Tatort Heile Welt
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Tatort: Heile Welt

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„Tatort: Heile Welt“ // Deutschland-Start: 21. Februar 2021 (Das Erste)

Als nach einem Brand in dem Keller einer Hochhaussiedlung eine verbrannte Leiche gefunden wird, gehen die Leute zuerst von einem tragischen Unfall aus. Tatsächlich stellt sich aber bald heraus, dass es sich um einen Mord handelt und das Opfer zuvor brutal erschlagen wurde. An Verdächtigen mangelt es dabei nicht, weshalb das eingespielte Ermittlerteam aus Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt) und Jan Pawlak (Rick Okon) sowie die neue Kollegin Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) alle Hände voll zu tun haben. Doch es ist nicht allein die Suche nach dem Mörder, die zu einer Belastung wird. Als die nervlich angekratzte Bönisch einen jungen Verdächtigen aus dem Irak ruppig mit aufs Revier nimmt, sieht sie sich dem Verdacht ausgesetzt, rassistisch gehandelt zu haben …

Unterhaltung vs. Anspruch

An dieser Diskussion scheiden sich immer mal wieder die Geister: Sollen TV-Krimis reine Unterhaltung zum Abschalten sein oder explizit Bezug nehmen auf die Welt und die Gesellschaft? Das zeigt sich gerade beim ARD-Dauerbrenner Tatort, bei dem es in der Hinsicht von Team zu Team zu enormen Unterschieden kommt. Während manche einfach nur das Publikum für anderthalb Stunden fesseln wollen und gar nicht den Anspruch haben, darüber hinaus relevant zu sein, da nutzen andere die Gelegenheit, um etwas mit mehr Nachhall schaffen zu wollen. Aber selbst innerhalb eines Teams kann das schwanken, wie das Beispiel des Dortmunder Tatorts zeigt. War der letzte Film In der Familie ein völlig zeitloser Film um eine Familie, die sich auf die Mafia eingelassen hat, da geht es in Heile Welt sehr aktuell zu.

Tatsächlich ist die 1157. Folge des Endlosreihe gleich in mehrfacher Hinsicht eine, die explizit in der Gegenwart verortet ist. Das erste Element, das in Tatort: Heile Welt gleich auffällt: die Menschen tragen Masken, die Corona-Pandemie erfordert es. Thematisiert wird Letztere nicht, sie bildet lediglich den Hintergrund für eine ohnehin schon erhitzte Stimmung und das Gefühl, dass gerade die Welt untergeht. Dafür nimmt sich Drehbuchautor Jürgen Werner eines anderen Aufregers an: Rassismus und Polizeigewalt. Ersteres kommt natürlich schon immer mal wieder im Tatort vor, zuletzt in Hetzjagd, bei dem ein linker Aktivist ermordet wurde. Dieses Mal läuft die Behandlung des Themas aber losgelöst von der Frage nach dem Täter. Vielmehr fährt der Film hierbei zweigleisig, kümmert sich mal um den Fall, mal um das Drumherum.

Die Probleme einer ganzen Welt

Und als wäre das alles nicht schon genug Stoff, flechtet Tatort: Heile Welt noch weitere ernste Themen ein. Da geht es um die Frage nach privatem Raum, den Umgang mit sozial Schwächeren, parasitäre Populisten und Fake News. Von den Reibereien innerhalb des Teams, nicht erwiderten Gefühlen und anderen privaten Sorgen mal ganz abgesehen. Das ist natürlich schon recht viel, so viel, dass man eigentlich nur drauf wartet, dass auch noch Klimaschutz irgendwo eingebaut wird, um wirklich alles einmal abgearbeitet zu haben. Und es gibt auch Stellen, bei denen der Krimi schlichtweg überfordert ist mit der Bewältigung dieser Masse. Gerade gegen Ende hin wusste man sich nicht anders zu helfen, als die Themen sehr abrupt aufzulösen, sofern sie überhaupt aufgelöst werden, zur Not mit plumpen Reden.

Dafür gelingt es Regisseur Sebastian Ko sehr gut, die Atmosphäre einer auseinanderbrechenden Gesellschaft einzufangen. Von Anfang an geht er auf maximale Konfrontation, wenn nahezu jede Begegnung auf einen Streit hinausläuft. Zusammenhalt gibt es keinen mehr, sondern nur eine „wir gegen die“-Stimmung, die zu einem reinen Selbstzweck geworden ist. Und eben diese angespannte Stimmung intensiviert er mit der Zeit immer mehr, wirft ein Streichholz nach dem anderen. Das ist durchaus spannend, Tatort: Heile Welt erinnert da an die erschreckenden Szenen aus Die Wütenden – Les Misérables und Shorta, wenn Kriminalität, Perspektivlosigkeit, Polizeigewalt und andere Zutaten eine explosive Mischung ergeben.

Emotional, aber nicht feinfühlig

Insgesamt überzeugt der Film dann auch stärker durch die rein emotionale Ebene, wenn er Individuen in der Krise zeigt. Die Hilflosigkeit von Bönisch, die von Rechten instrumentalisiert und von Linken angefeindet wird. Die Einsamkeit von Faber, der sich in der des Quasi-Obdachlosen Thomas Janowski (Jürg Plüss) spiegelt. Oder eben die Wut, die unbeachtet vor sich hin wuchert und dabei immer stärker wird. Dass Tatort: Heile Welt dabei auch auf Klischees zurückgreift und nicht ganz den Mut beweist, wirklich hässlich zu werden, ist schon irgendwie schade. Dennoch ist die Folge der Dortmunder eine der stärksten, die es in der Reihe zuletzt gegeben hat.

Credits

OT: „Tatort: Heile Welt“
Land: Deutschland
Jahr: 2021
Regie: Sebastian Ko
Drehbuch: Jürgen Werner
Musik: Olaf Didolff
Kamera: Philipp Kirsamer
Besetzung: Jörg Hartmann, Anna Schudt, Stefanie Reinsperger, Rick Okon, Jürg Plüss, Franz Pätzold, Sven Gey, Shadi Eck

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In „Tatort: Heile Welt“ wird ein Mord in einer Hochhausanlage zum Aufhänger, um eine ganze Reihe aktueller Themen aufzugreifen, von Rassismus über Polizeigewalt bis zu Fake News und fehlender sozialer Sicherheit. Das ist natürlich ein bisschen viel, manches wird da auch etwas plump und vereinfacht abgehandelt. Dafür zeigt der TV-Krimi auf der emotionalen Ebene Wirkung, gerade wenn es mit der Zeit richtig eskaliert.
7
von 10