
Als die kleine Milla (Helena Zengel) wieder aus dem Koma erwacht, könnte die Freude der Familie kaum größer sein. Die Sache hat nur einen Haken: Das Mädchen kann sich an vieles nicht mehr erinnern. Um sie nicht von Anfang an zu überfordern, beschließt die Familie, sie in dem Glauben zu lassen, dass alles so ist wie immer. Und so müssen ihre Eltern Tilda (Jessica Ginkel) und Robbie (Florian Thunemann) so tun, als wären sie noch ein Paar. Gleiches gilt für die Großeltern Nora (Ulrike Krumbiegel) und Johan (Max Herbrechter). Das ist nicht nur für die Nicht-Paare eine große Herausforderung. Auch der neue Landarzt (Ben Ruedinger), der plötzlich sein Haus wieder räumen muss, und Robbies eifersüchtige Verlobte Astrid (Julia Malik) müssen sich ziemlich umstellen …
Zwischen Amnesie und Liebe
So ein Gedächtnisverlust kann schon ganz praktisch sein, zumindest wenn es darum geht, eine Geschichte zu erzählen. Gerade im Bereich des Mystery-Thrillers wird gern auf eine verschwundene Erinnerung zurückgegriffen, um die Hauptfigur auf eine Schnitzeljagd zu schicken und damit auch das Publikum auf die Folter zu spannen. Ich. Darf. Nicht. Schlafen. und Black Box sind Beispiele dafür, wie am Anfang eine Amnesie steht und wir gemeinsam herausfinden müssen, was sich zuvor zugetragen hat. Aber auch andere Genres greifen zuweilen darauf zurück. So zum Beispiel Familienfest in Sommerby, der 83. Teil der ZDF-Dramareihe Inga Lindström, welche zu den festen Bestandteilen der sonntäglichen Herzkino-Programmschiene gehört.
Wer die Reihe kennt, weiß deshalb natürlich schon, worum es hier geht. Die Adaptionen der Romane von Christiane Sadlo, die unter ihrem angeblich schwedischen Pseudonym Inga Lindström Bücher schreibt, setzen immer auf große und meist komplizierte Gefühle, üblicherweise aus dem romantischen Bereich. Da ist Familienfest in Sommerby keine Ausnahme. Anfangs meint man zwar noch, dass es in der Geschichte um Milla geht und die Rekonstruktion ihres Gedächtnisses. Stattdessen wird diese bald an den Rand geschoben. Viel wichtiger ist es Regisseurin und Drehbuchautorin Stefanie Sycholt (Ein Sommer am Gardasee) bei ihrer Umsetzung des Stoffes, die diversen zwischenmenschlichen Fallstricke aufzuzeigen. Die Figuren müssen sich mit ihren Gefühlen füreinander und der gemeinsamen Vergangenheit auseinandersetzen.
Ein vergeudetes Schauspieltalent
Dass das Szenario völlig konstruiert ist, muss eigentlich nicht erst gesagt werden. Dessen dürften sich alle bewusst sein, ob nun im Publikum oder im Kreativteam. Dennoch hätte man aus diesem durchaus etwas machen können. Am naheliegendsten wäre es gewesen, dies zu einer Komödie umzuwandeln mit ganz vielen Verwechslungen und peinlichen Situationen. Inga Lindström: Familienfest in Sommerby geht dann aber doch stärker in die Dramarichtung. Das ist legitim, hätte ebenfalls funktionieren können. Dafür hätte aber mehr investiert werden müssen in die Geschichte, in die Figuren und in die Dialoge. Das ist aber alles so seicht, wie man es aus den Filmen dieser Reihe kennt. So legen diese zwar großen Wert auf das Zwischenmenschliche, wollen aber keine Arbeit investieren. Dort wo Feinsinn angesagt gewesen wäre, gibt es nur den plumpen Kitsch aus der Konserve.
Das darf man natürlich trotz allem gut und schön finden, viele tun das auch. Wer kein Fan ist, findet jedoch kaum einen Grund hier einzuschalten. Allenfalls der Auftritt von Helena Zengel geht als solcher durch, die zeitgleich zu der TV-Produktion das vielfach preisgekrönte Drama Systemsprenger drehte und die durch ihre Darstellung eines unkontrollierbaren Mädchens weltweit bekannt wurde. In Inga Lindström: Familienfest in Sommerby ist von dieser schauspielerischen Wucht jedoch nichts zu spüren. Tatsächlich ist ihre Leistung hier leider auf einem ähnlich überschaubaren Niveau wie viele andere Elemente des Films. Ein früher und letztendlich verzeihbarer Ausrutscher von Deutschlands neuem Exporttalent.
OT: „Inga Lindström: Familienfest in Sommerby“
Land: Deutschland, Schweden
Jahr: 2019
Regie: Stefanie Sycholt
Drehbuch: Stefanie Sycholt
Vorlage: Inga Lindström
Musik: Christoph Zirngibl
Kamera: Birgit Dierken
Besetzung: Jessica Ginkel, Ben Ruedinger, Ulrike Krumbiegel, Max Herbrechter, Julia Malik, Florian Thunemann, Helena Zengel, Lithemba Maier, Olivia Augustinski
Die sonntags auf dem ZDF ausgestrahlte Reihe Herzkino gehört zu den Dauerbrennern des Senders. Seit 1987 laufen, damals noch unter dem Titel Der große ZDF Sonntagsfilm, deutsche Dramen, die sich meistens mit Familien- und Liebesgeschichten befassen. Mehrere Hundert Titel wurden so im Laufe der letzten Jahrzehnte produziert. Unten findet ihr alle unsere bisherigen Rezensionen zu diesem Thema auf einen Blick.
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