Die Kritikeranalyse #8: Logenplatz [Interview]

Willkommen zur achten Ausgabe der Kritikeranalyse, heute mit Drehbuchautor und Filmexperte Stefan Kuhlmann, der in seinem Leben wohl schon alles erlebt hat: von Flirtgeschichten mit Eva Mendes bis hin zu Aschenbecher-Diebstählen mit Denzel Washington. An Podcasts hat der Profi dabei zwei im Schlepptau, auf der einen Seite „Die 100 besten Filme aller Zeiten“, auf der anderen Seite den wohl bekannteren „Logenplatz“. Hier finden sich Kritiken zu den aktuellen Neuerscheinungen als auch Specials und Interviews mit ein paar „kleinen“ Berühmtheiten. Darunter: Arnold Schwarzenegger und Quentin Tarantino.

Zur Übersicht der Kritikeranalyse.

Für Menschen, die dich nicht kennen: Was kann man konkret von deinen Filmkritiken erwarten und in welcher Hinsicht hebt sich Logenplatz von anderen Filmkritikern ab?

Ich bin Kritiker seit fast zwanzig Jahren und als ich irgendwann immer weiter bedrängt wurde mit „Warum machst du denn keinen Podcast?“ fühlte ich mich schon fast dazu berufen, einen zu starten. Fabian Maier, der Geschäftsführer von Podcast.Eins, hat es dann irgendwann geschafft, mich zu überreden. Ich würde mich aber gar nicht so sehr als Kritiker bezeichnen, sondern mehr als eine Mischung zwischen Filmfan und Filmexperte. Natürlich lauf ich nicht herum, so nach dem Motto „Hallo, ich bin der Herr Filmexperte“, aber zwanzig Jahre berufliche Erfahrung und tausende Geschichten – auch mit den ganz großen Stars – muss man schon erst einmal mitbringen. Wenig verwunderlich werde ich daher oft gefragt: „Welche großen Stars hast du denn getroffen?“. Meine Antwort fällt meist ziemlich kurz aus: alle! Klar ist das übertrieben, die Liste ist aber trotzdem lang, sehr lang. Aufgrund dessen habe ich viele Geschichte zu erzählen und Logenplatz ist mein Sprachrohr. Als Teaser eine kleine Geschichte: Ich hatte vor Jahren mit Eva Mendes eine Pseudo-Flirtgeschichte. Und nach einem Interview hat sie sich dann mal witzig empört, dass ich sie gar nicht mehr anrufe. Zu der Zeit war ich aber schon verlobt und ein Kollege von mir, Peter Beddies, war dann entsetzt: „der Stefan ist verlobt, ihr könnt doch hier nicht so rumflirten!“. Da habe ich einfach meinen Verlobungsring genommen und durch den Interviewraum geschmissen – was für ein Gelächter! Das bin aber einfach ich – ich will einfach witzig sein. Also in aller Kürze: Auf Logenplatz verschmilzt der Filmfan und Filmexperte in mir und ich versuche, da so nah wie nur möglich am Publikum zu sein.

Welche Menschen möchtest du am ehesten mit deinem Format ansprechen?

Filmfans, aber auch die Menschen, die mit Filmen überhaupt nichts am Hut haben. Ein Beispiel anhand meiner Cousine: Sie kennt sich in der Welt der Filme zwar auch ganz gut aus und gibt mir oft viel Feedback zu meiner Podcast-Tätigkeit. Ziemlich oft sagt sie dann aber so etwas wie: „Das habe ich gar nicht gewusst, dass die und diese Produktion so toll ist“. Über so etwas freue ich mich dann immer sehr, wenn ich Menschen sozusagen an der Angel hab. Wenn ich im Podcast meine Geschichten und Eindrücke dann noch interessant präsentiere und die Menschen an Details herantrage, mit denen sie sich vorher im Leben nicht beschäftigt hätten, dann ist mein Plan aufgegangen.

Was bedeuten Filme persönlich für dich und warum gerade dieses Medium und nicht beispielsweise andere Medien wie Theater, Oper, Musik oder Literatur?

