In den besten Händen La Fracture
© Alamode Film

In den besten Händen

In den besten Haenden
„In den besten Händen“ // Deutschland-Start: 21. April 2022 (Kino) // 1. Juli 2022 (DVD)

Inhalt / Kritik

Alles hat einmal ein Ende, auch die Beziehung von Raphaela (Valeria Bruni-Tedeschi) und Julie (Marina Foïs). Während Raphaela noch immer davon überzeugt ist, dass ihre Partnerschaft eine Zukunft hat, da steht für Julie fest, dass es für beide besser wäre, endlich einen Schlussstrich zu ziehen und die Sache zu beenden. Als die beiden mal wieder darüber streiten, wie und ob es weitergeht, kommt es zu einem schmerzhaften Unfall, an dessen Ende ein Ausflug in eine Pariser Notaufnahme steht. Dort muss sich Raphaela notgedrungen ein Zimmer mit dem LKW-Fahrer Yann (Pio Marmaï) teilen, der kurz zuvor bei den Gelbwesten-Protesten verletzt wurde. Und sie sind nicht die letzten, die an dem Tag dort unterkommen müssen, eskaliert die Stimmung auf den Straßen doch zunehmend, wodurch das Krankenhaus mehr und mehr zum Zufluchtsort wird …

Momentaufnahme eines Kampfes

Während der Corona-Pandemie rückten die Krankenhäuser weltweit ungewollt in den Fokus. Sie waren die letzte Bastion beim Kampf gegen das Virus. Die Bilder der überfüllten Hospitale gingen um die Welt, überall wurden die Grenzen der jeweiligen Gesundheitssysteme sichtbar, die über Jahre hinweg zu Tode gespart wurden, bis diese ihre Aufgaben kaum noch erfüllen konnten. Fast könnte man meinen, dass In den besten Händen in Reaktion auf diese Vorfälle entstanden ist. Zumindest zeigt der französische Film sehr anschaulich, was es bedeutet, in einem nicht mehr funktionierenden Umfeld für die Gesund der Leute kämpfen zu müssen. Die Möglichkeiten sind begrenzt, die Nerven liegen blank, man fühlt sich wie in einer Kriegssituation. Nur dass dabei nicht ganz klar ist, wer denn gegen wen kämpft.

Ausgangspunkt des Films war dabei jedoch ein vorangegangenes Ausnahmeereignis. Genauer nahm Regisseurin und Drehbuchautorin Catherine Corsini (La belle saison – Eine Sommerliebe) die Gelbwesten-Proteste, die vor einigen Jahren Frankreich fest im Griff hatten, zum Anlass, einen Blick auf ihre Landsleute zu werfen. Dieser fällt nicht übermäßig schmeichelhaft oder optimistisch aus. Auch wenn der Titel In den besten Händen eigentlich Zuversicht ausdrückt, so hat man nach dem Film nicht unbedingt den Eindruck, dass man sich hier umeinander kümmert. Stattdessen ist die Geschichte von Anfang an von Konfrontationen und Konflikten geprägt. Die finden im Privaten statt, wenn das Paar sich mal wieder fetzt. Sie finden auf der Straße statt, wo sich Polizei und Protestierende unversöhnlich gegenüberstehen. Und auch innerhalb des Krankenhauses, was eigentlich ein neutraler Ort sein sollte, gehen die Kämpfe weiter.

Eine Welt jenseits von Schwarzweiß

Bemerkenswert dabei ist, wie es Corsini vermeidet, zu eindeutig Position zu beziehen. Zunächst einmal sind hier doch einige Figuren recht anstrengend. Gerade die krakeelende Raphaela und der aufbrausende Yann sind eine Konstellation, bei der man besser in Deckung geht. Komisch ist dieses Aufeinanderprallen der beiden dabei durchaus. Man braucht aber schon etwas stärkere Neven, um sich von den hysterischen Eskalationen nicht selbst mitreißen zu lassen. In den besten Händen setzt an der Stelle auch auf maximale Unterschiedlichkeit. Die lesbische Künstlerin der gehobenen Mittelschicht trifft auf den prolligen Arbeiter, der sich bei gewaltsamen Protesten beschwert und dann darüber beschwert, dass er dort Gewalt erfahren hat – und nun Angst um seine Arbeit hat, falls er ausfallen sollte.

