Catherine Corsini
© CHAZ Productions

Catherine Corsini [Interview]

In ihrem Film In den besten Händen (Kinostart 21. April 2022) nimmt uns Catherine Corsini mit in die Notaufnahme eines Pariser Krankenhauses. Dort begegnen sich die Zeichnerin Raphaela (Valeria Bruni-Tedeschi) und der LKW-Fahrer Yann (Pio Marmaï), der sich während seiner Teilnahme an den Gelbwesten-Protesten verletzt hat. Während die beiden über Gott und die Welt streiten, spitzt sich die Situation immer weiter zu – innerhalb wie außerhalb des Krankenhauses. Wir haben uns während der Französischen Filmwoche mit der Regisseurin und Drehbuchautorin über den Film, die Gelbwesten-Proteste und das Gesundheitssystem unterhalten.

 

Könnten Sie uns etwas über die Entstehungsgeschichte von In den besten Händen erzählen? Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Nach zwei Filmen, die in der Vergangenheit spielten, suchte ich nach einem Thema, mit dem ich etwas über das heutige Frankreich aussagen kann, mit all seinen Brüchen und Schwierigkeiten. Dass es am Ende ein Krankenhaus wurde, liegt daran, dass ich wie meine Protagonistin Raphaela gestürzt war und eine Nacht im Krankenhaus verbringen musste. Dadurch ist mir erst bewusst geworden, was in diesem filmisch und vom Drehbuch her alles möglich ist. Das französische Kino ist oft etwas abgehoben und weit weg von den bodenständigen Leuten. Ich wollte aber etwas erzählen, das wirklich mit der Tagespolitik der Menschen verbunden ist, und dieses dann komödiantisch überhöhen. Viele gehen ins Kino, um abzuschalten und sich Bestätigung zu holen. In den besten Händen sollte im Gegenteil für Irritationen sorgen, wieder und wieder, und die Leute dadurch zwingen, sich damit auseinanderzusetzen.

Ganz allgemein: Worin sehen Sie Ihre Aufgabe als Filmemacherin?

Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr gespalten ist. Das sieht man schon an den Wahlen bei uns in Frankreich, bei denen auch Angst operativ genutzt wird, um die Menschen zu manipulieren und kleinzuhalten. Das wirkt manchmal so hoffnungslos, dass ich meine eigene Stimme als Filmemacherin nutzen will, um die Menschen zu einem Austausch anzuregen. Denn vielleicht schaffen wir es durch Gespräche, einander besser zu verstehen und die Fronten aufzuweichen, damit nicht jede Auseinandersetzung gleich zu einem Streit wird.

Sie haben als zeitlichen Kontext die Gelbwesten-Proteste gewählt, die auch bei uns viel in den Schlagzeilen waren. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

In den besten Händen spielt Anfang Dezember 2018, als die Proteste noch relativ am Anfang standen. Ich dachte damals, dass diese Bewegungen Verbindungen haben zur radikalen Rechten, so wie es in den Medien auch immer wieder gesagt wurde. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit, ebenso die Sache mit den gewaltsamen Ausschreitungen, die in den Nachrichten waren. Als ich über diese Zeit recherchiert habe, habe ich festgestellt, wie viele friedliche Protestaktionen es damals gegeben hat und wie divers und vielfältig das alles war. Es gab auch sehr viel Gemeinschaftssinn und es wurden bei diesen Versammlungen wesentliche Fragen aufgeworfen zu gesellschaftlichem Zusammenhalt. Was geschieht mit dem abgehängten Teil Frankreichs? Mit den Leuten, die den ganzen Tag arbeiten und trotzdem kaum Geld haben und nicht wissen, wie sie bis zum Monatsende durchkommen? Das sind so wesentliche Fragen, dass ich ihnen eine Stimme geben wollte.

Was ist von dieser Bewegung und diesen Fragen geblieben? Nachdem die Gelbwesten eine Zeit lang sehr starken Zulauf hatten, wurde es auch durch die Corona-Pandemie wieder leise um sie.