Ich hätte genauso gut Musikkritiker werden können und würde jetzt vielleicht für den Rolling Stone schreiben, weil Musik einen riesigen Teil in meinem Leben eingenommen hat. Das Gleiche bei der Literatur. Es hat sich aber einfach so ergeben. Das hängt damit zusammen, dass ich durch meinen Beruf als Moderator im Radio irgendwann die Kino-Redaktion übernommen habe. So hat alles angefangen, aber wie gesagt: Ich hätte auch genauso in die Musik-Redaktion kommen können, da Musik mir auch nach wie vor sehr wichtig ist. Für mich bedeutet der Film aber ganz klar: Leben! Das beschränkt sich dabei auch auf kein Genre, sondern bezieht sich auf jeden Film. Der blöde Blockbuster-Film, wo ich mein Gehirn am Eingang abgebe, ist mir also genauso wichtig wie anspruchsvolle Produktionen von beispielsweise David Lynch. Kino in jeder Form, sei es verkopft, realistisch oder absurd, bedeutet wirklich Leben für mich.

Gab es schon einmal eine Situation, in der du dich mit jemand über einen Film streiten musstest? Wenn ja, was genau ist dein Anspruch? Geht es dir um den Dialog, um Aufklärung oder um etwas ganz anderes? 

Ich streite mich wahnsinnig gern und oft mit Kollegen über Filme, weil das unglaublich viel Spaß macht. Es gibt da mehrere Kollegen, mit denen ich schon zwanzig Jahre im Gespräch bin und wir hatten uns wegen einem Film schon so oft in den Haaren, ich habe irgendwann aufgehört mitzuzählen. Ich werde aber sauer, wenn die Argumentation blöd ist. Wenn mir jemand zum Beispiel sagt: „Ich mag Tom Cruise nicht, der Film ist blöd!“, dann ist das für mich kein Argument. Nur weil ich einen Schauspieler nicht mag, was kann der Film denn dafür? Wenn ich dann noch den Eindruck bekomme, ein Kollege will einen Film gar nicht mögen, beziehungsweise er oder sie gibt dem Film nicht mal eine Chance und will da keinerlei Arbeit reinstecken, um ein paar positive Punkte zu finden, dann nervt mich das. Mir geht es also in erster Linie um das Ablegen von Vorurteilen und eine generelle Offenheit.

Was würde bei dir passieren, wenn jemand einen Film aufgrund einer gänzlich anderen Herangehensweise gut findet, währendem du diesen Film aus deiner Sicht als schrecklich empfindest? Und denkst du, dass beide Meinungen gleich viel wert sind?

Nö, meine Meinung ist mehr Wert (lacht). Nein – natürlich, im Kern sind beide Meinungen gleich viel wert. Argumentation und Authentizität spielen dabei aber DIE ausschlaggebende Rolle. So etwas kommt aber oftmals auch auf die Erwartungen an. Ein Beispiel: Die Mumie (1999). Wer damals ins Kino ging und einen Horrorfilm erwartet, dann aber eine Indiana Jones-ähnliche Abenteuerkomödie bekommt, der sollte das Ganze erst einmal relativieren. Aber ganz grundsätzlich, natürlich kann ich das verstehen. Ich kann doch nicht erwarten, dass jemand anderes einen Film zu einhundert Prozent so wahrnimmt wie ich. Ich habe aber auch schon ein paar Mal das Gegenteil erlebt, indem ich gesagt habe: Der und der Film ist super, geht da unbedingt ins Kino. Am nächsten Tag musste ich mir aber schon mindestens ein Mal empörende Reden von gewissen Leuten anhören, die das als totale Zeitverschwendung empfanden und mich dann dafür verantwortlich machen. Das ist nicht mein Problem. Vielleicht lag es in der einen oder anderen Situation viel mehr daran, dass der- oder diejenige nicht genug Offenheit mitgebracht hat und sich auf den Film auch nicht einlassen wollte. Also in aller Kürze: Bringt eine gute Portion Offenheit mit und schmeißt die blöden Argumente über Bord, so hat jeder etwas davon.

Was genau muss ein herausragender Film bei dir mitbringen? 

