Lingui
© Matthieu Giombini
„Lingui“ // Deutschland-Start: 14. April 2022 (Kino)

Inhalt / Kritik

Die 15-jährige Maria (Rihane Khalil Alio) sollte es einmal besser haben, auf die Schule gehen, ihren Abschluss machen. Doch all das droht nun ins Wasser zu fallen, als die Jugendliche ungewollt schwanger wird. Ihre Mutter Amina (Achouackh Abakar Souleymane) ist außer sich. Nicht nur, dass sie auch so schon nicht genau weiß, wie sie ihre Familie durchbringen soll, sich nur mühsam mit der Herstellung kleiner Schalen aus Draht über Wasser hält. Sie selbst war seinerzeit jung schwanger gewesen und wurde deshalb von der Schule verwiesen und der Familie ausgestoßen. Maria will diesem Schicksal entkommen und deshalb das Kind abtreiben lassen. Doch das ist nicht so einfach, sind Abtreibungen in Tschad doch gegen das Gesetz und werden streng bestraft …

Das ewige Streitthema Abtreibung

Eigentlich hätte man meinen können, dass eine Abtreibung heute kein großes Thema mehr ist, zu etabliert sind die Methoden, eine ungewollte Schwangerschaft vorzeitig abzubrechen. Und doch will der Streit darum, ob ein solcher Eingriff moralisch vertretbar ist oder nicht, einfach nicht abebben. Und so werden regelmäßig neue Filme produziert, die sich auf die eine oder andere Weise dieses Themas annehmen. Niemals selten manchmal immer begleitet eine junge US-Amerikanerin, die quer durchs Land fährt, um diese Abtreibung durchführen zu lassen. Das Ereignis wählte eine historische Komponente, wenn auf autobiografischen Ereignissen basierend erzählt wird, wie eine französische Studentin Anfang der 1960er eine Abtreibung sucht – was damals noch verboten war und vom Gesetz hart bestraft wurde. Gefängnis für die Frauen, aber auch die Ärzte, dazu Berufsverbot. Da überlegt man sich das doch lieber zweimal.

Lingui ähnelt dem preisgekrönten Drama aus Frankreich teilweise auf frappierende Weise. In beiden Fällen sehen wir eine junge Frau, hier eine sehr junge, die in einer Gesellschaft unterwegs ist, in der Frauen kein Mitspracherecht haben. Die Abtreibung ist dabei nur ein Beispiel unter vielen. Der selbst in Tschad geborene Regisseur und Drehbuchautor Mahamat-Saleh Haroun (Grigris’ Glück) zeigt auf, wie Frauen in vielerlei Hinsicht nur Menschen zweiter Klasse sind. Sie werden zu Objekten reduziert, die der Mann nicht nur beliebig nutzen darf, wie es ihm gefällt. Er stellt zudem unentwegt Regeln auf, an die sich das zweite Geschlecht zu halten hat. Die in Zentralafrika gelegene Republik gilt allgemein als eines der unfreisten Länder dieser Länder, gefangen zwischen Despoten und Traditionalisten. Das Schicksal der weiblichen Bevölkerung ist noch einmal ein ganzes Stück rückschrittlicher.

Heilige Bande

Das Drama, welches bei den Filmfestspielen von Cannes 2022 Premiere feierte und im Wettbewerb um die Goldene Palme lief, ist dabei einerseits natürlich eine Kritik an der restriktiven, teils menschenverachtenden Gesellschaft. Aber eben nicht nur. Im Gegensatz zu Das Ereignis, in dem die Protagonistin allein durch die Krise musste, bekommt Maria schon früh Unterstützung durch ihre Mutter. Und sie ist nicht die einzige. Die heiligen Bande, von denen im Originaltitel Lingui, les liens sacrés die Rede ist, beziehen sich auf die zwischen Frauen. Im Schatten der offiziellen Gesellschaftskonstrukte hat sich eine weitere gebildet, die auf Solidarität und Verständnis basiert. Auf Mitgefühl auch, die Frauen wissen natürlich, was es heißt, in diesem Land zu leben und versuchen sich unbemerkt von den Männern gegenseitig zu helfen.

Das neigt manchmal zu einem recht auffälligen Idealisieren. Obwohl Lingui eine realistische Geschichte erzählt, hat der Film doch auch märchenhafte Elemente oder bewegt sich anderweitig vom Wahrscheinlichen weg. Aber es ist doch ein sehenswertes Drama, das nicht nur viel zu sagen, sondern auch viel zu zeigen hat. So gibt es beispielsweise einen starken Kontrast zwischen der armen und reichen Bevölkerung, wenn bescheidene Wellblechbarracken auf luxuriöse Pools treffen. Haroun muss auch nicht alles ausformulieren, was in seinem Kopf so vor sich geht. Oftmals reicht es ihm, mit seinen beiden Protagonistinnen durch die Stadt zu ziehen, auf der Suche nach einer helfenden Hand, und dabei die Augen offenzuhalten. Denn auch wenn die Aussichten auf den ersten Blick ziemlich trübe sind, so finden sich doch immer wieder Momente der Schönheit.

Credits

OT: „Lingui, les liens sacrés“
Land: Frankreich, Deutschland, Belgien, Tschad
Regie: Mahamat-Saleh Haroun
Drehbuch: Mahamat-Saleh Haroun
Musik: Wasis Diop
Kamera: Mathieu Giombini
Besetzung: Achouackh Abakar Souleymane, Rihane Khalil Alio, Youssouf Djaoro, Briya Gomdigue, Hadjé Fatimé Ngoua

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Lingui
Fazit
„Lingui“ begleitet eine 15-Jährige aus Tschad, die ungewollt schwanger wurde und nun zusammen mit ihrer Mutter eine streng verbotene Abtreibung zu organisieren versucht. Das Drama ist dabei einerseits das Porträt einer restriktiven, menschenfeindlichen Gesellschaft voll von Doppelmoral. Gleichzeitig zeigt es aber auch die Bande zwischen Frauen, geprägt von Solidarität und Mitgefühl.
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