Still Walking
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Still Walking

Still Walking
„Still Walking“ // Deutschland-Start: 18. November 2010 (Kino) // 25. März 2011 (DVD)

Auch wenn sie sich nicht mehr so oft sehen und selten miteinander sprechen: Einmal im Jahr kommt die Familie Yokoyama zusammen, im Haus des pensionierten Arztes Kyohei (Yoshio Harada) und seiner Frau Toshiko (Kirin Kiki). Tochter Kataoka (You) ist bereits da, mit ihrem Mann Nobuo (Kazuya Takahashi) und den beiden Kindern. Sohn Ryota (Hiroshi Abe), seine Frau Yukari (Yui Natsukawa) und deren Sohn aus erster Ehe sind noch unterwegs. Gerade Ryota könnte auf das Ritual gern verzichten, da das Verhältnis zu seinem Vater nicht das beste ist. Es dauert dann auch nicht lange, bis es zu kleineren Konflikten kommt, immer wieder liegen sich die einzelnen Familienmitglieder in den Haaren. Denn manche Wunden von früher sind bis heute nicht verheilt …

Wenn es darum geht, Menschen, insbesondere Familien, zu beobachten und in ihrer Alltäglichkeit zu zeigen, dann gibt es kaum einen Regisseur, der Hirokazu Koreeda das Wasser reichen kann. Mit einer unglaublichen Detailarbeit und völlig unaufgeregt gelingt es ihm immer wieder, das Besondere in der Normalität zu finden und mit wenigen Mitteln und Worten für das Publikum greifbar zu machen. In den letzten Jahren untersuchte der japanische Filmemacher in Werken wie Unsere kleine Schwester und Shoplifters – Familienbande dabei vor allem alternative Familienkonstrukte, um dabei die Frage zu stellen: Was genau macht eigentlich eine Familie aus?

Eine Familie, wie sie jeder kennt
Bei Still Walking ist die Sache einfacher. Anstatt wildfremde Menschen zusammenzupferchen, die sich dann zu Familien entwickeln, erzählt Koreeda hier von Leuten, die sich schon ein Leben lang kennen. Die beiden Eltern, die zwei Kinder, es verbindet sie eine Menge, zeitlich wie emotional. Schon die ersten Schritte, die wir gemeinsam mit den Figuren durch das kleine Häuschen machen, lassen spüren, wie viele Erinnerungen in den vollgestopften Zimmern verborgen sind, in den Wänden, Kisten und Tellern, in Büchern und Fotos. Doch es ist nicht das Greifbare, das in dem Film im Mittelpunkt steht, sondern das, was nicht da ist.

Lange lässt Koreeda das Publikum im Unklaren darüber, weshalb die Familie überhaupt zusammengekommen ist. Auch die Konflikte, die immer wieder durchschimmern, besonders zwischen Ryota und seinem Vater, werden erst nach und nach öffentlich gemacht. Dass etwas vorgefallen ist, das wird schon früh deutlich, ohne dass es Still Walking explizit ansprechen müsste. Dafür reicht ein Blick auf die beiden Hauptdarsteller und die Art und Weise, wie sie sich aus dem Weg gehen. Im Fall von Harada ist das einfacher, weil wenig subtil: Er verlässt das Zimmer, spricht nicht, tut so, als wären die anderen nicht da. Abe hat da schon mehr zu tun, wenn sich in seiner Mimik die Zerrissenheit der Figur wiederspiegelt: Eigentlich will er gar nicht hier sein, will fort, sein Leben fortführen. Gleichzeitig hängt die von ihm verkörperte Figur aber an den Eltern uns sehnt sich danach, dass wieder Frieden einkehrt.

Ruhig und beiläufig
Dabei ist es nicht so, dass während des Films Dauerkrieg herrschen würde. Wer von Familiendramen große Momente erhofft, vielleicht auch befreiende Taschentuchanlässe, der ist hier völlig falsch. Still Walking, alternativ als Gelbe Schmetterlinge bekannt, ist wie die anderen Werke des Japaners eine sehr ruhige Angelegenheit, die das direkte Drama scheut, es auch gar nicht braucht. Vielmehr zeigt uns Koreeda viele alltägliche, fragmentarische Szenen, geradezu banal auf den ersten Blick. Oft wird gegessen, über Essen geredet, Essen zu bereitet. Doch in eben diesen kleinen, so unscheinbaren Ritualen manifestiert sich das, worum es eigentlich geht.

Die thematische Bandbreite ist dabei trotz des begrenzten Settings – nahezu der gesamte Film spielt innerhalb des Hauses – enorm. Einiges davon ist direkt auf Japan bezogen, sei es die Spiritualität oder auch Traditionen, die gepflegt werden. Anderes ist hingegen von universeller Natur. Tatsächlich ist es die große Kunst von Koreeda, dass man sich in seinen Dramen immer selbst wiederfinden kann. Kleine Sticheleien, Eifersucht, enttäuschte Erwartungen, Schmerz und die Unfähigkeit, offen miteinander zu kommunizieren. Aber eben auch Zusammenhalt, die Sehnsucht nach der Nähe zu den anderen und der wenn auch unbeholfene Versuch, Gräben zu überwinden. Still Walking zeigt zu gleichen Teilen die Hässlichkeit wie auch Schönheit eines Familienlebens auf, ist letzten Endes trotz der Ressentiments und lang wuchernden Wunden eine Liebeserklärung an die Familie, die uns zu dem macht, der wir sind, ob wir das nun wollen oder nicht.



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In „Still Walking“ kommt eine Familie zusammen, um gemeinsam zu essen, zu streiten und sich zu erinnern. Da wird viel geredet, auch wenn einiges nicht offen geschieht, der Film verrät erst nach und nach, was vorgefallen ist und weshalb die Beziehungen untereinander so schwierig sind. Obwohl es das große Drama scheut und vieles nur beiläufig erzählt, gelingt es Hirokazu Koreeda meisterhaft, das komplexe Konstrukt Familie aufzuzeigen, mit all ihren hässlichen wie schönen Seiten, und dabei zahlreiche Themen anzuschneiden, in denen man sich selbst wiederfindet.
9
von 10