Ein guter Film muss mich vergessen lassen, dass ich gerade einen Film gucke. Alles andere spielt aber natürlich mit einher. Nehmen wir Dune als Beispiel. Wenn so ein Film, der so absurd in seiner Science-Fiction und entrückt von unserem Leben ist, es dann aber doch innerhalb weniger Minuten schafft, dass man alles akzeptiert (Stichwort suspension of disbelief), dann ist das schon herausragend. Da hat Villeneuve also das große Ganze erreicht. Das hat aber auch Lucas mit Star Wars oder Peter Jackson mit Der Herr der Ringe erreicht. Der Knackpunkt ist nämlich: Man könnte sich in der Mitte der Filme genauso fragen „Was sind das eigentlich für komische Monster, was ist das alles für ein Mist?“. Man schaut diese Filme aber einfach und irgendwann findet man sich dann im Film wieder und vergisst, dass man in einem Kinosaal sitzt. Das ist die Kunst des Kinos – die Flucht aus der Realität und dass man sowohl den Ärger mit der Frau, als auch den Stress auf Arbeit, einmal vergessen kann.

Welche Rolle spielen Gefühle bei der Filmrezeption bei dir? Und ist ein Film automatisch gut, wenn man bspw. Gänsehaut verspürt oder feuchte Augen bekommt?

Ich bin nah am Wasser gebaut (lacht). Wenn ich mal eine Träne vergieße, dann hat der Film schon einen ganz anderen Wert. Und auch wenn man sich ein Stück weit eingestehen muss, dass ein Film eventuell plump oder sonst was ist, so bedeutet ein solcher Moment schon etwas. Das geht bei mir sogar so weit, dass ich selbst in einem Musical aufgrund so einer puren Schönheit mal eine Träne vergieße. Der Glöckner von Notre Dame von Disney beispielsweise, und das ganz unabhängig davon, dass es ein Animationsfilm ist, der hat eine der besten Eröffnungssequenzen in einem Musical und da bekomme ich selbst jetzt gerade wieder Gänsehaut, nur wenn ich daran denke. Emotionen spielen also eine große Rolle. In einer Kritik muss man so etwas aber auch gut transportieren können, warum mich ein Film bewegt hat.

Wie würdest du die Wichtigkeit von Emotionalität, Storytelling, Ideologie (Was sagt ein Film über unsere Welt aus?), Inszenierung, Virtuosität, Ästhetik und weiteren Aspekten bei der Filmrezeption sortieren?

Die Ausleuchtung ist mir schon einmal total egal. Streng genommen ist aber alles wichtig. Ich liebe es, wenn das Setdesign super ist, die Musik muss toll sein, die Schauspieler ebenso. Spontan würde ich aber sagen, dass die Story in Kombination mit dem Genre auf Platz eins kommt.

Wenn man auf die Entstehungsgeschichte eines Films schaut, angefangen bei der Idee, bis hin zur Umsetzung und dem fertigen Resultat, welche Faktoren spielen die größte Rolle, wenn man den Anspruch hat, ein filmisches Meisterwerk zu kreieren?

Drehbuch, Pre-Visualisierung und Storyboards sind am wichtigsten. Zuerst der Punkt Drehbuch. Wenn ich nach einem Film herausfinde, dass das Drehbuch zu Beginn der Dreharbeiten noch nicht fertig war, dann kann das zum Problem werden. Wenn der Film in der Gesamtheit dann noch komplett versagt, dann überrascht mich das recht wenig. Damit hatte selbst ein Peter Jackson bei den Hobbit-Filmen Probleme. Er sagte da selber einmal, dass er zum Start der Dreharbeiten kaum einen festen Plan hatte. Hier muss man also wirklich sehr aufpassen. Zweiter und dritter Punkt: Pre-Visualisierung und Storyboards. Nehmen wir Hayao Miyazaki als Beispiel. Klar ist das im Animationsgenre nochmal ein wenig anders, da hier Storyboards und Drehbuch meist simultan entstehen, aber der Punkt ist der Gleiche. Im Grunde deckt sich das nämlich mit dem Drehbuch: Der Kern ist die Vision, die man klar vor Augen haben muss. Anders gesagt: Man muss wissen, noch bevor es richtig mit der Produktion losgeht, welchen Film man machen will. Dass ein Film unter Umständen innerhalb der Produktion dann mutiert oder in der Richtung variiert, das ist dann eine andere Geschichte. Als Filmemacher muss man aber unbedingt wissen, worauf man hinaus will. Wie du dann dahinkommst, das kann man letztlich immer noch ändern.

