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Marc Benjamin in der Serie "Liberame - Nach dem Sturm" (© ZDF / Reiner Bajo / Christian Huck / Marion von der Mehden)

Marc Benjamin [Interview 2022]

Liberame – Nach dem Sturm begleitet eine Freundesclique, die während eines Segeltörns auf dem Mittelmeer einem Boot voller Flüchtlinge begegnet. Anfangs ist die Hilfsbereitschaft gegenüber den Notleidenden groß. Doch dann stellt sich die Frage: Sollen sie das Boot abschleppen und sich damit selbst in Gefahr bringen? Marc Benjamin spielt in der Serie einen der Leute auf dem Boot und muss gemeinsam mit den anderen die schwierige Entscheidung fällen, was mit den Flüchtlingen geschehen soll. Wir haben uns mit dem Schauspieler während der Premiere auf dem Filmfest München 2022 getroffen und über die Serie unterhalten.

Warum hast du bei Liberame – Nach dem Sturm mitgemacht? Was hat dich an der Serie interessiert?

Zunächst einmal weil Adolfo J. Kolmerer Regie geführt hat. Und wenn Adolfo etwas dreht und mich fragt, sage ich erstmal ja, ganz grundsätzlich, weil ich ihm völlig vertraue. Aber natürlich fand ich auch das Projekt spannend, weil es diese vielen Charaktere, die hier zusammenkommen, wertfrei zeichnet. Man kann sich bei ihnen richtig in sie hineinversetzen. Sich selbst sieht man ja am liebsten als Held. Das sind die Figuren in Liberame aber nicht. Und doch erwischt man sich immer wieder dabei, dass man genau nachvollziehen kann, was in ihnen vor sich geht. Die Serie spricht auch ganz wichtige Themen an: die große Not der Menschen und die Unfairness. Du hast also immer beide Seiten. Du siehst, wie sehr die Flüchtlinge leiden, die auf diesem kleinen Boot zusammengepfercht sind, und kannst doch die Freunde verstehen, die sie nicht abschleppen wollen.

Die Serie fordert dabei das Publikum auf, selbst Stellung zu beziehen und darüber nachzudenken, wie es entscheiden würde. Gibt es da überhaupt eine richtige Entscheidung?

Wahrscheinlich nicht. Die haben da wirklich nur schlechte Optionen, aus denen sie auswählen müssen. Denn die stecken auf dem Mittelmeer plötzlich in einer Situation, in der sie sich nur strafbar machen können. Sie müssen eine Wahl treffen, bei der sie verlieren, egal was sie machen. Die Szene, in der sie über das Schicksal der anderen entscheiden müssen, die ist unglaublich makaber. Das ist so heftig. Das will niemand erleben müssen.

Was glaubst du, wie du reagiert hättest?

Ich bin jemand, der so naiv ist, dass er nicht einmal versteht, warum es überhaupt diese Grenzen gibt. Und das wird irgendwie immer schlimmer: Die Leute machen dicht, wollen sich von anderen abgrenzen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass bald jeder seine eigene Nation hat und die verteidigt. Mir ist es total fremd, wenn Leute sagen: Nö, ich war hier zuerst, du darfst da nicht rein! Deswegen glaube ich, dass ich in der Situation, in der die Freunde sind, mich für das Abschleppen entschieden hätte. Auch weil ich niemand sein will, der einfach so andere im Stich lässt. Aber ich weiß es natürlich nicht. Du kannst immer glauben, dass du dich heldenhaft verhältst, und dir ein Märchen erzählen. Ist ja nur hypothetisch alles. Wenn du aber selbst in der Situation steckst, sieht das vielleicht ganz anders aus. Zumal du nicht nur eine Verantwortung gegenüber den Hilfesuchenden hast, sondern auch gegenüber deinen eigenen Leuten. Und die willst du ja auch beschützen.

Das Thema Flüchtlinge war vor einigen Jahren überall in den Medien, zurzeit auch wieder durch den Krieg in der Ukraine. Hattest du denn auch im wahren Leben Berührungspunkte mit dem Thema?

Ich pendle sehr viel zwischen München und Berlin und habe dabei schon mitbekommen, wie viele aus der Ukraine hierher gekommen sind. Aber sie gehen stärker in der Masse unter als die Flüchtlinge, von denen wir in Liberame sprechen. Sie werden auch ganz anders aufgenommen als die Flüchtlinge vor einigen Jahren, weil sie nicht anders aussehen. Es ist schon krass, dass dieser Farbklecks so einen Unterschied macht, wie die Menschen behandelt werden. Das ist beschämend, wenn du mal darüber nachdenkst. Direkte Berührungspunkte habe ich aber nicht. Als die Flüchtlinge ankamen, wollte ich unbedingt helfen und habe kistenweise Winterklamotten, Decken und Kissen gepackt. Da hieß es aber bei der Hilfsorganisation, dass sie in erster Linie Sachen wie Windeln, Medikamente und Isomatten brauchten. Eigentlich also gar nicht viel, wenn du darüber nachdenkst. Wahrscheinlich braucht es allgemein viel weniger, um anderen Leuten zu helfen. Du weißt es oft nur nicht, weil es an den nötigen Informationen fehlt.

In Liberame geht es einerseits um die Flüchtlinge und die moralischen Fragen, über die wir gesprochen haben. Gleichzeitig funktioniert die Serie wie ein Krimi, wenn das Publikum rätselt, wer das Seil zum Boot durchtrennt hat. Als du das Buch gelesen hast, hattest du eine Vermutung, wer es war?

Ohne jetzt zu spoilern, ob das wahr ist oder nicht: Da deutete schon viel darauf hin, dass meine Figur Daniel es war. Gleichzeitig schien mir das zu einfach zu sein. Dann habe ich die Freundin von Daniel verdächtigt. Irgendwann hatte ich im Kopf wirklich alle Varianten durch. Am Ende war es aber ganz anders und ich wäre selbst nie auf die Lösung gekommen. Das habe ich einfach nicht kommen sehen.

Wie würdest du deine Figur Daniel denn beschreiben?

Daniel ist relativ spät zur Clique hinzugestoßen, als er mit Fiona zusammenkam. Die gab es schon lange mit den beiden Geschwistern und der Freundin, weshalb meine Figur nicht so wirklich Teil davon ist. Daniel ist jemand, der sich nicht viel Gedanken macht, sondern alles auf sich zukommen lässt. Er probiert aus und verspricht viel. Sehr nachhaltig ist das aber alles nicht, was er da macht. Er ist auch noch nicht geerdet. Deswegen wirft ihn das Ereignis auf dem Boot auch so aus der Bahn. Wenn wir ihn Jahre später sehen, ist er ein völlig anderer Mensch geworden. Er hat nicht mehr diese Leichtigkeit, die er vorher hatte. Er hat auch die Illusion verloren, wer er ist: Wenn du eine solche Situation durchgemacht hast und eine derart heftige Entscheidung treffen musst, kennst du dich ganz gut. Du weißt, wo deine Grenzen sind.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Marc Benjamin wurde am 15. April 1986 in Basel geboren. Von 2007 bis 2011 studierte er an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Schon während seiner Ausbildung spielte er bei den Münchner Kammerspielen, zu deren festem Ensemble er später gehörte. In den letzten Jahren war er in einer Reihe nationaler und internationaler Produktionen zu sehen, beispielsweise in der Krimiserie The Team, dem Musikfilm Unsere Zeit ist jetzt, der DDR-Komödie Vorwärts immer! und der Tragikomödie Vielmachglas an der Seite von Jella Haase und der Komödie Rate Your Date über die Tücken des Online-Datings



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