Sam Riley als Tenniscoach Tom in "Islands" | © 2025 LEONINE Studios

Sam Riley [Interview]

Der britische Schauspieler Sam Riley ist den meisten wohl immer noch am besten bekannt durch seine ikonische Rolle des Joy-Division-Leadsängers in Control, auch wenn dieser Film inzwischen bereits 18 Jahre her ist und Riley seitdem zahlreiche weitere Leinwandauftritte hinlegte – zum Beispiel an der Seite von Angelina Jolie in Maleficent oder in der Literaturverfilmung On the Road mit Kristen Stewart. Hauptrollen waren ihm allerdings eher selten vergönnt und so ist es besonders erfreulich, dass er in Islands (Kinostart: 8. Mai 2025) wieder einmal zu voller Form auflaufen darf. In dem Thrillerdrama des deutschen Regisseur Jan-Ole Gerster (Oh Boy, Lara) spielt er die Rolle von Tennislehrer Tom, der in einem Hotel auf Fuerteventura eine triste Monotonie zwischen Tennisstunden und Partybesäufnissen sein Leben nennt. Im Interview mit uns berichtet der Wahlberliner über seine Ähnlichkeiten zur Filmfigur, die Dreherfahrung bei laufendem Hotelbetrieb, Sand im Auge und seine Karriere als Taschendieb.

In Islands spielst du den Tennistrainer Tom, der ein bisschen ein Desaster ist. Irgendwo meintest du aber schon, dass das deine Traumrolle gewesen sei und du sehr lange drauf gewartet hast, so etwas zu bekommen. Warum?

Weil es viel interessanter ist, ein Desaster zu spielen als jemanden, der sein Leben im Griff hat, oder? Finde ich. Ich habe kein Manifest von dem, was ich suche, wenn ich etwas lese. Ich habe einfach ein Gefühl. Es ist immer eine Mischung von Angst – weil ich schon überlege, wie ich das spielen muss und ob ich das kann oder nicht – und Aufregung, weil ich denke: „Das wäre wirklich schön zu spielen!“ Und dieses Gefühl hatte ich, als ich das Drehbuch von Islands gelesen habe. Meine große Angst war, dass ich nicht gut genug Tennis spielen kann und Jan-Ole die Rolle in der Zwischenzeit schon an jemand anders vergeben hat. Aber durch meine Connection hier in Berlin konnte ich ihn zum Glück schnell auf meine Seite bringen, bevor alle anderen englischen Schauspieler das Drehbuch gelesen hatten.

Du hast schon öfter gesagt, dass es nicht immer ein Vorteil ist, in Berlin zu sein, weil man so weit von Hollywood und so weiter entfernt ist. Aber in dem Fall war es ein Vorteil?

In diesem Fall war es perfekt, auch mit Cranko. Dieses Jahr war unglaublich! Ich meine, Hollywood dreht auch in Europa, aber am meisten in London. Aber dieses Mal war es einfacher. Obwohl Jan-Ole gesagt hat, dass ich ihn dreimal treffen muss.

Dabei wusste er schon beim ersten Mal, dass er dich nehmen will, wie ich gelesen habe.

Das sagt er jetzt. [lacht] Aber offensichtlich waren doch drei Male nötig.

Oder er wollte eben einfach eine Connection herstellen.

Ja, das war auch wichtig. Beim ersten Treffen haben wir zum Beispiel gar nicht über das Drehbuch gesprochen. Ich glaube, ich hatte Angst, dass ich – wie bei einem Date – ein bisschen zu bemüht rüberkomme. Wir haben über Filme und alles Mögliche geredet. Aber beim zweiten Mal meinte ich: „Okay, du solltest wissen, dass ich diese Rolle wirklich haben will.“

Ihr kanntet euch ja noch nicht. Aber kanntest du die Filme, die er vorher gemacht hat?

Ja, klar. Ich glaube, Oh Boy ist rausgekommen, kurz nachdem ich nach Deutschland gekommen bin. Und Lara habe ich dann auch gesehen und geliebt. Und als ich mit ihm redete, wusste ich, dass er wirklich ein Cineast ist. Er liebt Filme.