Schaut man auf Hollywood, hat es den Anschein, dass in manchen Kreisen die Stimmen immer lauter werden und viele Fans mit den neuen Star Wars-Filmen oder selbst mit einem Fast and Furious 9 sehr unzufrieden sind. Bewegt sich Hollywood in Richtung eines Tiefpunkts oder denkst du es braucht solche Filme auch, sodass Regisseure daraus lernen?

Ich sehe mehr Daseinsberechtigung für einen Fast and Furious gegenüber den letzten Star Wars Filmen und das sage ich als großer Fan der Original-Trilogie. Für mich persönlich existieren Episode 7, 8 und 9 auch gar nicht mehr, da ich die aus meinem Gedächtnis gelöscht habe. Die Kritik bei der Fast and Furious-Reihe verstehe ich dagegen aber nicht wirklich. Diese Filme haben ein perfektes Level gefunden: Absurdität, Over-the-top Action und pure Übertreibung. Im Prinzip weißt du also ganz genau, was du als Regisseur machen musst und was du als Zuschauer geboten bekommst. Bei dem neuen Teil, da muss ich als Drehbuchautor aber echt sagen: Das hätte ich tausend Mal besser hinbekommen (lacht). Bei Star Wars ist die Problematik aber auch ganz anders. Lucas hatte damals wenigstens noch ein Gesamtkonzept und eine Vision. J. J. Abrams aber – und das sage ich echt ungern weil wir uns beide immer gegenseitig sehr gemocht haben – hat bei den neuen Filmen versagt. Und zwischendrin kommt dann noch ein Rian Johnson, der nochmal alles ganz anders macht. Da ist selbst Marvel nochmal um Einiges besser, die es geschafft haben, an die zwanzig Filme zusammenzuführen. Selbst bei dem Beispiel kann man noch daraus lernen, auch wenn es unter den Marvel-Produktionen total blödsinnige Filme gibt. Grundsätzlich kann ein Lernprozess aber nie schaden.

Wie vergleichst du die Filmrezeption, muss ein Film gleich bei der Erstsichtung direkt überzeugen oder würdest du doch eher sagen, dass man einen Film erst im Laufe der Zeit zu schätzen lernt? 

Einige Filme hatten bei mir bei der Erstsichtung totale Probleme. Nach einer Zweit- oder Drittsichtung sah das dann aber plötzlich ganz anders aus. Viele Filme überzeugen mich aber schon beim ersten Mal und da gibt es ja auch die Sorte Film, die man eigentlich nur einmal schauen will. Irreversible zum Beispiel. Sollte ich einen Film bei der Erstsichtung aber mal nicht so gut finden, bin ich meistens bereit, dem eine zweite Chance zu geben.

Womit kannst du dich in der Hinsicht eher anfreunden und warum: ein Film, den du nach der Erstsichtung grandios findest, der aber mit jeder weiteren Sichtung abnimmt, oder ein Film, der von Sichtung zu Sichtung immer weiter wächst?

Ich finde es schöner, wenn ein Film wächst und besser wird. Nehmen wir nochmal Star Wars. Da sind wir damals alle aus Episode 7 raus und waren noch gespannt, in welche Richtung das Alles gehen wird. Bei Episode 8 habe ich deswegen krampfhaft versucht, an den positiven Dingen festzuhalten. Nach und nach trat aber das Gegenteil auf und mit jeder Sichtung wurde es schlimmer. Irgendwann habe ich mich nur noch gefragt, was aus dem alten Luke Skywalker geworden ist. So eine Situation ist gar nicht schön.

