Abbé Pierre – A Century of Devotion
© Jérôme Prébois

Abbé Pierre – A Century of Devotion

Abbé Pierre – A Century of Devotion
„Abbé Pierre – A Century of Devotion“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Eigentlich war Henri Groues (Benjamin Lavernhe) entschlossen, Priester zu werden. Doch als der Zweite Weltkrieg ausbricht, ändert er seine Pläne und schließt sich stattdessen lieber dem Widerstandkampf an. Tief geprägt von seinen Erfahrungen und dem Verlust eines treuen Freundes, der auf dem Schlachtfeld stirbt, folgt er nach Kriegsende seiner Berufung. Dabei wird es für ihn zu einer Herzensangelegenheit, den Armen zu helfen. Gemeinsam mit Lucie Coutaz (Emmanuelle Bercot), die selbst aus armen Verhältnissen stammt, widmet er sein Leben und seine Energie, Bedürftige zu versorgen und ihnen eine Alternative zur Straße aufzuzeigen. Dafür ist er bereit, sich selbst mit den Mächtigsten anzulegen, während er für sich selbst auf alles verzichtet …

Langzeitporträt eines Nationalheiligen

Wer sich für Historiendramen und Porträts bekannter Persönlichkeiten interessiert, wurde dieses Jahr bei den Filmfestspielen von Cannes gleich mehrfacht bedacht. So wurde das Festival durch Jeanne du Barry eröffnet, das von einer Frau handelte, die sich beim französischen Königshof nach oben arbeitete. Der Wettbewerbsbeitrag Firebrand wiederum nahm uns mit nach England und erzählte von Catherine Parr, der letzten Frau von Henry VIII. Wem das alles zu viel Glamour war, für den gab es als Alternative noch Abbé Pierre – A Century of Devotion, das außer Konkurrenz lief. Zwar stand auch hier eine reale und historische Figur im Mittelpunkt. Mit Prunk und Protz hatte es diese aber nicht so. Vielmehr war Pierre dafür bekannt, ein bescheidenes Leben zu führen und den Reichtum der Welt von oben nach unten zu verteilen. So kaufte er 1949 ein Haus in Paris, das er obdachlosen Familien zur Verfügung stellte.

So etwas macht sich natürlich immer gut. Kein Wunder also, dass Abbé Pierre über Jahrzehnte hinweg in Umfragen der beliebteste Franzose war. Ebenso wenig verwundert, dass einem solchen Menschen irgendwann auch ein filmisches Denkmal errichtet werden muss. Frédéric Tellier (Goliath – Im Netz der Lügen) hat sich an diese Aufgabe gewagt und ihm mit Abbé Pierre – A Century of Devotion ein eigenes Biopic gewidmet. Dafür wurde auch kein Aufwand gescheut, weder im Hinblick auf die Ausstattung noch die Länge. Mit knapp 140 Minuten lässt sich schon einiges erzählen. Diese Zeit wird auch gebraucht, da der französische Regisseur und Co-Autor einen großen Zeitraum abzudecken versucht. So beginnt seine Geschichte mit den Erfahrungen im Krieg, bis ins hohe Alter folgen wir dem Protagonisten im Anschluss. Immerhin 94 wurde der gute Mann schließlich, das ist schon reichlich Stoff.

Licht und Schatten

Benjamin Lavernhe kam dabei die Aufgabe zu, diese Ikone zu verkörpern. Ein bisschen überraschend ist das schon, da man den Schauspieler in erster Linie für seine komödiantischen Rollen kennt, sei es Meine Schwester, ihre Hochzeit & ich, Meine geliebte Unbekannte oder Mein Liebhaber, der Esel & Ich. Abbé Pierre – A Century of Devotion ist eine der seltenen Gelegenheiten für den Darsteller, dessen Karriere beim Theater begann, auch seine dramatische Seite zu zeigen. Das Ergebnis ist durchaus überzeugend, auch wenn das aufbrausende Naturell des Geistlichen oft überzogen wirkt. Aber so war das Original eben. Wo andere Quasi-Heiligen durch Zurückhaltung glänzten und still vor sich hinwerkelten, da war Pierre oft auf Konfrontation aus. Selbst mit der Kirche legte er sich immer mal wieder an, weil die sich nicht so verhielt, wie er es für richtig hielt.

Bei einem so langen Leben ist es jedoch zwangsläufig schwierig, wirklich in die Tiefe zu gehen und alles zu erzählen. Schade ist in der Hinsicht, dass Kontroversen nur kurz angeschnitten werden. So gibt es an einer Stelle die bemerkenswerte Aussage, dass physische Gewalt beim Erreichen seiner Ziele besser sind als Untätigkeit. Doch das wird ebenso wenig weiter verfolgt wie der spätere Vorwurf des Antisemitismus. Zu oft beschränkt sich Abbé Pierre – A Century of Devotion auf die Heldenzeichnung, was einfach nicht sehr spannend ist. Nervig ist dafür die komplett exzessive Musik, die so kontinuierlich – und oft unpassend – aufdringlich ist, dass der Film auch als Parodie auf Historiendramen durchgehen könnte. Deutlich gelungener ist die Arbeit der Maske, die Lavernhe im Laufe der Geschichte so weit altern lässt, bis er kaum noch wiederzuerkennen ist und der Schauspieler völlig in seiner Figur verschwindet. Inspirierend ist die Geschichte sowieso und in einer Ära, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, auch erschreckend aktuell.

Credits

OT: „L’Abbé Pierre: Une vie de combats“
Land: Frankreich
Jahr: 2023
Regie: Frédéric Tellier
Drehbuch: Frédéric Tellier, Olivier Gorce
Musik: Bryce Dessner
Kamera: Renaud Chassaing
Besetzung: Benjamin Lavernhe, Emmanuelle Bercot, Michel Vuillermoz, Antoine Laurent, Alain Sachs, Leïla Muse, Malik Amraoui, Chloé Stefani

Bilder

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Abbé Pierre – A Century of Devotion
fazit
„Abbé Pierre – A Century of Devotion“ erzählt die Geschichte des französischen Nationalheiligen, der sich sein Leben lang für die Armen eingesetzt hat. Das ist inspirierend, aber nicht immer spannend, wenn die Kontroversen nur kurz abgehandelt werden. Und auch die exzessive Musik sorgt für Verstimmung. Dafür wurde viel in die Ausstattung investiert. Die Maske, wenn der Protagonist im Laufe des Films um Jahrzehnte altert, überzeugt ebenfalls.
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