Natchez
© Noah Collier

Natchez

Natchez
„Natchez“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Inhalt / Kritik

Die Stadt Natchez im US-Bundesstaat Mississippi ist besonders stolz auf ihre Geschichte: Prächtige Gebäude aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg, bei dem Mississippi natürlich auf der Seite der sklavenhaltenden Konföderation war, säumen die Straßen. Für die touristischen Gruppen werden schicke Reifröcke und Baumwollplantagen-Herrenanzüge ausgepackt. Eine schonungslose, gleichzeitig humorvoll überspielte White-Pride-Mentalität prävaliert in den von Weißen dominierten Golf Clubs und Reenactments, die auf typisch US-amerikanische Weise die Unterhaltung in den Vordergrund stellen, ungeachtet der blutigen Geschichte der Stadt, die einst als „Cotton Kingdom“ bekannt war. Regisseurin Suzannah Herbert zeigt in dieser Dokumentation die inhärente Spaltung der US-Gesellschaft innerhalb eines Mikrokosmos auf: Auf der einen Seite starke, resiliente, Schwarze Persönlichkeiten, die die Lügen der Weißen fortwährend aufdecken; auf der anderen Seite die weiße „Herrenrasse“, die ihren passionierten Rassismus mittlerweile nicht mal mehr beschönigen muss.

Schläge ins Gesicht der afroamerikanischen Community

Bis heute – vor allem heute – schafft (oder will) es die mehrheitlich weiße, US-amerikanische Gesellschaft nicht, sich vom rassistischen Image zu lösen, das das Land seit quasi seinen bescheidenen Anfängen prägt. Mississippi, der Bundesstaat, der sich als zweiter von der versklavungsablehenden Union sezierte, trägt hierbei eine besondere Bedeutung. Bereits in Filmen wie Mississippi Burning oder O Brother, Where Art Thou? thematisiert, profitierte das sumpfige Gebiet wie kaum ein zweites vom Sklavenhandel, dem Genozid an den amerikanischen Ureinwohnenden und dem Erstarken des Ku-Klux-Klans. Ironischerweise ist Natchez, die älteste Siedlung des Staates, selbst nach einem indigenen Stamm benannt, der der Mississippi-Kultur angehörte.

Die Dokumentation zeigt auf, wie systematisch die White-Supremacy-Ideologie in den Tiefen der städtischen Community verwurzelt ist. Sie berichtet vom Empowerment einer weißen Frau durch das Anlegen von Gewändern der Plantagenbesitzenden, dem Stereotyp der „Southern Belle“, das Epitom der weiblichen, weißen Reinheit, und den benutzten Euphemismen für die Versklavung der teilweise mehrheitlich Schwarzen Bevölkerung – schließlich waren sie keine Versklavten, sondern fröhliche, produktive Bedienstete oder Dienende. Die bürgerliche Sphäre dominiert die Landschaft mit ihren Garden Clubs, deren erstes weibliches, afroamerikanisches Mitglied Deborah Cosey war, die in Natchez noch von ihrer Lebensgeschichte erzählen kann – loud and proud.

Dass bis heute Touren durchgeführt werden, die die „weiße Kultur“ und den Reichtum der Vorbürgerkriegsära, der auf den Rücken tausender Versklavten errichtet wurde, hervorheben, ist eine Tatsache, die die afroamerikanische Bevölkerung der Stadt bis dato umtreibt. Neben Deborah ist eine schillernde, wichtige Persönlichkeit für das Wiedergeben der eigentlichen Geschichte „Rev“ Tracy Collins, ein langjähriger Pastor, der vornehmlich älteren, weißen Besucherinnen ungeschönte, gleichzeitig amüsante Rundfahrten in seinem Van ermöglicht, um so viele Menschen wie möglich über die Heuchelei von Natchez aufzuklären.

Offener Rassismus ist wieder salonfähig – oder immer noch?

Über die meiste Zeit existieren die Lebensrealitäten der weißen und afroamerikanischen Bevölkerungen der Stadt nebeneinanderher – die Antebellum-Spaziergänge sind exklusiv weiße Räume, die nur von den Kommentaren aus der Distanz, von den Rebellionen im Kleinen aufgebrochen werden. Menschen wie Deborah Cosey oder Tracy Collins geben ihr Bestes, um ein Gegenprogramm zu bieten, um nicht in das typisch US-amerikanische Entertainment-Klischee zu verfallen, das aus dem Leben, aus dem Leiden unzähliger Versklavten eine verklärte Varieté-Show macht. Suzannah Herbert lässt das Schauspiel in Kombination mit Kameramann Noah Collier fast schon surreal erscheinen – durch blendenden Lichteinfall, satte Farben, verwischte Ränder; klarerweise ist die Vision der weißen Einwohnenden von Natchez nichts mehr als ein rassistischer Traum, der sich in tiefen Wunden für die Schwarze Community äußert, eine Maske mit spitzem Haupt über eine mehr als zwei Jahrhunderte andauernde Farce stülpt, die nur mit viel Hass und Wahnvorstellungen aufrechterhalten werden kann.

Das Perfide, das Böse schleicht sich in dieser sehr kurzweilig gefilmten Dokumentation über die Zeit ein, über die Risse in der perfekt-weißen Oberfläche, die von passionierten Rassist*innen aufrechterhalten wird, die in Trumps MAGA-Sekte wieder Treibstoff tanken, die sich von den gewalttätigen, unmenschlichen ICE-Truppen bestätigt fühlen; solange wichtige Pfeiler der Community, wie Cosey oder Collins es sind, mit allem, was sie tun können, dagegen ankämpfen, werden diese Gestalten zwar nicht vollends gewinnen, doch in ihrer Verachtung für Menschen, die nicht so aussehen wie sie, weiter Auftrieb finden.

Persönlichkeiten, die sich durch Southern-Belle-Trachten oder Golfklub-Mitgliedschaften definieren, verwenden weiterhin beschönigende Worte für Verbrechen gegen die Menschlichkeit – so prahlen sie mit den „Errungenschaften“ der weißen „Herren“, die den Versklavten ja Lesen und Schreiben beigebracht hätten und überhaupt „gut“ zu ihnen waren. Doch selbst aus solchen Perversionen kann die afroamerikanische Community Kraft schöpfen: Obwohl sie als Untermenschen angesehen wurden und teilweise noch werden, haben sie ein ganzes Land aufgebaut. Und eine ignorante, weiße Bevölkerung sollte all diese Geschichten, die Wahrheit, erfahren.

Credits

OT: „Natchez“
Land: USA
Jahr: 2025
Regie: Suzannah Herbert
Drehbuch: Suzannah Herbert, Pablo Proenza
Kamera: Noah Collier
Musik: James Newberry
Mitwirkende: Kathleen Bond, Ser Clifford Boxley, Tracy Collins, Deborah Cosey, Dan Gibson, Tracy McCartney, Barney Schoby

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Natchez
fazit
In der Dokumentation „Natchez“, die die Spaltung der Gesellschaft, die gefährlichen Illusionen der Weißen und die vorbildhafte Aufklärungsarbeit Schwarzer Menschen in der gleichnamigen Stadt in Mississippi porträtiert, sorgen rassistische Untertöne für dauerhafte Spannung und nicht aufhörendes Unwohlsein. Am Ende ist „Natchez“ Symbolbild für die gesellschaftliche (Rück-)Entwicklung der USA, die ihren kurzen, längst nicht überall durchgesetzten progressiven Anstrich der letzten Jahrzehnte mithilfe der hässlichen Fratze des nie weggewesenen Rassismus aus Versklavungs- und Jim-Crow-Zeiten wegkratzt.
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