Haute Couture – Die Schönheit der Geste
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Haute Couture – Die Schönheit der Geste

Haute Couture
„Haute Couture – Die Schönheit der Geste“ // Deutschland-Start: 21. April 2022 (Kino) // 26. August 2022 (DVD)

Inhalt / Kritik

Eigentlich wollte Esther (Nathalie Baye) nur für einen Moment der jungen Frau Jade (Lyna Khoudri) zuhören, die in der Pariser U-Bahn-Station musiziert. Stattdessen wird ihr die Handtasche gestohlen. Zwar rennt die Musikerin dem Dieb sofort hinterher, doch keiner von den beiden kommt zurück. Aus gutem Grund, sind sie doch in Wahrheit Komplizinnen. Später bringt Jade die Tasche dennoch zurück, nachdem der Inhalt für sie ohne echten Wert ist. Esther, die inzwischen realisiert hat, dass man ihr übel mitgespielt hat, macht der jungen Teilzeitkriminellen dennoch ein Angebot: Sie könne ein Praktikum in ihrem Haute-Couture-Atelier beginnen, wo sie an den neuesten Dior-Kleidern arbeiten, und ihre Fingerfertigkeit produktiver einsetzen. Ganz wohl ist Jade dabei aber nicht. Und auch bei den anderen im Atelier sind die Gefühle gemischt …

Ein geteiltes Land

Momentan dürfte es kaum ein westliches Land geben, das nicht unter einer enormen Spaltung leidet. Dennoch ist es auffällig, dass innerhalb einer Woche gleich zwei französische Tragikomödien in den Kinos starten, welche auf diese Spaltung hinweisen. In den besten Händen tut dies auf eine eher atemlos-krawallige Weise, wenn ein marodes Gesundheitssystem auf marodierende Gelbwesten stößt und ein Krankenhaus zum kulturellen Kriegsschauplatz umfunktioniert wird. Haute Couture – Die Schönheit der Geste ist im Vergleich der deutlich leisere und auch versöhnlichere Film, wenn sich zwei grundverschiedene Frauen zufällig über den Weg laufen und diesen – nach einem mehr als holprigen Einstieg – für eine Weile teilen.

Dabei sind die Welten, die hier aufeinanderprallen, noch einmal deutlich unterschiedlicher als die in dem obigen Film. Immer wieder wechseln wir in Haute Couture – Die Schönheit der Geste von den Banlieues, in denen Menschen aus prekären Verhältnissen hausen, oft mit Immigrationshintergrund, hin zu dem Atelier, wo Luxuskleider gefertigt werden, die sich kein Normalsterblicher leisten kann. Interessant ist dabei jedoch, wie Regisseurin und Drehbuchautorin Sylvie Ohayon diese vermeintlich festen Grenzen immer mal wieder aufhebt. Beispielsweise ist eine von Jades wichtigsten Verbündeten Catherine (Pascale Arbillot), die aus derselben Gegend wie sie stammt. Und dann wäre da noch Abdel (Adam Bessa), der als Araber ebenfalls ein Fremdkörper ist und mit Vorurteilen zu kämpfen hat – obwohl er eigentlich aus gehobenen Verhältnissen kommt.

Ein Ort der Konflikte

Auf diese Weise wird das an und für sich recht enge Atelier zu einem eigenen Mikrokosmos, der gleichzeitig losgelöst ist vom gewöhnlichen Frankreich und doch aus diesem hervorgeht. Ohayon versucht dabei, sowohl an diesem Ort wie auch dem Hochhaus, in dem Jade wohnt, Ambivalenzen zu schaffen. Die meisten Figuren, die wir kennenlernen, gleich welcher Schauplatz, sind ein bisschen anstrengend und stark auf Konfrontation ausgerichtet. Szenen glückseliger Gemeinsamkeit sind dadurch selten. Das macht auch Haute Couture – Die Schönheit der Geste mitunter etwas anstrengend, wenn es unentwegt irgendwo knallt und nicht immer ganz ersichtlich ist, was das gerade geschehen ist. So mancher Konflikt ist dann doch eher der Dramaturgie wegen drin, weniger weil er inhaltlich gerechtfertigt wäre.

Damit einher geht eine recht sprunghafte und fragmentarische Erzählweise. Indem Ohyaon ausdrücklich die Nebenfiguren integrieren möchte, wird die Haupthandlung – sofern man überhaupt von einer sprechen mag – andauernd unterbrochen. Das ist einerseits spannend und macht Haute Couture – Die Schönheit der Geste deutlich lebendiger, als es Filme solcher Konstellationen oft sind. Es führt aber auch dazu, dass die Tragikomödie manchmal etwas beliebig und unentschlossen wirkt. Sie erzählt vieles auch nicht wirklich zu Ende. Dass beispielsweise Andrée (Claude Perron), die als Antagonistin eingeführt wird, eine eigene traurige Geschichte hat, wird zwar deutlich. Wir erfahren aber nicht welche. Auch andere Faktoren wie die Depressionen der Mutter oder Esthers entfremdete Tochter werden kurz angesprochen, aber kaum verfolgt.

Es darf auch schön werden

Das ist natürlich schon schade, weil auf diese Weise zwangsläufig vieles schematisch bleibt. Sehenswert ist der Film dennoch. Das Zusammenspiel der vierfachen César-Preisträgerin Nathalie Baye (Catch Me If You Can) und ihrer jungen Kollegin Lyna Khoudri (Gagarine) funktioniert. Überhaupt macht das Ensemble eine gute Arbeit. Hinzu kommt die sinnliche Komponente, wenn Haute Couture – Die Schönheit der Geste in minutiöser Kleinarbeit die Entstehung der Kollektion begleitet und immer wieder die Stofflichkeit thematisiert. Das Ergebnis ist ein in mehrfacher Hinsicht schöner Film, der zwar das eine oder andere Hässliche anspricht oder zeigt, das Publikum aber mit viel Zuversicht wieder zurück raus in die Welt schickt. Denn wenn eine einfache Straßendiebin Luxuskleider schneidern kann, dann ist am Ende alles möglich.

Credits

OT: „Haute Couture“
Land: Frankreich
Jahr: 2021
Regie: Sylvie Ohayon
Drehbuch: Sylvie Ohayon
Musik: Pascal Lengagne
Kamera: Georges Lechaptois
Besetzung: Nathalie Baye, Lyna Khoudri, Pascale Arbillot, Claude Perron, Soumaye Bocoum, Adam Bessa

Bilder

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Haute Couture – Die Schönheit der Geste
Fazit
„Haute Couture – Die Schönheit der Geste“ begleitet eine Luxusschneiderin, die einer Straßendiebin die Kunst ihrer Arbeit aufzeigt. Das Ergebnis ist eine Tragikomödie mit Wohlfühlfaktor, die oft beiläufig und fragmentarisch von gesellschaftlichen Kluften und traurigen Schicksalen erzählt, die sich zwischen Banlieue und Atelier treffen.
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