Are You Lonesome Tonight?
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Are You Lonesome Tonight?

Inhalt / Kritik

Are You Lonesome Tonight
„Are You Lonesome Tonight?“ // Deutschland-Start: 27. Januar 2022 (Kino)

Eigentlich ist Xueming (Eddie Peng) auf dem Weg zum gemeinsamen Kinoabend mit seiner Freundin, als er plötzlich in einem Moment der Unachtsamkeit in einen Unfall mit einem Fußgänger verwickelt wird. Völlig überfordert versucht er den Getöteten verschwinden zu lassen und begeht Fahrerflucht, sieht sich allerdings zusehends mit seinen Schuldgefühlen konfrontiert. Der Verzweiflung nahe entschließt er sich, sich Mrs. Liang (Sylvia Chang) zu stellen, der Witwe des Opfers. Als dann der Körper gefunden wird und etliche Schusswunden aufweist, die Polizei den Fall versucht zu lösen, scheint die Wahrheit nicht mehr so klar vor ihm zu liegen wie gedacht.

Suche nach Vergebung

Ein schwüler Sommer, dessen erdrückende und unausweichliche Schwere von den tief melancholischen Klängen des Elvis Klassikers Are You Lonesome Tonight? durchzogen wird und eine markdurchdringende Erschöpfung sowie eine zerrüttete Gegenwart zutage fördert. Das Regiedebüt von Wen Shipei ist alles andere als ein rasanter und knallharter Crime-Thriller, den der Trailer dem Publikum gern verkaufen möchte. Stattdessen zeichnet der aus China stammende Regisseur ein beklemmendes Bild eines Mannes, der an seiner Schuld zu zerbrechen droht und in einem nahezu undurchsichtigen Geflecht aus menschlichen Beziehungen, Familientragödie und verborgener krimineller Machenschaften nach Vergebung sucht.

Das Mystery-Drama, das in Cannes für die Goldene Kamera nominiert worden war, seziert dabei bedächtig, aber herausfordernd verschachtelt eine geschundene Seele, die durch die neonerleuchteten Nächte der Stadt streift und sich am Tage als Handwerker in der Privatsphäre einer Unbekannten Erlösung verspricht. Dass die Situation in der sich Xueming befindet prekär ist, lässt Regisseur Shipei einen schon in den ersten Minuten wissen, denn der junge Mann sitzt für sein Vergehen im Gefängnis. Er erzählt davon, wie die Antwort auf die Frage nach dem Warum mit der Zeit ungenauer wird, die Erinnerung an die Tat verblasst und bei Entlassung das vollständige Vergessen eintritt.

Zwischen verschiedenen Zeitebenen und Handlungssträngen

Dabei ist spürbar, dass das für Xueming leere Worte sind. Dieser erinnert sich nämlich nur zu gut an die Nacht, die für ihn alles änderte und ihn seither noch in seinen Träumen heimsucht. So sind es zwei markante Bilder, die er mit diesem Ereignis verknüpft, dessen Zusammenhang sich dem Publikum aber erst etwas später erschließen wird. Eine Kuh und ein hoher blassgrüner Gräserwald. Ruhig beobachtet, übertönt nur ein beruhigendes Summen, die malerische Stille bevor sich das Grau der Gefängniszelle zeigt. Man könnte meinen, der junge Mann hat sich mit seiner Strafe abgefunden, hat sie sogar bereitwillig angenommen.

Dennoch kriechen die Albträume immer wieder in seine Nächte und lassen ihn den Unfall, der sein Schicksal verändern sollte, Revue passieren. Wen Shipei lässt dafür verschiedene Zeitebenen und Handlungsstränge ineinanderfließen, bei denen es hin und wieder schwieriger ist diese auch auseinander zuhalten und die Strukturen klar auszumachen. Dabei sind kleinere gestalterische Mittel ein kleiner Hinweis darauf, wann sich der Regisseur einem neuen Abschnitt der Erinnerung zuwendet.

Denn neben der kontrastreichen Szenengestaltung, wo satte Neonlichter das Dunkel erhellen und zuweilen auch ein wenig an Wong Kar-Wais künstlerische Bildkompositionen erinnern, ist es bei Shipei das Spiel mit Licht und Schatten sowie die Schnitttechnik mit der er den Wechsel von Erinnerung oder Traum zur Gegenwart anzeigt. Viele seine Übergänge sind dabei fließend. Bilder überlagern sich gemächlich und verweben die Ereignisse der Vergangenheit. Innerhalb eines Zeitabschnittes sind die Schnitte vermehrt hart, aber auch Abblenden ins schwarz sind häufiger vorzufinden. Der Regisseur kitzelt die Aufmerksamkeit seines Publikums heraus und lässt dieses nach und nach in die fatalistische Stimmung der Geschichte eintauchen.

Beeindruckendes Erstlingswerk mit exzellenten Bildern

Aber nicht nur die Setgestaltung, dessen Ausleuchtung und die Detailbezogenheit versucht die Gefühle der Protagonisten zu erkunden, gerade wenn es um Xueming geht, spielt auch Wasser in verschiedenen Formen eine wichtige Rolle. Als die Witwe des Verstorbenen keine Träne vergießen kann, fällt fast unbemerkt ein Tropfen von Xuemings Gesicht. War es eine Träne seines Schmerzes, seiner Schuld oder doch nur die drückende Hitze des Tages, die den Schweiß aus den Poren quellen ließ. Die Bildsprache des Regisseurs ist oft subtil und offen für eigene Interpretationen. Jedoch scheint das Wasser für den jungen Mann auch eine reinigende Wirkung zu haben. Als er nämlich nach einer Straßenschlacht unter der Dusche steht, und die prasselnden Tropfen das Blut und den Dreck von der Haut spülen, bersten Laute hervor die gar dämonisch wirken. Als würde etwas hervorbrechen, dass ihn schon zu lange von innen aufzufressen scheint.

Es sind vielmehr genau diese exzellenten Bilder, die sich Zeit nehmen die Ambivalenz der Charaktere zu erkunden und die Are You Lonesome Tonight? schlussendlich zu einem beeindruckenden Erstlingswerk werden lassen, als die zu verschachtelte Noir Geschichte, die unter brodelnder Kriminalität und Gewalt von Schuld, Sühne, Vergebung, Erinnerung und Neuanfang erzählt. Ein Wechselspiel von Farben und Schatten, das Geduld und Aufmerksamkeit einfordert, um an den Kern der Charaktere und der Handlung vorzustoßen.

Credits

OT: „Re dai wang shi“
Land: China
Jahr: 2021
Regie: Wen Shipei
Drehbuch: Wen Shipei, Noé Dodson, Yinuo Wang, Binghao Zhao
Musik: Hank Lee
Kamera: Cedric Cheung-Lau, Xiaosu Han, Zhang Heng, Andreas Thalhammer
Besetzung: Eddie Peng, Sylvia Chang, Yanhui Wang, Peiyao Jiang, Yu Zhang, Yongzhong Chen, Fei Deng, Xin Lu

Bilder

Trailer

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„Are You Lonesome Tonight?“ besticht durch eine komplex ausgearbeitet Bild-, Licht- und Soundgestaltung, tut sich aber schwer eine klare Linie für die im Noir Milieu angesiedelte Geschichte aufzuzeigen. Herausfordernd und subtil verwoben, fördert der Kern eine tiefe Trauer und Schuld zutage, die sich in der Umgebung der Charaktere widerspiegelt und als Debütfilm mächtig Eindruck hinterlässt.
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