La Verite Leben und lügen lassen
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La Vérité – Leben und lügen lassen

Kritik

La Verite Leben und lügen lassen
„La Vérité – Leben und lügen lassen“ // Deutschland-Start: 5. März 2020 (Kino) // 10. September 2020 (DVD)

Auch wenn Fabienne (Catherine Deneuve) inzwischen in die Jahre gekommen ist, genießt die Schauspielerin doch immer noch großen Ruhm. Warum also nicht eine Autobiografie schreiben, um ein wenig aus ihrem Leben zu erzählen? Ihre Tochter Lumir (Juliette Binoche), die in den USA als Drehbuchautorin arbeitet und mit dem Schauspieler Hank (Ethan Hawke) verheiratet ist, ist jedoch wenig angetan von dem Buch. Dabei stört sie weniger, wie ihre Mutter aus dem Nähkästchen plaudert. Vielmehr sind es die zahlreichen Verfälschungen, mit denen sie so ihre Probleme hat, vor allem mit der Behauptung, eine liebevolle Mutter gewesen zu sein. Also reist sie mit ihrer Familie nach Paris, um einiges klarstellen zu können …

Wenn Filmemacher und Filmemacherinnen alles in ihrer Heimat erreicht haben, dann steht oft der Ausflug ins Ausland an, zu einer neuen Sprache, vielleicht gar Hollywood. Doch während dieser Karriereschritt in Europa recht alltäglich ist, tun sich asiatische Regisseure in der Hinsicht schon etwas schwerer. Einige Beispiele hierfür gibt es natürlich schon, etwa die Südkoreaner Joon-ho Bong (Snowpiercer) und Chan-wook Park (Stoker – Die Unschuld endet) oder auch der Japaner Ryuhei Kitamura (No One Lives). Der Taiwanese Ang Lee hat sich seiner Heimat sogar komplett entledigt, seit seinem Durchbruch Tiger & Dragon drehte er nur noch international. Aber es bleiben Ausnahmen, die Sprachbarriere schreckt letztendlich wohl doch zu viele ab.

Der Alltag in der Fremde
Umso neugieriger durfte man daher sein, wie das fremdsprachige Debüt von Hirokazu Koreeda wohl sein würde. Anders als die obigen Kollegen, die oftmals im Genrekino unterwegs sind, hat sich der japanische Regisseur und Drehbuchautor auf leise Dramen spezialisiert. Genauer ist es das Thema der Familie, das dem in Tokio geborenen Filmemacher umtreibt. In den letzten Jahren untersuchte er dabei vor allem alternative Familienkonstrukte, etwa in seinem in Cannes ausgezeichneten Shoplifters – Familienbande. Aber selbst wenn er eine recht alltägliche Familie aussucht wie in Still Walking ist seine große Kunst, kleinste Details herauszuarbeiten, in wunderbar beiläufigen Szenen. Das ist in La Vérité – Leben und lügen lassen ähnlich, aber doch spürbar anders.

Erneut ist es hier eine Familie, von der er erzählt. Dabei legt er jedoch den Schwerpunkt auf die Mutter-Tochter-Beziehung. Die anderen Familienmitglieder kommen dabei trotz sehr schöner Szenen – etwa zwischen Hank und seiner Tochter Charlotte (Clémentine Grenier) – tendenziell etwas kurz. Das ist auch der eine große Unterschied im Vergleich zu den vorangegangenen Werken. Gab es dort keine echten Hauptfiguren, weil sich die jeweiligen japanischen Ensembles stark zurücknahmen, wird La Vérité zu einem Wettstreit zwischen Catherine Deneuve und Juliette Binoche, wer die meiste Aufmerksamkeit bekommt. Immer wieder werfen sich die beiden kleine Nettigkeiten an den Kopf, schießen Pfeile quer durch den Raum, bis der Rest lieber erst mal in Deckung geht. Schließlich ist da so mancher Querschläger dabei.

Das Leben als Geschichte
Das ist ebenso unterhaltsam wie die diversen Auseinandersetzungen mit dem Thema Film, das zweite große Unterscheidungsmerkmal von Koreedas neuem Werk. Dieses Mal sind es eben keine „normalen“ Menschen, die miteinander in Konflikt geraten, sondern ausnahmslos Leute, die im Filmgeschäft unterwegs sind. Auch das hat spannende Auswirkungen auf das Familienleben, etwa wenn Kinder in der Öffentlichkeit aufwachsen. Außerdem ist das für den Japaner ein willkommener Anlass, um über das Geschichtenerzählen an sich nachzudenken. Nicht nur die Filme sind Geschichten, auch das Buch ist es, die Drehbücher, die Lumir schreibt. Selbst Erinnerungen, das wird mit der Zeit klar, sind Geschichten, die wir uns mal bewusst, mal unbewusst zusammenstellen. War Fabienne eine Rabenmutter, wie Lumir immer wieder behauptet, oder war sie es nicht?

Eine definitive Antwort liefert Koreeda nicht, so wie das Leben keine definitiven Antworten zulässt. Da wird geflunkert, ein bisschen ausgeschmückt, an anderen Stellen weggelassen, aus verschwundenen Großvätern werden Riesenschildkröten, aus Töchtern plötzlich selbst Mütter. Die Wahrheit, die Fabienne in ihrem Buch für sich reklamiert, sie ist immer nur eine Version von vielen. Das ist keine wirklich neue Erkenntnis, der Eröffnungsfilm der Filmfestspiele von Venedig 2019 bewegt sich auf sicherem, bewährten Terrain. Aber es ist eben ein sehr schönes Terrain: Die allmähliche Annäherung der beiden Diven geht zu Herzen, ist oft witzig, lässt einen im Anschluss wieder an vieles glauben, baut Grenzen ab und schickt einen danach wieder etwas glücklicher nach Hause. Der Ausflug in die fremde Sprachenwelt mag nicht ganz so filigran wie vorherige Werke des Ausnahmeregisseurs sein, geglückt ist er aber allemal.

Credits

OT: „La Vérité“
IT: „The Truth“
Land: Frankreich, Japan
Jahr: 2019
Regie: Hirokazu Koreeda
Drehbuch: Hirokazu Koreeda, Léa Le Dimna
Musik: Alexei Aigui
Kamera: Éric Gautier
Besetzung: Catherine Deneuve, Juliette Binoche, Ethan Hawke, Clémentine Grenier, Christian Crahay, Roger Van Hool

Bilder

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In seinem fremdsprachigen Debüt wendet sich der japanische Ausnahmeregisseur Hirokazu Koreeda mal wieder seinem Lieblingsthema Familie zu. „La Vérité – Leben und lügen lassen“ hebt sich jedoch durch die beiden dominanten Hauptdarstellerinnen ab, die das konfrontative Mutter-Tochter-Drama sehr unterhaltsam machen, was jedoch etwas zu Lasten der sonstigen leisen Töne geht.
8
von 10