Ich habe mich beim Schauen von Islands bei deiner Figur Tom auch ein bisschen an die Rolle von Tom Schilling in Oh Boy erinnert gefühlt, weil beide so verlorene Männergestalten sind. Siehst du da auch Parallelen?

Ja, auf jeden Fall. Aber vielleicht sagt das mehr über Jan-Ole aus. Verlorene Männer sind für ihn offensichtlich interessanter. Und schön zu spielen für Tom und mich.

Deine Figur ist extrem fasziniert von Anne und ihrer Familie. Das ist an manchen Stellen schwer nachzuvollziehen. Warum – denkst du – hat er von Anfang an so eine intensive Fixierung?

Vielleicht ist es, weil er das Gefühl hat, sie zu kennen. Aber ich glaube, ich kenne das auch. Ich meine jetzt Männer, die nicht glücklich sind mit dem, was sie haben. Jack denkt, das Leben von Tom sei das ideale Ding: Er trinkt und hat keine Verantwortlichkeiten. Und Tom fragt sich, ob er etwas verpasst hat, eine Chance auf Sicherheit oder Stabilität. Du weißt schon: Eine schöne Frau und einen wunderbaren Sohn und Geld und die Möglichkeit zu reisen. Aber das kommt eben von diesem verlorenen Aspekt der beiden Männer, glaube ich.

Kennst du das deutsche Sprichwort „auf der anderen Seite ist das Gras immer grüner“?

Ja, im Englischen sagen wir das auch. Genau, das ist das Ding.

Tom (Sam Riley) lernt Annes (Stacy Martin) Ehemann Dave (Jack Farthing) kennen | © 2025 LEONINE Studios

In einem anderen Interview hast du erzählt, dass es Ähnlichkeiten zwischen dir und der Hauptfigur Tom gibt. Welche sind das denn?

Na ja, bevor ich Schauspieler wurde, war ich mal Musiker in Leeds. Ich war in einer Band mit meinem Bruder, wir waren sechs insgesamt. Am Anfang hatten wir mit einem tollen Label eine EP gemacht. Dann sind wir bei einem großen Label unter Vertrag genommen worden: Warner Chapel Publishing. Und in der Musikpresse haben alle gesagt: „Da kommt eine super Band aus Yorkshire!“ Und ich will nicht sagen, dass wir das vermasselt hätten, aber irgendwie haben wir den richtigen Moment verpasst. Ich kenne es also, dass man sein Potenzial nicht wirklich erreicht. Und Leute sagen: „Ah, warst du nicht der Sänger von dieser Band? Warst du nicht der Sänger von 10.000 Things?“ Ich hatte in meinem Leben dann das Glück, eine zweite Chance zu bekommen, aber ich erinnere mich sehr gut an meine Musikzeit.

Wenn wir schon beim Thema Musik sind: Ihr habt mit Dascha Dauenhauer eine ganz tolle Frau gefunden, um die Musik für Islands zu machen. Du hast wahrscheinlich erst mit dem fertigen Film sehen können, wie gut ihre Musik funktioniert. Wie hat das auf dich gewirkt?

Sie ist brillant. Darum ist sie beim deutschen Filmpreis auch zweimal nominiert [neben Islands auch für die Filmmusik zu Kein Tier. So Wild]. Ich war so erleichtert, weil es ziemlich oft passiert, dass man den fertigen Film sieht und dann kommen Violinen und man denkt: „Oh Gott, es ist ruiniert.“ Aber sie hat das so toll gemacht. Ich muss den Film nochmal anschauen mit der Musik von Dascha, ich habe ihn bisher nur einmal gesehen. Sie hat das wahnsinnig gut gemacht.

Gerade diesen Suspense, diese innere Anspannung, die man die ganze Zeit fühlt.

Ja, genau. Man spürt Chinatown und diese ganzen Noir-Sachen, aber es ist auch ganz individuell. Sie ist cool.

