon recht schnell den Glauben an die Menschen. Und den Glauben an die eigene Wahrnehmung: Schon der Tatort hat mit den kryptischen Nachrichten, der ausgebrannten Küche und dem feuerroten Hochzeitskleid, in dem die Frau ums Leben gekommen ist, etwas Unwirkliches. Danach wird es nicht unbedingt realer.

Zwischen gestern und heute

Genauer wählt Regisseurin Anne Zohra Berrached (Die Welt wird eine andere sein) für ihren zweiten Beitrag zur Reihe eine Bildsprache, als hätte sie viel lieber einen Horrorfilm gedreht. Alles ist überzeichnet, grotesk bis surreal. Und eben unheimlich: Ein Besuch bei den Menschen gleicht einem Besuch in der Hölle. Nur eine Hölle eben, in der fleißig Eis am Stiel gelutscht und K-Pop gehört wird. Dass man sich nicht mehr so ganz in der Realität verortet fühlt, hängt aber auch mit den zahlreichen Flashbacks zusammen, welche die Filmemacherin in Tatort: Liebeswut gepackt hat. Oft sind solche Rückblicke eine recht billige Methode der Charakterisierung, wenn Figuren in erster Linie durch vergangene Schicksalsschläge definiert werden sollen. Hier ist das etwas anders, da es Teil des Konzepts ist, wenn alles miteinander verschmilzt: die objektive Welt und die Träume, Gegenwart und Vergangenheit.

Die extrem subjektive und unzuverlässige Sicht mag einen Teil des Publikums abstoßen, das es gern etwas naturalistischer und sachlicher hätte. Auch beim Krimi als solchen muss man die Erwartungen etwas herunterschrauben, der Film ist nicht unbedingt ein Musterbeispiel für Glaubwürdigkeit – will es aber auch gar nicht sein. Stattdessen ist Tatort: Liebeswut ein theatralisch-verzerrtes Spiel mit den Abgründen, aus denen es kein echtes Entkommen gibt, sofern man nicht auch den Weg der Selbstzerstörung wählt. Die Konfrontationsfreude ist den Bremerinnen dabei geblieben, was sie immer etwas anstrengend macht. Aber es ist doch sehenswert, wie sie hier alle wild um sich schlagen, nur um dabei immer mehr im Boden zu verschwinden, mal auf wörtliche Weise, mal im übertragenen Sinn.

Credits

OT: „Tatort: Liebeswut“
Land: Deutschland
Jahr: 2022
Regie: Anne Zohra Berrached
Drehbuch: Martina Mouchot
Musik: Jasmin Reuter, Martin Glos, Christian Ziegler
Kamera: Christian Huck
Besetzung: Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram, Matthias Matschke, Aljoscha Stadelmann, Dirk Martens, Ulrike Krumbiegel, Thomas Schendel, Milena Kaltenbach

Bilder

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Tatort: Liebeswut
Fazit
„Tatort: Liebeswut“ ist für Fans „normaler“ Krimis sicher nicht die beste Wahl. Nicht nur, dass die Geschichte wenig glaubwürdig ist. Im Mittelpunkt steht zudem weniger der Fall als vielmehr das Figurenkabinett, bei denen eine verkorkster ist als die andere. Zusammen mit der Inszenierung, welche mit Horrorelementen spielt, wird daraus ein faszinierender Blick in die Abgründe, über den man aber nicht weiter nachdenken sollte.
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