Tiger and Dragon
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Tiger & Dragon

(„Wòhǔ Cánglóng“ directed by Ang Lee, 2000)

Tiger and Dragon
„Tiger & Dragon“ ist im Rahmen der Award Winning Collection seit 19. Februar auf DVD und Blu-ray erhältlich

Genug ist genug: Sein ganzes Leben hat der Schwertvirtuose Li Mu Bai (Chow Yun-Fat) dem Kampf gewidmet. Doch damit soll nun Schluss sein. Und so bittet er seine langjährige Weggefährtin Yu Shu Lien (Michelle Yeoh), sein Schwert „Grünes Schicksal“ dem Gouverneur zu überbringen, um so auch symbolisch sein bisheriges Leben abschließen zu können. Kaum in Beijing angekommen, stiehlt eine junge Frau (Ziyi Zhang) jedoch die wertvolle Waffe. Aber es gibt noch einen zweiten Punkt, der Li Mu Bais Ruhestand weiter hinauszögert: Die Gesetzlose Jade Fuchs (Cheng Pei-pei) soll sich in der Stadt aufhalten, und mit der hat der große Kämpfer noch eine ganz persönliche Rechnung offen.

Man mag von den Oscars halten, was man will, aber wann immer ein nicht-englischsprachiger Beitrag als bester Film nominiert wird, ist das schon ein Grund, hellhörig zu werden. Liebe vor zwei Jahren war ein solcher Fall, Das Leben ist schön aus dem Jahr 1998 ein weiterer. Und eben auch Tiger & Dragon. Aber nicht nur die amerikanischen Kritiker lagen der fernöstlichen Koproduktion zu Füßen, auch das gemeine Publikum strömte in die Kinos, um die graziösen Kampfeinlagen zu sehen und der tragischen Geschichte zuzuhören. Mit seinem Einspielergebnis von knapp 130 Millionen Dollar hält das Martial-Arts-Epos von Regisseur Ang Lee (Life of Pi, Brokeback Mountain) in den USA bis heute den Rekord als erfolgreichster fremdsprachiger Film – und das obwohl es gar nicht so viel anders macht als seine Kollegen.

Schon in den 1920ern entstanden erste Streifen, die im alten China spielten und in denen Kampfkünste eine wichtige Rolle einnahmen. Doch erst mit Tiger & Dragon wurden auch westliche Zuschauer auf die sogenannten Wuxia-Filme – Chinesisch für Kriegsheld – aufmerksam. Geprägt sind Vertreter dieses Genres von historischen Schauplätzen, oft übernatürlichen Elementen und eben dem Ausüben diverser Martial-Arts-Richtungen, meist aus dem Kung Fu. Diese Kämpfe sind in Tiger & Dragon auch 15 Jahre später noch immer eine Augenweide. Während westliche Actionfilmen gerne von Schusswaffen, Klingengemetzel oder brachialer Gewalt Gebrauch machen, ähneln die Auseinandersetzungen hier eher einem Tanz. Bis ins kleinste Detail durchchoreografiert, sieht der Zuschauer oft nicht, wo Angriff und Verteidigung ihre Grenzen finden, die fließenden Bewegungen sind von einer solchen Anmut, dass man schnell vergisst, dass hier eigentlich um Leben und Tod gekämpft wird.

Wundervoll ist beispielsweise eine längere Kampfszene zwischen Michelle Yeoh und Zhang Ziyi, in der die beiden Schauspielerinnen nicht nur ihre körperliche Selbstbeherrschung unter Beweis stellen dürfen, sondern wir auch eine ganze Reihe ungewöhnlicher und historischer Waffen im Einsatz sehen. Ungewohnt, zumindest für das westliche Publikum, war aber auch, dass die Schwerkraft in Fernost ganz gerne mal außer Kraft gesetzt wird. Da werden Wände entlang gelaufen, mehrere Meter in die Höhe gesprungen oder auch schon mal auf Baumspitzen duelliert. Realistisch ist das natürlich nicht, verstärkt aber effektiv den Eindruck des Märchenhaften.

Inhaltlich sind Wuxia-Filme oft weniger interessant, beschäftigen sich oft mit den Themen Rache und Ehre und scheuen selten vorm Pathos zurück. Tiger & Dragon – die Verfilmung eines Romans der Reihe „Kranich und Eisen“ von Wang Dulu – nimmt diese Elemente mit auf, erzählt dabei aber zusätzlich eine Geschichte, die überraschend modern und allgemeingültig ist. Jade Fuchs, die heimtückische Gegenspielerin, wurde nicht aus reiner Bosheit zu dem, was sie ist. Eine enttäuschte Liebe stand am Anfang, die im Grunde respektlose Behandlung durch Li Mu Bais Meister, welcher mit ihr zwar das Bett, aber nicht seine Kampfkünste teilen wollte. Und auch Jen Yu (Ziyi) wird von Wut und Widerwillen angetrieben, hervorgerufen durch die Bevormundung einer Gesellschaftsordnung, die in Frauen keine selbstbestimmten Menschen sieht.

Und so gewinnt der überraschend feministische Martial-Arts-Film an Tiefe, verwischt die Grenzen zwischen gut und böse. Selbst traditionelle Werte und Überzeugungen werden hier in Frage gestellt, wenn Li Mu Bai und Yu Shu aus (zu?) striktem Respektverständnis ein Leben in Einsamkeit führen, ohne sich je ihre Gefühle einzugestehen. Nicht jeder inhaltliche Aspekt ist dabei gelungen, gerade im Mittelteil zieht sich Tiger & Dragon gehörig, wenn in einem langen Rückblick Jen Yus Liebe zu dem Banditen Lo (Chen Chang) thematisiert wird. Doch auch wenn dem Film hier und auch anderswo eine stärkere Kürzung gut getan hätte, gilt Tiger & Dragon heute aus gutem Grund als einer der Pflichtprogrammpunkte seines Genres, der weitere Neuklassiker wie Hero und House of Flying Daggers erst möglich gemacht hat. Ob der Nachfolger diese Qualität halten kann, wird sich diesen Sommer zeigen, wenn der lange angekündigte zweite Teil in die amerikanischen und hoffentlich auch unsere Kinos kommt.



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„Tiger & Dragon“ war nicht der erste Wuxia-Film, ist aufgrund gelegentlicher Längen vielleicht nicht einmal der beste, gehört aber allein durch seine Bedeutung für das Genre zum Pflichtprogramm von jedem Martial-Arts-Fan. Sehenswert ist er aber auch dank seiner noch immer brillanten Kampfszenen und der überraschend modernen, feministischen angehauchten Geschichte.
8
von 10