Erzähl doch mal ein bisschen, wie der Dreh vor Ort war. Ihr musstet drehen, während das Hotel normalen Betrieb hatte. Und es gab auch Schwierigkeiten mit der ganzen Infrastruktur?

Das waren bestimmt Schwierigkeiten für die Produzenten. Als Schauspieler war es traumhaft. Es war wie in Die Truman Show. Jeden Tag kamen wir über eine Hintertür ins Hotel. Da war eine alte Bar, die nicht mehr genutzt wurde. Da war alles drin: Kostüm, Maske, Büro. Und jeden Tag musste ich dann mit meinem Tennis-Outfit und meinem Schläger an all den älteren Leuten in Badeklamotten vorbei, die am Pool lagen. Ein paar Mal wurde ich gefragt, ob ich später Zeit habe für ein Tennisstunde und so. Das war lustig. Der Chef des Hotels, der irgendwo anders in Spanien war, ist Filmfan und hatte gesagt: „Ja, du musst das unbedingt machen!“ Aber dem Hotelmanager vor Ort ging es miserabel damit. Manchmal musste ich zu ihm gehen und ihm gut zureden: „Das ist so schön, dass man das hier machen kann. Ich werde allen in Hollywood erzählen, wie cool du bist.“ [lacht]

In der allerersten Einstellung vom Film hat man direkt diese ikonische Szene, wie du auf dem Sand aufwachst. Ich habe da sofort gedacht: Wie lange hatten sie überall Sand in ihren Sachen? Wie beim Strandurlaub, da findet man den noch drei Wochen später …

Ja, das war auch der Fall. Ich habe einmal Sand in die Augen bekommen und weiter gedreht, obwohl irgendwas nicht stimmte. Und dann ist der Doktor gekommen – es war lustig. Er hat mein Lid so angehoben und gesagt: „Ja, doch, da ist Sand.“ Und mir eine Augenklappe gegeben, die ich für 24 Stunden tragen sollte. Es war gerade Mittagspause. Und ich sagte: „Ähm, nee, das geht leider nicht.“ Aber das war das einzige Mal. Und das war es wert.

Wie war denn die Zusammenarbeit mit Jan-Ole als Regisseur? Gibt es aus deiner Sicht vielleicht so etwas wie eine typisch deutsche Art des Filmemachens?

Nein. Ich glaube, Filmarbeit ist immer gleich, mit den verschiedenen Bestandteilen: Kostüm, Maske, Kameraleute, Ton. Bei Islands waren auch ein paar Spanier da und die sprechen natürlich nicht die gleiche Sprache – aber alle sprechen die gleiche Arbeitssprache, das ist international. Jan-Ole ist deutsch, aber er ist ein internationaler Cineast – vom klassisch Amerikanischen Robert Altman in den siebziger Jahren bis zum Europäischen mit Antonioni und so. Und zum Glück für mich war der Dreh dieses Mal auf Englisch – auch für Stacy, Jack und Dylan. Und Jan-Ole spricht wirklich super fließend Englisch. Ich meine, jeder Regisseur ist anders, aber es geht in beide Richtungen: Ein guter Regisseur versteht, dass er mit einem Schauspieler anders sprechen muss, weil dieser reagiert gut und jener vielleicht gar nicht. Und wir Schauspieler müssen ebenso sehen und lernen, wie man das erreicht, was die Regisseure von uns wollen, das ist auch unser Job. Mit Jan-Ole gab es viel Kollaboration, wir haben viel geredet. Es war toll, ich liebe das.

Arbeiten, wo andere Urlaub machen, ist auch ein Thema des Films …

Ja, es ist lustig, denn am Anfang dachte ich: „Oh, ein Haus hier wäre schön.“ Aber dann, nach acht Wochen auf Fuerteventura, wollte ich unbedingt irgendwo im Kalten einen Spaziergang machen. Und ich war so braun, wie man nur sein kann. Aber das war perfekt für die Rolle, wie bei dem Truman-Show-Aspekt des Hotels: Wir waren da, es gab kein Entrinnen, es war Hitze, jeden Tag. Wir haben das alles genutzt.