Kritik ist und bleibt immer subjektiv. Man kann jedoch trotzdem den Anspruch haben, ein wenig Objektivität miteinfließen zu lassen. Sollte da eher eine goldene Mitte gefunden werden oder spielt Objektivität keine so große Rolle?

Man muss unterscheiden können. Wenn ich bei einem Film überhaupt nicht in der Zielgruppe bin, dann muss ich der Zielgruppe klar machen können, was sie bekommt. Um es ein wenig überspitzt auszudrücken ein Beispiel: „Hey Kinder, der neue Paw Patrol Film ist da. Ihr seid Paw Patrol Fans, ihr wisst ganz genau wie eine Paw Patrol Folge funktioniert und genau das bekommt ihr, nur drei Mal so lang. Toll! Viel Spaß im Kino!“. Unabhängig davon gibt es aber auch genug Filme, die die Kinder für dumm verkaufen. Grundsätzlich muss ich also sagen, es ist und bleibt letztlich immer nur meine Subjektivität. Um das also zusammenzufassen: man muss vermitteln können, wie man etwas empfindet – Stichwort Subjektivität – und nicht so in Richtung Objektivität und nach dem Motto „das ist jetzt so“.

Wie sieht deine Meinung generell über andere Kritiker aus? Was genau zertifiziert jemanden zu einem guten Kritiker und gibt es da Kanäle, die du gern verfolgst?

Ein guter Kritiker sollte auf alle Fälle „ich finde“ häufiger nutzen. Viele Kritiker erwecken nämlich manchmal den Eindruck, so nach dem Motto: „Ich bin Gott! Dieser Film ist schlecht! Ihr seid alle doof!“ Auf der anderen Seite sind solche Leute aber so belesen und haben sonst wie viele tausende Filme gesehen. Eigentlich wissen sie es besser. Ein richtig guter Filmkritiker, der sollte sich das also sehr bewusst machen, dass seine Kritik nur ein Beitrag unter vielen ist.

Persönlich verfolge ich ganz viele Leute, deren Meinungen ich schätze. Steven Gätjen zum Beispiel, den kenne ich schon sehr lange. Und von der BBC Mark Kermode. Ansonsten schaue ich viel YouTube, darunter Chris Stuckmann. Ich stimme dem zwar häufig nicht zu, aber dadurch, dass es so eine Divergenz gibt, kann ich meinen Horizont jedes Mal aufs Neue erweitern.

Je nach Publikumserfolg reden die meisten Menschen immer nur über die „relevantesten“ Filme oder die, die gerade „in“ sind. Wie siehst du das an, ist das ein Problem? Und was fallen dir für grandiose (Neu-)Produktionen ein, bei denen du vermutest, dass diese wahrscheinlich nur die allerwenigsten kennen?

Das ist ein Problem. Filme, die kein großes Publikum finden, werden oftmals abgetan mit dem Stempel eines Misserfolgs. Das wird dann oft mit der Qualität gleichgesetzt, auch im umgedrehten Fall. Nur weil ein Film jetzt eine Milliarde einspielt, ist er nicht automatisch gleich gut oder sehenswert.

Welcher Film mir aber sofort in den Kopf kommt: Sound of Metal mit Riz Ahmed. Ein absolut genialer Film, auf so vielen Ebenen, besonders aber bei der Inszenierung und wie der Zuschauer durch das Sounddesign selbst taub gemacht wird. So kann man sich perfekt in den Protagonisten hineinversetzen. Und klar – der Film ist zwar mitunter schon richtig anstrengend, dadurch, dass er am Ende aber eine gewisse Ambivalenz mitbringt und keine blank polierte Happy End Geschichte erzählt, ist der in der Gesamtheit wirklich hervorragend. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass den leider leider niemand gesehen hat. Zumindest so gut wie keiner.

Nachdem ich letztens Be Natural über die mutige Filmpionierin Alice Guy-Blaché geschaut habe, interessiere ich mich für Filme, die ihrer Zeit voraus sind und sich etwas trauen. Auf welchen Film warst du zuletzt froh oder stolz, dass man sich mal etwas Waghalsiges getraut hat?

