
Der Anblick ist ebenso kurios wie schrecklich: Als die Leiche von Vanessa Tomasi (Elena Flury) in einer Baumkrone gefunden wird, wurde ein Teil ihrer Haare abrasiert. Aber warum sollte man so etwas tun wollen? Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) und Tessa Ott (Carol Schuler) versuchen, eben dies herauszufinden. Von dem Vater der Toten, Star-Coiffeur Marco Tomasi (Bruno Cathomas), erfahren sie, dass seine Tochter in der Perückenmanufaktur von Aurora Schneider (Stephanie Japp) eine Ausbildung absolvierte. Dabei stellen die beiden Polizistinnen fest, dass der Handel mit Haaren sehr lukrativ sein kann. Aber hängt der Mord an der jungen Frau wirklich damit zusammen?
Ein (fast) klassischer Krimi
Zuletzt versuchte man sich beim Tatort wieder mehrfach an gesellschaftlich relevanten Themen. So nahm uns der Wiener Beitrag Wir sind nicht zu fassen! mit in ein regierungsfeindliches Milieu, wenn Linke und Rechte gemeinsam zum Sturz des Staates aufriefen. Ganz so groß ging es anschließend beim Dortmunder Teil Feuer nicht zu. Das Thema häusliche Gewalt ist aber ebenfalls ein wichtiges, gerade auch, weil viele Frauen mit dieser Situation alleingelassen werden. Nun geht es mit Rapunzel in die Schweiz, wo ebenfalls einiges im Argen liegt. Und zumindest teilweise hat man das Gefühl, dass der Film auch wirklich etwas aussagen wollte. Unklar ist nur was.
Dabei fängt der 1306. Teil des ARD-Dauerbrenners ganz klassisch an. So beginnt die Geschichte mit dem Fund einer Leiche, anschließend sucht die Polizei nach dem Täter oder der Täterin. Das Publikum daheim vor den Fernsehern soll miträtseln, darf Hypothesen aufstellen, wer hinter dem Verbrechen steckt und aus welchem Grund. In der Hinsicht ist Tatort: Rapunzel schon ein traditioneller Whodunit. Problematisch wird es aber, wenn es ans Eingemachte geht und die konkreten Möglichkeiten durchgegangen werden. Üblicherweise gibt es dann einen Mix aus privaten und beruflichen Motiven, die alle in Frage kommen. Es finden sich immer mehrere Menschen, die einen umbringen wollen, was die Ermittlungen erschwert. Hier muss man hingegen sehr lange warten, bis da etwas vorliegt, was überhaupt irgendwie funktioniert.
Kurios haarig
Die Besonderheit der Folge ist, dass – der Verweis auf das Märchen im Titel nimmt es bereits vorweg – alles irgendwie mit Haaren zusammenhängt. Alle Menschen, die wir kennenlernen, haben auf die eine oder andere Weise mit dem Thema zu tun. Das ist mindestens konstruiert, teilweise auch kurios. Tatsächlich wird Tatort: Rapunzel zwischendrin so schräg, dass man meinen könnte, das Drehbuch sei eigentlich für das Münster-Duo geplant gewesen und nur versehentlich in der Schweiz gelandet. Als Komödie hätte der Film sicher auch funktioniert. Nur nimmt er sich eben ernst und versucht zwischendurch immer mal wieder, etwas Ernstes zu erzählen, relevant zu sein, Tiefgang zu haben.
Vereinzelt funktioniert das sogar. Wenn beispielsweise arme Menschen ihre Haare für Reiche hergeben, dann ist das ein ungewöhnliches, aber nicht uninteressantes Bild für eine Zweiklassengesellschaft und die Demütigungen, die manche für die „da oben“ auf sich nehmen müssen. Für die ungerechte Verteilung auch. Weniger überzeugend ist hingegen, wenn der Verlust der Haare zu einem traumatischen Ereignis gemacht werden soll. Da weiß man dann zuerst nicht, ob diese Szenen wirklich so gemeint sind oder nicht doch satirisch sein sollen. Da auch das Ende nicht so wirklich überzeugt, ist Tatort: Rapunzel ein insgesamt unbefriedigender Krimi geworden. Zwar kann man hier nicht vorwerfen, dass man sich bei dem Drehbuch keine Mühe gegeben hat, mal etwas anderes zusammenzuschreiben. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass das Ergebnis auch wirklich gut ist. Vielmehr ist zu erwarten, dass nicht wenige Zuschauer und Zuschauerinnen sich hier veralbert fühlen werden.
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