Gerade letzte Woche habe ich eine Werbung für Fuerteventura als Urlaubsziel gesehen. Könntest du dort noch Urlaub machen oder ist das jetzt vorbei?

Ja, es war wirklich schön. Es ist eine faszinierende Insel, denn sie hat alles. Da sind so viele Ecken mit purer Natur. Die Wüste und die Klippen, wo wir gedreht haben, sind unglaublich schön. Der Vorteil bei Fuerteventura ist auch, dass es im Winter immer noch schön ist. Wenn ich im Winter Urlaub mache, möchte ich Wärme und Sonnenschein. Weil wir wissen, wie Berlin im Dezember ist. 

Oh ja.

Im Oktober, November, Dezember, Januar und Februar.

Niemand will im Winter in Berlin sein. Wir hatten gerade schon ein bisschen über die verschiedenen Sprachen am Set gesprochen. Du musstest im Film auch Spanisch sprechen. Sprichst du die Sprache denn generell?

Nein, ich habe es zwar ein bisschen in der Schule gelernt, aber nur für ein Jahr, weil man mir sagte, dass ich kein Talent hätte. Aber ich hatte einen sehr netten Spanischlehrer. Ich kann es auch ein bisschen von Urlauben oder sowas. Es ist einfacher als Deutsch, denke ich. Es war wie mit dem Tennis: Ich muss das lernen, aber nicht die ganze Sprache können.

Richtig, Tennis war das andere Thema. Du musstest drei Monate mindestens vier Stunden die Woche trainieren. Das ist ja auch ganz schön hart.

Nein, das ist wahnsinnig schön! Um so etwas bezahlen zu können, müsste ich normalerweise viel mehr Filme drehen. Ich habe mir auch selbst Druck gemacht, weil ich keine schlechte Figur abgeben wollte. Das ist einer der schönsten Aspekte beim Film. Bei Cranko durfte ich so nah, wie wir jetzt sind, mit den besten Ballettänzern der Welt zusammenarbeiten. Normalerweise sitzt man 50 Meter entfernt. Da ist natürlich auch die Angst, ob man das gut machen kann. Aber es ist auch einfach eine wunderschöne Erfahrung. Ich habe zum Beispiel in einer Woche Reiten gelernt, nicht gemeistert natürlich. Am ersten Tag lernt man, wie man auf dem Pferd sitzt und ein paar Tage später galoppiert man. Es ist immer sehr intensiv, aber mit den besten Lehrern. Es ist einfach immer aufregend irgendwas Neues zu lernen.

Gibt es Dinge, die du an einem Set gelernt hast, die du immer noch machst?

Ich habe neulich mit meinem Sohn nochmal Tennis gespielt. Für ein Jahr seit dem Filmdreh wollte ich nicht, aber mein Sohn spielt jetzt auch, das ist schön. Für Brighton Rock habe ich damals Taschendiebstahl gelernt.

Und das machst du noch?

Das mache ich immer in der U-Bahn, aus Spaß. [lacht] Auch ein guter Trick zu lernen war, wie man eine Uhr von einem Handgelenk abzieht. Wie ein Magier.

Vielleicht kommt ja ein nächster Film, bei dem du das nochmal nutzen kannst. Aber erstmal wünsche ich dir viel Erfolg mit Islands. Und vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person
Sam Riley wurde 2006 international bekannt durch seine preisgekrönte Darstellung von Joy-Division-Sänger Ian Curtis in Control. Seitdem war der britische Schauspieler in zahlreichen internationalen Produktionen zu sehen, darunter Das finstere Tal, Maleficent, On the Road – Unterwegs, Rebecca und die BBC-Serie SS-GB. Zuletzt verkörperte er den Choreografen John Cranko im Biopic Cranko (2024) und war in Die Witwe Clicquot (2023) im Kino zu sehen.



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