Terrence Malicks Tree of Life. Das ist ein Film wie kein anderer. Der hat zwar keine richtigen Szenen und Dialoge, in der Mitte dafür eine 18-minütige Sequenz über die Entstehung des Universums. Dadurch wird man einfach geflasht. Der wurde deswegen auch direkt zehn Mal im Kino gesehen und kein Scherz: ich habe da unter den Zuschauern tatsächlich Brad Pitt Fans mit Gucci-Tüten gesehen. Wenig überraschend: Die verlassen den Saal dann nach einer halben Stunde, weil der Regisseur es gewagt hat, etwas zu machen, was sonst keiner macht.

Für Leute, die schon mehrere tausend Filme gesehen haben und das Beste vom Besten kennen, was sind deiner Meinung nach gute Orientierungspunkte, um auf sehenswerte Filme zu stoßen?

Früher waren es die Kinoseiten in der BZ. Heutzutage ist es aber einfach die Vielfalt des Internets. Dark Horizons, comingsoon und firstshowing gehören zu meinen einschlägigen Portalen. Aber mit den Filmographien der Regisseure kann man auch gut arbeiten.

Was ist das Schlimmste im Kino für dich – Trashfilme, die nächste deutsche Durchschnittskomödie oder doch etwas ganz anderes? Und sind alle gleichermaßen schlimm oder wie differenzierst du in der Hinsicht? 

Ich war mal so gut befreundet mit dem guten Herr Schweighöfer (lacht). Ja – zugegeben, der deutsche Film hat es bei mir schon schwer. Sieht man, da kommt die nächste romantische Komödie raus, hab ich schon gar keine Lust mehr. Was mich aber tatsächlich am meisten abturnt: purer Trist und unnötiger Horror. Wenn es nur noch brutal ist, um brutal zu sein, kann ich damit einfach nichts anfangen. Die erste Staffel von The Walking Dead zum Beispiel – die gehört mit zum Besten, was jemals für das Fernsehen produziert wurde. Danach ging es aber bergab, weil es von Staffel zu Staffel immer ekelhafter wurde und da kann die Story noch so gut sein. Wenn so etwas aber der Story dient, dann schaue ich mir so etwas schon einmal an. Irreversible von Gaspar Noé, den ich vorhin schon einmal erwähnt habe, fällt mir da direkt ein – genialer Film. Den habe ich einmal gesehen, das reicht! Auf Gore und Home-Invasion dagegen, die besonders brutal sein wollen, kann ich aber verzichten.

Wie siehst du dich und Logenplatz in zehn Jahren?

Mehr Gäste, mehr Dialog. Der Spaß wird uns sicherlich niemals ausgehen. Und die Hardcore-Fans sollen auch in zehn Jahren noch genauso viel Spaß daran haben. Ansonsten schauen wir mal, was die Technik mitbringt. Wer weiß, ob der Podcast dann durch Fraunhofer-Technologie direkt in die Gehirnwindungen reinprojiziert wird (lacht).

Bei so vielen Durchschnittsfilmen, die jedes Jahr neu herauskommen, reicht das aus, um „am Ball zu bleiben“? Kurz gefragt: wie wird sich die Beziehung zum Kino generell für deine Person ändern?

Durch den zweiten Podcast „Die hundert besten Filme aller Zeiten“ beschäftige ich mich schon jetzt viel mit älteren Filmen und der Filmgeschichte. In der Zukunft werde ich aber bestimmt noch sehr viel wählerischer werden als ich es jetzt schon bin. Zum Vergleich: Vor zwanzig Jahren habe ich mir alles angeguckt und ging zwei Mal pro Tag ins Kino. Da war wirklich alles dabei. Irgendwann stellt man aber fest, dass man weder genug Energie, noch genug Zeit hat, um alles zu sehen. In zehn Jahren werde ich also sehr wahrscheinlich nur noch über das sprechen, über das ich sprechen möchte. Da muss ich dann wohl bestimmt viel aussortieren denn: Wir haben alle nur ein Leben und müssen aufpassen, wie wir unsere kostbare Zeit am besten nutzen.

Vielen Dank für deine Zeit und das tolle Gespräch!



(Anzeige)