Die Fragen, die damals gestellt wurden, sind sicher nicht gelöst oder beantwortet. Es wurde letztendlich auch nicht so wahnsinnig viel erreicht. Und doch war die Bewegung eine der wenigen in den letzten Jahrzehnten, welche der Regierung wirklich Angst gemacht hat. Deswegen sehe ich darin auch immer noch Potenzial. Gerade jetzt, wo die Rohstoffpreise so stark nach oben steigen und viele nicht wissen, wie sie noch ihre Wohnung warmhalten wollen, sind der Groll und die Wut immer noch weiter da. Durch die Pandemie erhielt die Politik zwar die Möglichkeit, diese Versammlungen zu verbieten. Aber das einfach nur unterdrücken zu wollen, löst die Probleme ja nicht. Es ist auch gefährlich, wenn die Menschen ihre Wut nicht ausdrücken dürfen. Die Politiker agieren da auf einer sehr abgehobenen Ebene mit Exzellenzansprüchen und nehmen die Leute und ihre Probleme gar nicht wahr.

Die Themen, die bei den Gelbwesten angesprochen wurden, sind eigentlich ziemlich universell. Gerade die steigenden Lebenshaltenskosten oder die Schere zwischen Reich und Arm sind in vielen Ländern ein bekanntes Problem. Warum gab es in Frankreich diese starken Proteste, während drumherum alle nur zugesehen haben?

Es gibt einfach in Frankreich eine Tradition der Wehrhaftigkeit und dass die Menschen für die eigenen Belange auf die Straße gehen und sich Gehör zu verschaffen. Im Film wird das durch die Figur Yann verkörpert, der auch die Schönheit dieser wehrhaften Sprache verdeutlicht. Er will sich nicht unterkriegen lassen und hat in seinem Kampf etwas von einem Don Quixote.

Sie haben den Film während der Pandemie gedreht. Hat dies die Geschichte beeinflusst, gerade da sie in einem Krankenhaus spielt?

Es gab eine sehr große Solidarität und Zusammenhalt innerhalb des Teams, auch weil die Umstände sehr unsicher waren. Wir wussten oft gar nicht, ob wir am nächsten Tag überhaupt noch drehen durften. Gerade weil der Druck so hoch war von außen, hat uns das zusammengeschweißt. Wir hatten beim Dreh auch Leute, die tatsächlich in dem Bereich arbeiten und ständig zwischen der normalen Arbeit und dem Film wechselten. Für sie war die Belastung besonders hoch.

Dass das Gesundheitssystem am Limit ist, war schon vor der Pandemie klar. Seither wird in Deutschland sehr viel darüber diskutiert, was getan werden kann und soll. Wie sieht es in Frankreich in der Hinsicht aus?

Das ist ganz schrecklich. Im öffentlichen Diskurs wird noch immer negiert, was da wirklich los ist. Durch Corona wurde zwar deutlich, wie wichtig die Menschen sind, die in diesem Bereich arbeiten. Passiert ist aber nichts. Die Medien berichten inzwischen wieder über tausend andere Themen, anstatt dass darüber gesprochen wird, wie dringend hier etwas geschehen müsste. Als mein Film in Frankreich herauskam, wurde über diesen Aspekt in meiner Geschichte kaum gesprochen. Er wurde einfach nicht als brisant angesehen, obwohl er das absolut ist.

Letzte Frage: Wie geht es bei Ihnen weiter? Woran arbeiten Sie?

Der Film war für mich in mehrfacher Hinsicht Neuland: Wir haben mit einer Schulterkamera gedreht, wir hatten die Laienschauspieler und Laienschauspielerinnen, wir hatten nur einen einzigen Drehort. Ich habe so viel daraus gelernt und für mich mitgenommen, dass ich jetzt nach etwas suche, mit dem ich diese Erfahrungen noch fortsetzen und vertiefen kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Catherine Corsini wurde am  18. Mai 1956 in Dreux, Eure-et-Loir geboren. Sie studierte zunächst Schauspiel am Conservatoire national supérieur d’art dramatique, bevor sie sich dem Schreiben zuwandte. 1987 drehte sie mit dem Thriller Poker ihren ersten eigenen Film. Ihre Werke liefen auf bedeutenden Festivals. Vor allem in Cannes war sie mehrfach vertreten. Einer ihrer berühmtesten Filme ist das autobiografisch gefärbte Liebesdrama La belle saison – Eine Sommerliebe (2015), welches in Locarno ausgezeichnet wurde. 



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