Aber sie sind eben mehr als das, beide. Je mehr Zeit wir mit den zwei Leuten verbringen, umso mehr Nuancen werden sichtbar. Die Welt ist dann doch etwas komplexer, als wir es manchmal wahrhaben wollen – siehe etwa die Passage, in denen es darum geht, wer wen gewählt hat. Das bedeutet zwangsläufig auch, dass In den besten Händen keine einfachen Antworten hat. Die Tragikomödie, welche bei den Filmfestspielen von Cannes 2021 Premiere feierte und im Rennen um die Goldene Palme war, hat zwar einiges zu erzählen und zu sagen. Sie überlässt es aber dem Publikum, daraus eigene Schlüsse zu ziehen. Klar, das Gesundheitssystem muss reformiert werden, es braucht mehr Leute und mehr Geld. Neben diesen Konsensansichten, gegen die niemand wirklich etwas sagen kann und wird, wird es aber schwierig im Hinblick auf Definitives. Es ist ja nicht einmal sicher, ob man überhaupt einen Schluss ziehen soll.

Unterhaltsamer Dauerbeschuss

Stattdessen gibt es hier einen Dauerbeschuss von allen Seiten, der unterhaltsam und bereichernd ist, an dessen Ende man aber auch froh ist, alles wieder hinter sich lassen zu können. Selbst als unbeteiligtes Publikum, das hier nur einen kurzen Abstecher in die Welt der Kranken und Wütenden macht, ist man am Ende so ausgelaugt, dass der nächste Urlaub gar nicht schnell genug kommen kann. Corsini mag inzwischen Mitte 60 sein und damit eigentlich kurz vor dem Rentenalter stehen. Doch In den besten Händen zeigt die französische Filmemacherin als kraftstrotzende Erzählerin und präzise Beobachterin. Der clever gewählte Originaltitel La Fracture bezieht sich nicht nur auf den gebrochenen Arm von Raphaela, der sie ins Krankenhaus brachte, sondern auch auf den Riss, der mitten durch die Gesellschaft geht. Das Krankenhaus selbst wird auf diese Weise zu einem Spiegel des Landes, das immer weiter zu zerbrechen droht, während überall verzweifelt versucht wird, alles noch zu kitten.

Credits

OT: „La Fracture“
Land: Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Catherine Corsini
Drehbuch: Catherine Corsini, Agnès Feuvre, Laurette Polmanss
Musik: ROB
Kamera: Jeanne Lapoirie
Besetzung: Valeria Bruni Tedeschi, Marina Foïs, Pio Marmaï, Aissatou Diallo Sagna, Caroline Estremo, Jean-Louis Coulloc’h

Bilder

Trailer

Interview

Wer mehr über In den besten Händen erfahren möchte: Wir haben uns mit Regisseurin und Drehbuchautorin Catherine Corsini im Interview über ein gespaltenes Frankreich und das kaputte Gesundheitssystem unterhalten.

Catherine Corsini [Interview]

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Cannes 2021 Goldene Palme Nominierung
César 2022 Bester Film Nominierung
Beste Hauptdarstellerin Valeria Bruni Tedeschi Nominierung
Bester Hauptdarsteller Pio Marmaï Nominierung
Beste Nebendarstellerin Aissatou Diallo Sagna Sieg
Bestes Original-Drehbuch Catherine Corsini, Agnès Feuvre, Laurette Polmanss Nominierung
Bester Schnitt Frédéric Baillehaiche Nominierung
Prix Lumières 2022 Bestes Drehbuch Catherine Corsini Nominierung
Beste Nachwuchsdarstellerin Aissatou Diallo Sagna Nominierung

Kaufen / Streamen

Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.




(Anzeige)

In den besten Händen
Fazit
„In den besten Händen“ ist eine anstrengende, aber auch unterhaltsame und bereichernde Tragikomödie um die Notaufnahme eines Pariser Krankenhauses, das zum Spiegel eines auseinanderbrechenden Landes wird. Das beinhaltet eine Vielzahl präziser Beobachtungen, an deren Ende aber doch Ratlosigkeit herrscht.
Leserwertung0 Bewertungen
0
8
von 10